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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 28. Mai 1977, 20.00 Uhr Sonntag, den 29. Mai 1977, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 9 AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur, Leipzig Solistin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Felix Mendelssohn Bartholdy Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 g-Moll 1809-1847 °P- 25 Molto allegro con fuoco Andante Presto, molto allegro e vivace Robert Schumann 1810-1856 Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 Ziemlich langsam — Lebhaft / Romanze Scherzo / Langsam — Lebhaft Sergej Rachmaninow 1873-1943 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 Moderato Adagio sostenuto Allegro scherzando Maurice Ravel 1875-1937 La Valse - Poeme choreographique CECILE OUSSET, die prominente französische Pianistin, wurde in Tar- bes geboren und zeigte bereits in frühester Kindheit ein außerordent liches musikalisches Talent. Sie studierte Klavier bei Marcel Ciampi am Pariser Conservatoire, wo sie schon mit 14 Jahren einen ersten Preis gewann. 1953 errang sie den Prix Claire Pages und wurde Preis trägerin des Marguerite-Long- Jacques-Thibaud-Wettbewerbs in Pa ris, ein Jahr später des Internatio nalen Musikwettbewerbs in Genf, 1955 erste Preisträgerin des Viotti- Wettbewei bs sowie 1959 des Bu- soni-Wettbewerbs und 1962 des Van- Cliburn-Wettbewerbs ; beim Königin- Elisabeth-Wettbewerb 1955 in Brüs sel belegte sie einen vierten Platz. Diesen internationalen Wettbe werbserfolgen steht eine ebenso erfolgreiche Konzerttätigkeit in fast allen europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika, Japan, auf den pazifischen Inseln und in ver schiedenen Staaten Nordafrikas ge genüber. Soeben kehrte sie von einer großen England-Südafrika- fournee zurück. Rundfunk- und Fernsehstationen sowie Schallplat-» tenfirmen verpflichteten die Künst lerin zu Aufnahmen, die ihren Ruf noch verbreiteten. Bei DECCA been dete sie in diesem Jahr die Ge samtaufnahme der Variationen von Beethoven. Für ihre Aufnahme des 2. Klavierkonzertes von Brahms mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur erhielt sie 1977 den Grand Prix der Academie du Disque Franqais. Bei der Dresdner Philharmonie ist Cecile Ousset seit 1966 ständiger Gast. ZUR EINFÜHRUNG Mit den Streichquartetten a-Moll (op. 13) aus dem Jahre 1827 und Es-Dur (op. 12) von 1828 begann Felix Mendelssohn Bartholdys zweite Schaffens periode, zu deren Meisterwerken die Ouvertüren „Meeresstille und glückliche Fahrt", „Die Hebriden" und „Das Märchen von der schönen Melusine", die „Ita lienische Sinfonie", die Kantate „Die erste Walpurgisnacht" und unter verschie denen Klavierwerken („Lieder ohne Worte") besonders das Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25 gehören. Dieses Konzert steht unter Mendelssohns Wer ken für Klavier und Orchester an erster Stelle. 1831 32 entstanden, hebt sich das frische, brillante Werk mit seiner einfachen, klaren Gedankenwelt vorte Ihaft ab von der Flut äußerlicher Virtuosenkonzerte der damaligen Zeit. Klassische Ein flüsse, besonders Beethovens, werden spürbar. Es kommt zu einem wirklichen „Konzertieren" zwischen Solist und Orchester, zu einer schönen musikalischen Ent wicklung. Mendelssohn wurde zu dem Werk durch die Münchner Pianistin Del phine von Schauroth inspiriert, die dem Komponisten sicher nahegestanden hat, da er ihr seine Arbeit widmete, was er sonst nur selten tat. Robert Schumann erzählte er, daß er das im Kopf fertig konzipierte Konzert nach der Rückkehr von seiner Italienreise in München in drei Tagen niedergeschrieben habe, wo er es auch im Oktober 1832 selbst zur Uraufführung brachte. „Das dreisätzige Werk ist knapp gehalten und ähnelt einer großen Fantasie, zumal die Sätze ineinander übergehen und der letzte Sa'z einer großen Impro visation gleicht. Insofern entfernt es sich von der konventionellen Form des Kon zertes, in dem Tutti und Soli als selbständige Teile regelmäßig angeordnet sind. Die virtuose Anlage des Klavierparts ordnet sich der musikalischen Gestaltung unter, überflüssige Figurationen sind vermieden. Das Ganze atmet einen freu digen Optimismus, besonders in den Ecksätzen. Daneben steht der liedhaft lyrische Charakter des Mittelsatzes — Kennzeichen, die auch der Italienischen Sin fonie innewohnen" (K.-A. Köhler). Robert Schumanns 4. Sinfonie in d-Moll op. 120 ist sein sinfo nisches Hauptwerk. Sie entstand in seiner glücklichsten Zeit, im „Sinfoniejahr" 1841, kurz nach der „Frühlingssinfonie". Ungeachtet ihres großen Reichtums an lyrischen Gedanken fand sie bei der Uraufführung am 6. Dezember 1841 im Leip ziger Gewandhaus unter dem Konzertmeister David nicht den verdienten Erfolg. Doch der Komponist war von dem Werte seiner Schöpfung durchaus überzeugt, schrieb er doch 1842: ich weiß, die Stücke stehen gegen die erste (Sinfonie) keineswegs zurück und werden sich früher oder später in ihrer Weise auch glän zend machen." Zehn Jahre später nahm er die Partitur noch einmal vor. Kurz vor der Uraufführung der zweiten Fassung am 3. März 1853 in Düsseldorf schrieb Schumann dem holländischen Dirigenten: „Ich habe die Sinfonie übrigens ganz neu instrumentiert, und freilich besser und wirkungsvoller, als sie früher war." Das Werk wird im chronologischen Verzeichnis als 4. Sinfonie gezählt. Die Grundstimmung ist ernster, gedankenschwerer als die der „Frühlingssinfonie", doch gewährt das fast Beethovensche Pathos einiger Abschnitte auch idyllisch humorigen Partien Raum. Inhaltlich spiegelt sie Schumanns Kampf gegen alles Philisterhaft-Hohle in der Kunst wie im Leben seiner Zeit wider. Dem Untertitel „Introduktion, Allegro, Romanze, Scherzo und Finale in einem Satz" entsprechend sind die vier Teile des Werkes ohne Pausen miteinander verbunden — typischer Ausdruck der Neigung der Romantiker zur Verwischung und Auflösung der klassi schen Sonatenform. Die einzelnen Sätze sind nicht nur äußerlich, sondern auch ideell-thematisch eng miteinander verknüpft, wodurch das Ganze den Charakter einer sinfonischen Fantasie erhält und eine Vorstufe zur sinfonischen Dichtung, wie sie später üblich werden sollte, bildet. Dunkle, ernste Kampfstimmung waltet in der langsamen Einleitung des ersten Satzes. Eine auf- und absteigende Achtelfigur wird ausdrucksmäßig ausgeschöpft.