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„Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen und haben sich, eh man es denkt, gefunden." Zur Einführung Am 22. Dezember 1808 veranstaltete Beethoven im Theater an der Wien eine über vier Stunden in Anspruch nehmende Akademie. Zur Uraufführung kamen die 5. und 6. Sinfonie, die im Frühjahr desselben Jahres nahezu gleichzeitig fertig geworden waren und drei weitere Werke, darunter die Chor-Fantasie. Die 6. Sinfonie hat Beethoven selbst als „Pastoralsinfonie, oder Erinnerung an das Landleben" bezeichnet. Bereits 1784 war eine ähnliche Sinfonie des Stuttgarter Komponisten Justin Heinrich Knecht erschienen. Beethoven fügt diesem Vorbild zwei Sätze hinzu, nämlich das „lustige Zusammensein der Landleute'' und den „ Hirtengesang''. Ludwig van Beethoven besaß ein enges Verhältnis zur Natur, immer wieder zog es ihn in die waldreiche Umgebung Wiens. Im Sommer 1808 hatte er wieder eine Wohnung in Heiligenstadt bezogen. Auf einsamen Wanderungen ersann der Tondichter hier viele seiner unsterblichen Melodien. Auf einem Spaziergang erzählte er einmal Schindler: „Hier habe ich die Szene am Bach geschrieben und die Goldammer da oben, die Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke rings um haben mitkomponiert." Beethoven hat die einzelnen Sätze mit Überschriften versehen, die den Hörer in bestimmte Richtungen lenken. In Aufzeichnungen verwahrt sich jedoch der Kom ponist gegen eine zu weit getriebene Malerei. „Auch ohne Beschreibung wird man das Ganze, welches mehr Empfindung als Tongemälde, erkennen." Er wollte es dem Zuhörer überlassen, die einzelnen Situationen herauszufinden. An anderer Stelle sagte er: „Wer auch nur je eine Idee vom Landleben erhalten, kann sich ohne viel Überschriften selbst denken, was der Autor will." Hört man die beiden ersten Sätze, so wird man, auch wenn mit Vogelstimmen und Bcchgemurmel tonmalerische Elemente einbezogen sind, diese dem Reich der Empfindungen zuordnen. Der dritte und vierte Satz, in denen der Mensch in das Geschehen einbezogen ist, wirken hingegen doch tonmalerisch. Im Finale, mit Hirtengesang überschrieben, räumt er wieder den Empfindungen den Vor rang ein. Die einzelnen Sätze der 6. Sinfonie sind mit einer ausgesprochen sparsamen Instrumentation versehen. Selbst bei der grandiosen Schilderung des Gewitter sturmes verwendet Beethoven neben dem normalen Klangapparat nicht mehr als zwei Trompeten und zwei Posaunen, zu denen als charakteristischer Farbe der Klang der Piccoloflöte tritt. Die idyllische Grundhaltung des Beethovenschen Naturerlebnisses hat keine schönere Widerspiegelung gefunden als in dieser Sinfonie. Beethoven komponierte fünf Konzerte für Klavier und Orchester. Sie entstanden etwa gleichzeitig mit den ersten sechs Sinfonien, also in einem Zeitraum von elf Jahren. 1809 vollendet er das 5. Klavierkonzert. Mit seinen beiden letzten Klavierkonzerten schuf Beethoven zu dieser Gattung die damals neue Qualität des sinfonischen Solokonzertes mit Orchester. Konzer tierende und sinfonische Elemente seiner Klavierkonzerte wurden organisch miteinander verschmolzen und somit zum tondichterischen Bekenntnis, zum Aus druck menschlichen Erlebens. Die Arbeit an diesem Konzert fällt zusammen mit jener vom nationalen Be freiungskampf inspirierten Musik zu Goethes „Egmont". Da Wien durch die Er eignisse des Krieges zwischen Frankreich und Österreich in Mitleidenschaft ge zogen war, kam dieses Werk erst am 28. November 1811 in einem Leipziger Gewandhauskonzert zur Uraufführung. Das gewaltige Werk versetzte schon damals das Publikum in eine kaum zu beschreibende Begeisterung. In Wien dagegen, wo es 1812 erklang, wurde es wegen seiner ungewöhnlichen Länge abgelehnt. Dem lieblichen G-Dur-Konzert gegenüber trägt das Es-Dur-Konzert männlich heldische Züge. Beethoven verwendet diese Tonart mit Vorliebe bei der Dar stellung des Heroischen. Der Anfang des riesigen Kopfsatzes (er ist länger als der entsprechende der 9. Sinfonie!) ist ungewöhnlich. Das Orchester beginnt mit breiten Akkorden, die es wie Säulen aufrichtet. Dazwischen improvisiert der Solist in rauschenden Pas sagen eine freie Kadenzfantasie. Danach beginnen die Geigen mit dem ersten großartigen Thema in Es-Dur. Sein heroischer und energischer Charakter be stimmt den ganzen ersten Satz. Als zweites Thema folgt eine Art Trauermarsch. Danach setzt der Solist ein, greift das Hauptthema auf und variiert es immer wieder. In dem folgenden Dialog zwischen Orchestertutti und dem virtuos und erfindungsreich behandelten Klavierpart stehen sich beide Partner in großen Auseinandersetzungen gegenüber um schließlich doch immer wieder zueinander zu finden. Der ungewöhnlich erweiterte Durchführungsteil enthält Klangbilder erhabener Schönheit. Er erreicht seinen Höhepunkt in dem fanfarenartigen Dialog zwischen Solist und Orchester. Da der Solist organisch in das Geschehen einbe zogen ist und seine Virtuosität im Einklang mit der Idee des Werkes gebracht wird, verzichtet Beethoven auf eine Kadenz und bezieht sie vielmehr in den Ablauf der mitreißenden Coda ein. Der langsame Satz ist von wunderbar ergreifender Einfachheit. Nur auf Streicher und Holzbläser (mit Hörnern) gestützt, wird sein Charakter durch ein Liedthema bestimmt. Das Klavier antwortet mit ausdrucksvollen Figurationen, nimmt dann das Liedthema voll auf, schmückt es aus und gibt es an das Orchester zurück, bis der Satz zart verklingt. Zwei Hörner besorgen den pausenlosen Übergang in das Finale. Geheimnisvoll ertönt, noch im Adagiotempo, das Rondothema im Klavier, um dann plötzlich mit aller Kraft in das Hauptthema umzuschlagen. Der rhythmische Elan dieses The mas, bestehend aus zwei verwandten, aber sich deutlich unterscheidenden Tei len, bestimmt nun den Satz. Eine leuchtende Durchführung und das glanzvolle Schlußstück sind pianistisch äußerst wirkungsvoll, aber von echt sinfonischem Geist getragen. Eine lebensbejahende Aussage, die seit der Uraufführung des Werkes eine unmittelbare begeisternde Wirkung auf den Hörer ausübt. Heinz Priplata Literatur: Schönewolf, Karl: Beethoven in der Zeitenwende, Holle, 1953 Schindler, Anton: Ludwig van Beethoven, Leipzig, 1970 Siegmund-Schulze, Walter: Beethoven, Leipzig, 1975 Kastner, Emmerich: Ludwig van Beethovens sämtliche Briefe, Leipzig, 1923 VEB Carl Zeiss JENA — Forschungszentrum — Donnerstag, den 15. September 1977, 20.00 Uhr, im Volkshaus Sonderkonzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Johannes Winkler, Dresden Solist: Günter Kootz, Leipzig. Klavier Mp 723/77 - V 10 13 4738