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15. Juli 1902, Berichte über Versammlungen aus fachvereinen. Stahl und Eisen. 791 westfälischen Handelskammern, begrüfste Herr Reichs tagsabgeordneter Dr. Beumer den Congrefs namens der im „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirth- schaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ organisirten rheinisch - westfälischen Industrie, die ein um so gröfseres Interesse an den Berathungen des Congresses habe, als die grofse wasserwirthschaftliche Vorlage im preufsischen Landtage abgelehnt sei. Wenn die Industrie des Neides fähig wäre, dann würde sie mit Neid auf Oesterreich und Frankreich blicken, in denen die Kanalvorlagen Annahme ge funden, während bei uns eine Vorlage abgelehnt sei, die so nach allen Seiten, nicht zum kleinsten Theil durch verständnifsvolle Mitwirkung des Generalsecretärs dieses Congresses Herrn Geheimrath Sympher, durch- gearbeitet und vertieft dem Landtage vorgelegt worden, dafs ihre Ablehnung doppelt zu bedauern bleibe. Vom Schiffahrts-Congrefs erwarte die Industrie eine weitere Klärung der öffentlichen Meinung in wasserwirth- schaftlichen Dingen, und deshalb rufe sie, getreu dem Worte Pindars: Aptotv uv Ü8wp, den Berathungen ein herzliches Glückauf! zu. An diese Rede schlossen sich die Begrüfsungs- ansprachen der officiellen fremdländischen Vertreter. Mit dem Congresse war eine Wasserbau- und Schiff- fahrtsausstellung verbunden, die in den unteren Räumen der Tonhalle Platz gefunden hatte. Diese Ausstellung umfafste wichtige, auf die Berathungsgegenstände be zügliche Entwürfe aus den Gebieten des Wasserbaues und der Schiffahrt, bestehend in Zeichnungen, Modellen, Photographien u. s. w. Alle betheiligten staatlichen Behörden, communale Verbände und sonstige Ver- einigungen hatten zu der Ausstellung beigesteuert, am reichhaltigsten die preufsische Wasserbau-Verwaltung, die nicht weniger als 130 verschiedene Gegenstände zur Anschauung brachte. Es versammelte sich darauf an den folgenden Tagen unter dem VorsitzdesOberbaudirectors Geh. Rath Hon seil-Karlsruhe die Abtheilung für Binnenschiff fahrt, während Herr Commerzienrath Sartori-Kiel den Vorsitz in der Abtheilung für Seeschiffahrt führte. Die Binnenschiffahrtsabtheilung, welche die Frage der Schiffahrtsabgaben erörtert hatte, fafste folgenden Be- schlufs: 1. Die Schiffahrtsabgabe auf künftigen Wasser- strafsen soll nicht so hoch bemessen werden, dafs ihre Höhe den durch die Wasserstrafse erstrebten Zweck vereitelt oder wesentlich beeinträchtigt, die wirthschaft- liche Function der Schiffahrt aufhebt und eine ange messene Arbeitstheilung zwischen Eisenbahnen und Schiffahrt unmöglich macht. 2. In denjenigen Ländern, in denen gesetzlich oder in der allgemeinen Anschauung anerkannt ist, dafs die Schiffahrtsabgaben nur die Selbstkosten der Wasser strafse (d. i. höchstens die Unterhaltungs- und Betriebs kosten sowie eine übliche Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals) decken dürfen, ist es folgerichtig, bei Festsetzung der Abgabenhöhe auch den indirecten finanziellen Nutzen zu berücksichtigen, welcher aus der durch die Wasserstrafse bewirkten Hebung der Steuerkraft den Staatsfinanzen erwächst. 3. Der Congrefs stellt in Beantwortung der im Congrefsprogramm gestellten Fragen fest: a) Die Frage, ob durch Erhebung der Schiffahrts abgaben auf künstlichen Binnenwasserstrafsen die Deckung der Betriebs- und Unterhaltungskosten sowie eine mäfsige Verzinsung des Anlagekapitals erzielt werden kann, hängt von einer Reihe von Umständen ab, vor allem von der Höhe der Eisenbahntarife, von der Länge und der Leistungsfähigkeit der Wasser strafse, von der Gröfse des Verkehrs auf der Wasser strafse, von dem den Schiffahrtsabgabentarifen zu Grunde liegenden Erhebungs- und Berechnungssystem, von