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zerschmettert. Aber nach einem kurzen Schweigen nimmt das Wasser seine un heilvolle Tätigkeit wieder auf — bis der allmächtige Zaubermeister selber er scheint und alles in Ordnung bringt. Präzise Klarheit der Gedanken und glän zende Instrumentation machen Dukas zu einem hervorragenden Vertreter der französischen Schule. Den Auftrag zu seinem Ballett „J e u x" (Spiele) erhielt Claude Debussy 1912 von Sergej Djagilew, dem Direktor der Ballets Russes. Die Idee des Wer kes — eine „plastische Apologie des Menschen von 1913 — stammte von dem Tänzer und Choreographen W. Nishinski. Der Inhalt von „Jeux ist das eifer süchtige Liebesspiel zweier Mädchen und eines jungen Mannes beim Tennis. Der moderne, sportliche Mensch sollte Träger der Handlung sein. Debussy nannte sie in einem Brief' an Strawinsky einen „badinage ä trois (Spaß zu dritt) .Nach Nishinskis Worten wird folgende Geschichte dargestellt: „In einem Park in der Dämmerstunde ist ein Tennisball verlorengegangen; ein junger Mann, darauf zwei junge Mädchen bemühen sich, ihn zu suchen. Das künstliche Licht der großen elektrischen Kandelaber breitet einen phantastischen Schein um sie und gibt ihnen die Idee zu kindlichem Spiel; man sucht sich, verliert sich, verfolgt sich, tanzt, man zankt sich, schmollt miteinander ohne Grund; die Nacht ist lau; der Himmel in sanftes Licht getaucht, man küßt sich. Aber der Zauber wird von einem anderen Tennisball gebrochen, den irgendeine boshafte Hand geworfen hat. überrascht verschwinden der junge Mann und die beiden jungen Mädchen in den Tiefen des nächtlichen Parks". Die Premiere am 15. Mai 1913 im Theätre des Champs Elysees in Paris - 14 Tage vor der sensationellen Uraufführung von Strawinskys „Sacre de printemps" an gleicher Stelle und ebenfalls in der Choreographie von Nishinski — war kein Erfolg. Auch heute wird dieses Spätwerk Debussys — es ist sein letztes großes sinfoni sches Werk - leider kaum noch als Ballett oder als Orchesterstück aufgeführt. Dabei ist „Jeux" - wie es Heinrich Strobel in seiner Debussy-Biographie for muliert hat - „die beschwingteste, zarteste, delikateste Partitur Debussys. Die Verfeinerung und Aufhellung des Klangbildes ist bis zum Äußersten getrieben. Oft erscheint die Musik nur ein Kräuseln und Flimmern, ein Trillern und Gleißen arabeskenhafter Motive. Bei aller pantomimischen Bezogenheit ist sie aber zu gleich formal so klar umrissen, daß man von einem freien Rondo sprechen kann, dessen Thema an den entscheidenden Stellen der Handlung immer wieder er scheint, wenn auch in veränderter Gestalt. Dieses Thema kennzeichnet den in Jeux' abgewandelten melodischen Typus: es ist eine Bewegungsfigur, die dia tonisch aufsteigt und über chromatischen Terzen abfällt, weniger ein Bauglied im alten Sinn, als eine Arabeske, aus deren deutlich fixiertem Anfangsmotiv sich ein zauberhaftes Spiel von Klangornamenten formt. In diesem Spiel tauchen thematische Gestalten auf, frei von jeder tonalen Bindung, wiederholen sich und verschwinden. Auch die harmonischen Gebilde lösen sich im Figurenwerk auf. Das Streichertremolo ist häufig angewendet, es gibt dem ornamentalen Gewirk eine transparente Umhüllung. Auch in dieser fliehenden Folge der Figuren herrscht ein konstruktives Moment, das sich freilich beim Hören kaum einprägt, so sehr ist es mit dem Ornament verflochten: das Ostinato. Es übernimmt die Funktion, welche die thematische Ver knüpfung in der klassischen Musik hatte. Das Ostinato ist auch ein rhythmisches Gestaltungsprinzip. Freilich: die Hartnäckigkeit oder motorische Energie, die es später bei Strawinsky oder Bartok annimmt, fehlt bei Debussy. Im Gegenteil: der Rhythmus verfeinert sich in ,Jeux‘ manchmal bis zur Andeutung. Jeder Zwang der klassischen Periodisierung fällt ab. Auch der Rhythmus hat die Frei heit eines Ornaments. Er wandelt sich unaufhörlich. Dadurch erhält die Musik eine merkwürdige nervöse Erregtheit. Aber einige Male bricht der Rhythmus mit aller Macht durch, die in