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ZUR EINFÜHRUNG Der zu seiner Zeit auch als Pianist und Dirigent angesehene norwegische Komponist Edvard Grieg hatte in seiner Eigenschaft als erster National musiker seines Landes keine Vorgänger, keine Tradition, an der er hätte anschließen können. Er war der erste skandinavische Komponist, der die Volks musik seiner Heimat in die Sphäre der Kunstmusik hob, nicht aber, indem er folkloristische Elemente wörtlich zitierte, sondern indem er sein eigenes Schaffen an der charakteristischen Wesensart norwegischer Volksmusik ausrichtete. Am Ende seines Lebens schrieb Grieg einmal: „Künstler wie Bach und Beethoven haben auf den Höhen Kirchen und Tempel errichtet. Ich wollte . . . Wohnstätten für die Menschen bauen, in denen sie sich heimisch und glücklich fühlen ... Ich habe die Volksmusik meines Landes ausgezeichnet. In Stil und Formgebung bin ich ein deutscher Romantiker der Schumann-Schule geblieben. Aber zugleich habe ich den reichen Schatz der Volkslieder meines Landes ausgeschöpft und habe aus dieser bisher noch unerforschten Emanation der nordischen Volksseele eine nationale Kunst zu schaffen versucht." Mit seiner bodenständi gen Kunst, seinen schwermütig-lyrischen, aber auch kräftigen Liedern, seinen eigenwilligen, häufig tänzerisch profilierten kleinen Instrumentalformen eroberte Grieg die Gunst der Musikfreunde in aller Welt. Seine immer und im guten Wortsinne volkstümliche Musik ist gekennzeichnet durch eine sinnenhafte Melo dik, eine herbsüße Harmonik, farbig-satte Instrumentation und eine aparte, von skandinavischer Folklore beeinflußte Rhythmik. Mit den Zwei elegischen Melodien für Streichorchester o p. 3 4 setzte die Reihe kleinerer lyrischer Stücke für Streichorchester ein, die Griegs Ruhm als Orchesterkomponist mit begründet haben. Es handelt sich hierbei um die Bearbeitung zweier Lieder nach Gedichten von A. O. Vinje, „Herzwunden" und „Letzter Frühling", die der Komponist 1881 für Streich orchester ohne Singstimme vornahm. Da sich Grieg über die schlechten, sinn entstellenden Übersetzungen seiner Lieder in andere Sprachen verschiedentlich beklagt hat, kann dieser Umstand mit ein Grund für die Bearbeitung gewesen sein. Jedenfalls sind die Stücke erst in der textlosen Fassung allgemein bekannt geworden. Sie beeindrucken durch feinen Klangsinn, durch Stimmungsdichte und eine gewisse Schwermut Stilistisch zeigen sie die in vielen Werken Griegs zu beobachtende Wandlung zur seelischen Vertiefung, eine sich daraus erge bende reiche Anwendung der Chromatik, eine Hinneigung zu wagnerischen, tristanischen Stimmungen. Im September 1948 — ein Jahr vor seinem Tod — vollendete der 84jährige Richard Strauss in Montreux jene Kompositionen, mit denen er Abschied von der Welt nahm und die erst nach seinem Tode, nämlich am 22. Mai 1950, durch Kirsten Flagstad mit dem Philharmonia Orchestra London unter Wilhelm Furtwängler, erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt wurden: die Vier letzten Lieder nach Gedichten von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff für eine hohe Singstimme und Orche ster. „Klingende Symbole der Altersvollendung" hat der Strauss-Biograph E-nst Krause diese Gesänge zu Recht genannt: „Welch ein Weg künstlerischer Läute rung und Verfeinerung von den melodisch und harmonisch auf breitere Wirkung berechneten frühen Liedern zu erhabenen, zwischen Hell und Dunkel schwe benden kristallenen Welt der AlterslyrikI Diese Lieder, des Meisters Schwanen gesang, ein wahrhaft vollkommenes »letztes Werk', sind erfüllt von dämmernder, abendgoldener Abschiedsstimmung. Gesänge des sinkenden Lebens, gesungen voll Wehmut, doch voll Zuversicht auf das Kommende. Ihre Melodie ist nicht mehr gegenständlich, ist ganz fließendes Melisma und schwingt sich in .freien Flügen' (Hesse) über alle stofflichen Bindungen. Die Krone der im Zeitmaß getragenen und meisterlich durchscheinend instrumentierten .Letzten Lieder' bildet ,lm Abendrot' nach Eichendorffs Versen, das bei der Herausgabe ans Ende des Zyklus gestellt wurde. ,Wie sind wir wandermüde — Ist dies etwa der Tod?', heißen die letzten Zeilen; und wie eine zarte Reminiszenz zieht im Horn das Hauptthema aus ,Tod und Verklärung' vorüber. Dennoch ist es für Strauss bemerkenswert, daß er das Lied nicht in Schubertscher Schwermut ausklingen läßt, sondern nach der schicksalsschweren Frage nochmals das programmatische Lerchenmotiv anstimmt. Wie silbriger Glanz aus dem Tale des Todes tönt bis zuletzt der zart jubilierende Triller der Piccoloflöten, mit dem die beiden Vögel zuvor .nachträumend in den Duft' des Abendhimmels aufsteigen. Die anderen Gesänge sind nach Versen Hesses geschaffen. /Frühling' ist ein .Licht übergossenes' Bild heller Geistigkeit. .Beim Schlafengehen' kleidet Empfindungen des Abschieds in eine sanft modulierende Melodielinie, die von der Solovioline an den Solosopran weitergegeben wird — das in seiner Melos-Süße am stärksten inspirierte Stück. .September' besingt in humorig-hoffnungssuchendem Ton das Blühen des Gartens und das Vergehen der Natur." Richard Strauss: VIER LETZTE LIEDER Frühling — Hermann Hesse In dämmrigen Grüften träumte ich lang von deinen Bäumen und blauen Lüften, von deinem Duft und Vogelsang. Nun liegst du erschlossen in Gleiß und Zier von Licht übergossen wie ein Wunder vor mir. Du kennst mich wieder, du lockst mich zart, es zittert durch all meine Glieder deine selige Gegenwart. September. Hermann Hesse Der Garten trauert, kühl sinkt in die Blumen der Regen. Der Sommer schauert still seinem Ende entgegen. Golden tropft Blatt um Blatt nieder vom hohen Äkazienbaum. Sommer lächelt erstaunt und matt in den sterbenden Gartentraum. Lange noch bei den Rosen bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh. Langsam tut er die müd gewordnen Augen zu. Beim Schlafengehen - Hermann Hesse Nun der Tag mich müd gemacht, soll mein sehnliches Verlangen freundlich die gestirnte Nacht wie ein müdes Kind empfangen. Hände laßt von allem Tun, Stirn vergiß du alles Denken, alle meine Sinne nun wollen sich in Schlummer senken. Und die Seele unbewacht, will in freien Flügen schweben, um im Zauberkreis der Nacht tief und tausendfach zu leben. Im Abendrot — Joseph von Eichendorff Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand; vom Wandern ruhen wir nun überm stillen Land. Rings sich die Täler neigen, es dunkelt schon die Luft, zwei Lerchen nur noch steigen nachträumend in den Duft. Tritt her und laß sie schwirren, bald ist es Schlafenszeit, daß wir uns nicht verirren in dieser Einsamkeit. O weiter, stiller Friede, so tief im Abendrot. Wie sind wir wandermüde — ist dies etwa der Tod?