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Gustav Mahlers am 15. November 1901 in München uraufgeführte 4. Sinfonie in G-Dur, deren Partitur im Sommer 1900 abgeschlossen wurde, unterscheidet sich in Anlage und Charakter wesentlich von den voran gegangenen sinfonischen Werken des Komponisten. Bereits rein äußerlich zeigt sich das in der kleineren Besetzung des Orchesters, der Rückkehr zur klassischen Viersätzigkeit und der kürzeren Spieldauer. „Gemessen an den bisherigen Di mensionen könnte man sie beinahe als .Sinfonietta' bezeichnen", schrieb der Musikschriftsteller Walter Abendroth über die G-Dur-Sinfonie, und Mahler selbst äußerte einmal dazu: „Eigentlich wollte ich nur eine sinfonische Humo reske schreiben, und da ist mir das normale Maß einer Sinfonie daraus gewor den — während früher, als ich dachte, daß es eine Sinfonie werden sollte, es mir zur dreifachen Dauer — in meiner 2. und 3. — wurde . . ." Besonders bemer kenswert aber erscheint bei diesem Werk der fast gänzliche Verzicht auf eine belastende Problematik, die helle, idyllische Grundstimmung. Aufgelockerter, durchsichtiger Klang, Streben nach Schlichtheit und Leichtigkeit sind charakte ristisch für die von gelöster Heiterkeit, von Lyrik, Poesie und naivem Humor erfüllte Sinfonie. In starkem Maße kommt hier typisch österreichisches Lokalko lorit zur Geltung, was nicht nur in zahlreichen volksliedartigen Motiven, sondern zudem auch in der ausgesprochen streichermäßigen Prägung der Thematik (im Gegensatz zu den ersten drei Sinfonien, wo besonders die Bläser bedeutsam eingesetzt werden) seinen Ausdruck findet. Es ist für uns kaum zu begreifen, daß gerade die unproblematische 4. Sinfonie — heute vielleicht das beliebteste und am häufigsten zu hörende sinfonische Werk Mahlers — bei den Zeitgenossen größtenteils auf Ablehnung und Unverständnis stieß und vom Komponisten als „Stiefkind“ angesehen werden mußte. Deutliches Anknüpfen an die Traditionen der Wiener Klassik kennzeichnet gleich den von musikantischem Frohsinn durchdrungenen, in klar überschaubarer Sona tensatzform gearbeiteten einfallsreichen ersten Satz mit seinem charakteristischen (später mehrfach wiederkehrenden) Schellengeläut zu Anfang. Thematisches Material bildet das von den Violinen angestimmte frohe Hauptthema, das Mahler wie einen Wiener Walzer begonnen haben wollte, und ein kantables Seitenthema der Violoncelli. Auch der zweite Satz, ein Scherzo in Rondoform, bringt trotz des ursprünglichen Untertitels „Freund Hein spielt auf" keine grundsätzliche Trübung. Wenn auch durch eine Solovioline, deren Saiten um einen Ton höher gestimmt sind (die „Fiedel" des Todes), unheimliche, fahle Klangwirkungen erzielt werden und einige spukhaft-phantastische Episoden zu verzeichnen sind, mischen sich doch bald mehr und mehr fröhliche, ja ausgelassene Klänge höchst irdischen, dörflichen Musizierens im Rhythmus eines Ländlers in den Tanz. Friedvolle Ruhe und innige, reine Schönheit lassen das folgende Adagio, das Mahler für seinen besten langsamen Satz überhaupt hielt, zum tiefen Erlebnis werden. Der Satz, von geteilten Violoncelli und Bratschen in zarten, weichen Tönen begonnen, wobei den oberen Violoncelli die Melodie anvertraut ist, wurde als kunstvolle Verbindung von Variationssatz und Sonatensatzform aufgebaut. Gegen den Schluß hin erscheint bereits einmal verheißungsvoll das Thema des Finales. Im reizvollen letzten Satz schließlich wird wiederum die menschliche Stimme in das musikalische Geschehen einbezogen: nach einem kurzen Orchestervorspiel berichtet ein Sopran-Solo — wie bei der 2. und 3. Sinfonie auf einen Text aus der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn" — in einer schlichten, von instru mentalen Zwischenspielen unterbrochenen Strophenliedkomposition von den Freuden des Paradieses, die hier auf eine recht ergötzliche, kindlich-naive Weise geschildert werden. Eine „christliche Cocagne“ (Schlaraffenland) nannte Goethe die Darstellung des Paradieses in diesem Wunderhorn-Text, in dem die „himm lischen Freuden" durch so irdische Vergnügungen wie gutes Essen und Trinken ausgemalt werden. Mahler ist es ausgezeichnet gelungen, in seiner musikalischen Gestaltung des Gedichtes, an dessen Ende die Musik als höchste der Freuden gepriesen wird, der naiv-poetischen Stimmung des Vorwurfs gerecht zu werden; er fand für die Wiedergabe dieser lichten Freudengedanken echt volkstümliche, humorvolle und dabei innig-zärtliche Töne. Thematische Beziehungen bestehen sowohl zu allen vorangegangenen Sätzen des Werkes als auch zur 3. Sinfonie, als deren Schlußsatz das „Lied von den himmlischen Freuden“ ursprünglich gedacht gewesen war. Text zur 4. Sinfonie von Gustav Mahler Wir genießen die himmlischen Freuden, drum tun wir das Irdische meiden. Kein weltlich’ Getümmel hört man nicht im Himmel! Lebt alles in sanftester Ruh. Wir führen ein englisches Leben, sind dennoch ganz lustig daneben. Wir tanzen und springen, wir hüpfen und singen, Sankt Peter im Himmel sieht zu. Johannes das Lämmlein auslasset, der Metzger Herodes drauf passet! Wir führen ein geduldig’s, unschuldig’s, geduldig’s ein liebliches Lämmlein zu Tod! Sankt Lucas den Ochsen töt schlachten ahn’ einig’s Bedenken und Achten. Der Wein kost’ kein’ Heller im himmlischen Keller. Die Englein, die backen das Brot. Gut Kräuter von allerhand Arten, die wachsen im himmlischen Garten! Gut Spargel, Fisolen und was wir nur wollen! Ganze Schüsseln voll sind uns bereit', gut Äpfel, gut Bim’ und gut Trauben! Die Gärtner, die alles erlauben! Willst Rehbock, willst Hasen, auf offener Straßen sie laufen herbei. Sollt' ein Fasttag etwa kommen, alle Fische gleich mit Freuden angeschwommen! Dort läuft schon Sankt Peter mit Netz und mit Köder zum himmlischen Weiher hinein. Sankt Martha die Köchin muß sein! Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die uns’rer verglichen kann werden. Elftausend Jungfrauen zu tanzen sich trauen. Sankt Ursula selbst dazu lacht! Kein' Musik ist ja nicht auf Erden, die unserer verglichen kann werden. Cäcilia mit ihren Verwandten sind treffliche Hofmusikanten! Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen! Daß alles für Freuden erwacht!