dieser feingliedrigen Partitur denkbar ist: im Walzer und im schwungvoll gesteigerten Schlußtanz. Das Prinzip der Andeutung, der Nuance, das von Anfang an als grundlegend für Debussy erkannt wurde, gewinnt in Jeux' seine delikateste instrumentale Gestalt. Die Musik hat jene zarte Grazie, jene phantasievolle Eleganz, jenen Reichtum an Klanggestalten und jene Zurückhaltung, die Debussy so sehr an den alten Meistern bewunderte. Ihr Ausdruck ist so vielfältig wie nur irgend denkbar: ironisch, zärtlich, leidenschaftlich, froh und verzweifelt. Aber er ist zu gleich von einer Diskretion, welche die Musik seit Mozart nicht mehr kannte." Debussy brachte mit „Jeux" das Kunststück fertig, „die federnde Technik des Tennis in Musik zu übertragen, sich im Schwung eines Spiels herumwirbeln zu lassen, das die gewohnten Kompositionsregeln über den Haufen warf." (Leon Vallas). Werkidee und Instrumentation bilden eine Einheit. Die strukturelle Technik der großartigen, in die Zukunft weisenden Partitur hat für die Entwick lung der zeitgenössischen Musik, insbesondere für die punktuelle und serielle Kompositionsweise, wichtige Anregungen gegeben, worauf Pierre Boulez hin gewiesen hat. Strawinsky dagegen, der zur Zeit der Entstehung des Werkes mit Debussy freundschaftlich verkehrt hatte, äußerte später in seinen Gesprächen mit Robert Craft in bezug auf Jeux': „Ihre Vorzüge sind französische, vielleicht sogar besonders französische, und die sind neu. Der Einfluß des We'kes auf Boulez ist deshalb wohl verständlich — ebenso wie der Mangel an Einfluß auf mich; denn seine schlagfreien, losen Taktstriche sind grundverschieden von mei ner rubatoarmen, streng taktbetonten Musik.“ Richard Strauss mied in seiner frühen Schaffensperiode zunächst die Opernkomposition, mit der er sich später Weltgeltung verschaffte, und widmete sich mit großer Hingabe — in der Nachfolge Franz Liszts, doch bald über diesen hinauswachsend — der sinfonischen Dichtung. Straussens sinfonischen Dichtungen liegen stets „konkrete Programme" zugrunde: „Aus Italien", „Don Juan", „Macbeth", „Tod und Verklärung", „Till Eulenspiegel", „Also sprach Zarathu stra", „Don Quichote", „Ein Heldenleben", „Sinfonia domestica", „Eine Alpen sinfonie". Einen künstlerischen Höhepunkt innerhalb dieser an sich höchst un gleichwertigen Werkreihe erreichte der Komponist mit der genialen sinfonischen Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche (nach alter Schelmenweise in Rondoform) op. 28, die 1895 in Köln uraufge führt wurde, wohl Straussens liebenswürdigstes, heiterstes und amüsantestes Stück. Mit Recht sind der geistreiche Humor, der prickelnde Witz, die Ironie, aber auch die Gefühlskraft dieser Musik so berühmt. Einmalig ist die Art, wie der Komponist alle Nuancen der großen Orchesterpalette in diesem musikalischen „Schelmenstück" ausnützt. Die beiden wichtigsten Motive des Werkes sind Tills gemächliche „Schelmen weis", vom Horn angestimmt, die in allerlei Verwandlungen — je nach den Er lebnissen des „Helden" — refrainartig wiederkehrt, und ein prägnantes, nie überhörbares Klarinettenmotiv, die „Pointe" zu jedem Abenteuer Tills. Und wer Phantasie hat, hört unschwer heraus, was Meister Strauss seinen Till erleben läßt: wie er das Geschirr der Marktweiber von den Hufen seines Pferdes zer schlagen läßt, wie er in Priesterverkleidung vor dem Volke spricht, wie er sich verliebt, schmachtet und einen Korb erhält, wie er sich in „gelahrte" Disputatio nen einläßt und brave Wissenschaftler mit einem Gassenhauer zum Narren hält. Aber damit haben Tills Streiche ein Ende gefunden. Vor Gericht gebracht, wird er nach viermaliger Befragung zum Tode verurteilt (Posaunen und Hörner). Und schon wird Till am Galgen aufgeknüpft (das zerflatternde Klarinettenmotiv deutet die letzten kläglichen Seufzer Tills an). Das Nachspiel, das den volksliedhaften Ton des Beginns wieder aufnimmt, vermittelt die trostreiche Gewißheit, daß der närrische Geist Till Eulenspiegels unsterblich ist und in den Erzählungen des Volkes weiterleben wird.