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verantworten können, die Vorteile, die der Land wirtschaft der Vertragstarif auch dann noch ge währt hätte, auszuschlagen. Wenn von der Re gierung der Industrie gegenüber nur allzu häufig der Einwurf gemacht wird, daß sie bei Ent sendung anderer Vertreter in den Reichstag andere Handelsverträge bekommen hätte, so wird man demnach diesen Einwurf nur cum grano salis gelten lassen können. Gewiß trägt an der Schädigung der Industrie, die mit dem 1. März 1906 eintreten wird, die Reichstagsmehrheit die größte Schuld; von aller Schuld aber sind auch die verbündeten Regierungen nicht freizusprechen. Sie hätten die Hoffnungen, die sie durch ihre Erklärungen bezüglich der Beseitigung von „Un- Stimmigkeiten“ im neuen deutschen autonomen Zolltarif erweckt hatten, besser berücksichtigen, sie hätten die Interessen der Industrie damit besser fördern können, und trotzdem wäre das Vertragswerk nicht gescheitert. Nach zwei Richtungen kann sich die Industrie mit Recht über die neue zoll- und handelspoli tische Ära beklagen. Einmal ist es den verbün deten Regierungen nicht gelungen, die Zoll sätze anderer Staaten bei den Vertragsver handlungen so herabzudrücken, wie dies den deutschen industriellen Interessen entsprach. An und für sich wäre dies wohl möglich gewesen, und namentlich in allen denjenigen Positionen, in denen die ausländischen Zollsätze die ent sprechenden deutschen übertreffen. Da aber die deutschen Unterhändler mit einer gebundenen Marschroute in den Kampf zogen, da sie ver pflichtet waren, in erster Linie und vornehmlich bei den Verhandlungen mit jedem Auslandsstaate die Interessen der Landwirtschaft zu wahren, so wurden, um nach dieser Richtung hin Vorteile zu erzielen, die industriellen Interessen in den verschiedensten Positionen teils ganz preisgegeben, teils nicht so verteidigt, wie dies ohne die ge bundene Marschroute möglich gewesen wäre. Man braucht nur in dieser Beziehung die Ver handlungen zwischen Deutschland einerseits und den einzelnen Auslandsstaaten anderseits zu ver gleichen, um zu erkennen, in welcher Weise hier vorgegangen ist. Überall, wo die deutschen agrarischen Interessen im Vordergründe standen, hat -die Industrie die schwersten Schlappen er halten. Man wollte eben durchaus den Ländern gegenüber, die nach Deutschland landwirtschaft liche Erzeugnisse importieren, die deutsche Agrar produktion in eine vorteilhafte Position bringen, und es war dann die Preisgabe der industriellen Interessen das Mittel, um zu diesem Ziele zu ge langen. Die Störungen, die sich im industriellen Export hieraus ergeben werden, wird man bald nach Beginn der neuen Ära in Deutschland nur zu stark verspüren. Aber damit nicht genug. Auch nach einer andern Richtung ist die In dustrie stark enttäuscht worden. Man hatte ge ¬ glaubt, daß die Leiter der Politik des Schutzes der nationalen Arbeit wenn auch nicht ganz, so doch im wesentlichen das Prinzip der Väter dieser Politik aufrecht erhalten und möglichst dahin streben würden, die Rohmaterialien, die die I Industrie nötig braucht, und die nicht oder nicht | in geeignetem Maße im Inlande erzeugt werden, und die von der agrarischen Reichstagsmehrheit mit enormen Zollsätzen im vorgeblichen Interesse der Landwirtschaft versehen waren, durch die Verträge entweder ganz zollfrei zu machen oder doch wenigstens auf eine erträgliche Höhe zurück zuschrauben. Auch das ist nicht geschehen. Man hat zwar an einzelnen Stellen Zollermäßi gungen eintreten lassen, aber kaum an einer ein zigen solche, die genügen. Das Ausland hatte natürlich kein Interesse daran, Deutschland an dem Bestreben zu hindern, einzelne seiner In dustriezweige in der Entwicklung zu hemmen. Man sieht ordentlich, wenn man die großen Züge der Verhandlungen verfolgt, wie sie sich aus den Veröffentlichungen ergeben, daß die einzelnen Auslandsstaaten zwar geneigt gewesen sind, für die von ihnen selbst erzeugten und von der deut schen Industrie gebrauchten Rohmaterialien Zoll ermäßigungen zu verlangen, wie sie aber ander seits ängstlich vermieden haben, Konsequenzen aus diesem Verhalten auch nach der Richtung der Zollermäßigung oder Zollbefreiung von sol chen Rohmaterialien zu ziehen, die im engsten Zusammenhang mit den von ihnen produzierten stehen, aber von anderen Ländern geliefert werden. Dem Auslande war es nicht bloß recht, sondern auch erwünscht, daß die deutsche In dustrie beim Bezüge der letzteren Rohmaterialien durch möglichst hohe Zollsätze auf Hindernisse stieße. Um so eher ist ja die Möglichkeit vor handen, daß die entsprechende ausländische In dustrie gegenüber der deutschen erstarkt. Die deutsche Industrie ist so nach zwei Rich tungen geschädigt worden. Es wird ihr ein mal der Export ihrer Produkte nach dem Auslande eingeschränkt werden, anderseits werden ihr die Gestehungs kosten für ihre Erzeugnisse vielfach erhöht werden. Es ist selbstverständlich, daß in einer solchen Situation die verschiedensten deutschen Industriezweige mit Sorgen in die Zu kunft sehen, und sie haben dabei nicht bloß die Interessen der Arbeitgeber, sondern auch die der Arbeitnehmer im Auge. Wird der Absatz von Waren nach dem Auslande eingeschränkt, direkt durch Erhöhung der ausländischen Zollsätze und indirekt dadurch, daß die deutschen Waren teurer und dadurch auf dem Weltmärkte weni ger konkurrenzfähig werden, ja, besteht sogar die Gefahr, daß infolge der Erhöhung der deutschen Gestehungskosten die ausländische Konkurrenz auf dem deutschen Markte eine bessere Position gegen früher erringen wird, so dürfte als Folge davon