den wirthschaftlichcn und verkehrspolitischen Zwecken, welche mit der Wasserstrafse verfolgt werden. Dieses Ziel ist vor dem Auftreten der Eisenbahnen nicht selten und auch nachher mehrfach angestrebt worden, es ist aber in dem letzten halben Jahrhundert nur in wenigen Fällen erreicht worden. b) Aus dem Anlagekapital der Wasserstrafsen sind diejenigen Baukostenantheile auszuscheiden, welche Zwecken dienen, die, wie die Aufgaben der Landes- cultur, der Be- und Entwässerung, der Schiffahrt fremd sind. — In Bezug auf die Frage der Ueberwindung grofser Höhen wurde folgende Resolution gefafst: 1. Die Kammerschleusen bleiben die einfachsten und dauer haftesten Einrichtungen zur Ueberwindung des Gefälles der Kanäle. Die Sparbecken ermöglichen eine beträcht liche Verminderung des Betriebswassers, ohne dabei die Schleusungsdauer übermäfsig zu verlängern. Die Bestrebungen zur weiteren Verminderung des Betriebs wassers sind zu fördern. 2. Bei aufsergewöhnlichen, auf kurzer Länge zu überwindenden Höhenunterschieden bilden doppelte Schleusentreppen ein geeignetes Mittel zur Bewältigung eines grofsen Verkehrs, sobald reich liche Wassermengen zur Verfügung stehen. Bei Wasser mangel bilden die lothrechten Hebewerke eine durch die Erfahrung bewährte Einrichtung. 3. Geneigte Ebenen wurden bis jetzt nur für kleine Schiffe ange wandt, es sind aber äufserst sinnreiche Vorschläge für geneigte Ebenen zur Beförderung grofser Schiffe ge macht worden. Der Congrefs empfiehlt, eine derartige geneigte Ebene sobald als möglich auszuführen und in Betrieb zu setzen. In derselben Abtheilung wurde über die Frage der Werthminderung von Kohle und Koks bei der Schiffsbeförderung, wobei Bergrath Zörner-Saarbrücken Generalberichterstatter war, folgende Resolution, ange nommen: „Für Kohlen mit Neigung zur Werthver- minderung genügen die heutigen Einrichtungen, wie Karren, Sturzbahnen, Kippen oder deren Combination, noch nicht zu einer einwandfreien schnellen Verladung auf Qualität. Es dürften daher die grofsen in- und ausländischen Vereine, z. B. in Deutschland der Central verein zur Hebung der Flufs- und Kanalschiffahrt, zu ersuchen sein, im Wege der Preisaufgaben die Lösung dieser Frage der Werthminderung durch Einladen, Transport, Leichtern und Entladen fördern zu helfen. Auf die Eigenheiten der einzelnen Kohlenreviere ist dabei Rücksicht zu nehmen.“ Die Abtheilung für Seeschiffahrt verhandelte über den Verkehr mit Seeprahmen (Seeleichtern), General- berichterstatter Oberbaurath Hermann-Münster, ferner über Dockanlagen, General-Berichterstatter Geheimer Admiralitätsrath Franzius-Kiel. Diese Gegenstände haben für die breite Oeffentlichkeit wenig Interesse. Ueberhaupt überwog das rein technische Element sowohl in den Fragen und Berichten wie in den Be sprechungen, und das mehr allgemeines Interesse findende wirthschaftliche Element trat bei diesem Congrefs weniger hervor. Wirerwähnen noch, dafs das preufsische Ministerium der öffentlichen Arbeiten dem Congrefs eine Schrift über die Entwicklung der preufsischen Wasserstrafsen gewidmet hatte. In dem Schlufscapitel: „Geplante weitere Ergänzungen des Wasserstrafsennetzes" beschäftigt sich die Schrift besonders mit der preufsischen wasser- wirthschaftlichen Vorlage. Die Verfasser beklagen es, dafs unter den angegebenen Umständen die Vorlage bisher nicht verabschiedet worden ist. „Da die Staats regierung indessen, überzeugt von der Wichtigkeit und Bedeutung der von ihr vorgeschlagenen Pläne für das Gesammtwohl des Landes, diese unentwegt weiter verfolgt, so steht zu hoffen und zu wünschen, dafs eine erneute Gesetzvorlage, und zwar je eher je besser, die Zustimmung der Volksvertretung findet. Die Ausführung des darin enthaltenen Gesammtplans würde ein Culturwerk von hervorragendster Bedeutung schaffen.“