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DRESDNER PHILHARMONIE Öffentliche Generalprobe Meßelektronik 10.00 Uhr Sonnabend, den 16. April 1977, 20.00 Uhr Sonntag, den 17. April 1977, 20.00 Uhr Feslsaal des Kulturpalastes Dresden 9. PHILHARMONISCHES KONZERT • Dirigent: Günther Herbig Solist: Ricardo Odnoposoff, USA, Violine Ernst Hermann Meyer geb. 1905 „Kontraste, Konflikte" -- Sinfonia für Orchester (1977) Allegro moderato Adagio Andante con moto quasi Allegretto Allegro non troppo - Impetuoso - Allegro non troppo Auftragswerk der Dresdner Philharmonie Uraufführung Peter Tschaikowski 1840-1893 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 Allegro moderato Canzonetta (Andante) Finale (Allegro vivacissimo) PAUSE Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Robert Schumann 1810-1856 Andante un poco maestoso — Allegro molto vivace Larghetto Scherzo (Molto vivace) Allegro animato e grazioso RICARDO ODNOPOSOFF, einer der bedeutendsten Geiger unserer Zeit, wurde 1914 als Sohn russischer Eltern in Buenos Aires geboren, wo er sein erstes Konzert im Alter von fünf Jahren gab. Nach siebenjähriger Ausbildung bei Leopold von Auer vervollkommnete er sein Können 1927 bis 1932 in Berlin unter anderem bei Carl Flesch. Beim Internationalen Violinisten-Wett- bewerb 1932 in Wien und beim Internationalen Eugene-Ysaye-Wettbewerb 1937 in Brüssel (hier gemeinsam mit David Oistrach) errang er erste Preise. In der Folgezeit führten ihn Konzert reisen durch alle Kontinente. Er konzertierte mit prominentesten Klangkörpern unter Dirigenten, wie Toscanini, Walter, Rodszinski, Bernstein, Weingartner, Furtwängler, Busch, Cluytens, Hindemith, Ansermet, Rossi, Mengelberg, Konwitschny. Zeitweilig war er Konzertmeister der Wiener Philharmoniker. Von 1944 bis 1956 konzertierte er mit großem Erfolg von New York aus und lebt seitdem als angesehener Lehrer der Musikakademie und weithin berühmter Violinist in Wien. Er lehrt auch in den Sommerkursen des Mozarteums in Salzburg und in der Sommerakademie in Nizza. Seine Schallplatten bei den verschiedenen Weltfirmen erreichten hohe Auflageziffern. Bei der Dresdner Philharmonie war er bereits 1960, 1962, 1970 und 1971 zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Ernst Hermann Meyer wurde im Jahre 1905 in Berlin als Sohn eines Arztes und einer Malerin geboren. Seit 1919 erhielt er von Walter Hirschberg Unterricht in Musiktheorie. 1927 begann er in Berlin bei Johannes Wolf, Friedrich Blume, Arnold Schering und Erich von Hornbostel das Studium der Musikwissen schaft, das er in Heidelberg bei Heinrich Besseler mit einer Dissertation über „Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Jahrhunderts" abschloß. Gleichzeitig ver vollkommnete er sich bei Max Butting, Paul Hindemith und namentlich bei Hanns Eisler in der Komposition. In den schweren Jahren der Emigration nach 1933 mußte er sich notgedrungen Brotberufen zuwenden, die mit seinem künstlerischen und wissenschaftlichen Beruf wenig oder nichts zu tun hatten. Doch die Verbin dung zur Arbeiterschaft — er emigrierte nach England und betätigte sich als Dirigent von Arbeiterchören, für die er auch komponierte — gab ihm neue Ener gie, seine wissenschaftlichen und kompositorischen Ziele zu verfolgen. 1948 wurde er als Ordinarius für Musiksoziologie an die Humboldt-Universität Berlin berufen. Prof. Meyer, der mehrfach mit dem Nationalpreis und anderen hohen s'aatlichen Auszeichnungen unserer Republik geehrt und 1965 zum Ehrendoktor der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg ernannt wurde, ist seit 1950 Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR und war 1965—1969 deren Vize präsident. Seit 1967 ist er ferner Präsident der Georg-Friedrich-Händel-Gesell schaft und seit 1968 des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR (1965—1971 auch des Musikrates der DDR). Das künstlerische und wissenschaftliche Wirken verschmilzt bei E. H. Meyer zur Einheit; er genießt Achtung und Verehrung als bedeutender Komponist und Gelehrter. Neben grundlegenden Beiträgen zur marxistischen Musikwissenschaft hat er eine Fülle vielfältiger und kontrastreicher Kompositionen vorgelegt, dar unter Standardwerke der sozialistischen Vokalsinfonik, Oratorien, Kantaten, Mas sen- und Sololieder, Chöre, die Oper „Reiter der Nacht", Filmmusiken, aber auch bedeutende Kammermusiken und Werke für Orchester, die den Besuchern unse rer Konzerte größtenteils vorgestellt wurden. In E. H. Meyers Stil sind die ver schiedensten Nuancen von zarter Lyrik bis zur grellen Dissonanz und Härte dramatischer Höhepunkte vereinigt. Aus den Interpretationen Meyerscher Werke bei der Dresdner Philharmonie heben sich die Uraufführungen der Konzertanten Sinfonie für Klavier und Orchester (1962) und der im Auftrag des Orchesters geschriebenen Sinfonietta (1967) hervor, aus der die Sinfonie in B hervorging. Nun hat E. H. Meyer neuerlich im Auftrag der Dresdner Philharmonie eine urspründlich als Sinfonietta konzipierte Sinfonia „Kontraste, Kon flikte" komponiert, die heute ihre Uraufführung erlebt. Der erste Satz (Allegro moderato) beginnt mit dumpfen und geheimnisvollen, polyphon-raunenden Stimmen in den tiefsten Lagen des Orchesters; die Tempo bewegung ist zunächst ruhig. Allmählich gewinnt dieser Anfangsteil an Laut stärke, Höhe und Erregtheit, er gipfelt in einem Fortissimo der Celli und Brat schen. Es wiederholt sich in der Mittellage dieser Ablauf von leise—ruhig-tief zu kraftvoll-lebhaft—hell, diesmal von Oboen, Klarinetten und Fagotten intoniert. Wieder verdichtet sich die Bewegung, steigert sich die Klangintensität. Ein drittes Mal läuft — ausgehend von hohen Violinen, Flöten und Piccolo — das gleiche Spiel in den höchsten Lagen des Orchesters ab, wiederum vom Piano zu laut starkem Höhepunkt anwachsend. Ein schlagender, etwas konträrer Rhythmus (4-|_4—|—1) gliedert das Orchestergeschehen. Eine scharfprofilierte Posaunenfigur gesellt sich dazu. Ein Streicher-Crescendo führt zu harten Orchesterschlägen im Hauptrhythmus des Satzes, diesen mit äußerster Kraft abschließend. in denkbarem Gegensatz zu ihm steht das Adagio, das, von der Klarinette ein geleitet, ganz auf Melodie, Lyrik und solistischen Ausdruck gestellt ist. Dieser zweite Satz ist dreiteilig. Im ersten Abschnitt dominieren zarte Streicher- und Holzbläserlinien. Nur einmal klingt die Erinnerung an die insistierenden Rhythmen des ersten Satzes nach. Dann übernimmt die Harfe die Führung; langsame, dunkel-getönte Bläser-Glissandi erklingen neben ihr. Der Schlußteil verhaucht im Ton des Satzanfangs wiederum mit einer einsamen Klarinette.