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Ehren des Revolutionsgenerals Bonaparte zu schaffen und ihm zu widmen. Be geistert griff Beethoven den Vorschlag auf, doch zögerte er mit der Ausführung so lange, bis die Werkidee einer ihm vorschwebenden Heldensinfonie mehr und mehr in ihm reifte, und er auch die technische Meisterschaft zu einem solch großen Vorhaben besaß. Erst im Jahre 1801 sind Skizzen für den Trauermarsch und das Finale nachweisbar. Die genaue Konzeption und schließliche Ausarbei tung seines Projektes begann Beethoven erst 1803 und beendete sie im Mai 1804. Zweifellos hatte der Meister in Bonaparte den ersehnten Freiheitshelden und Vollstrecker einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gesehen, vermerkte er doch auf dem Titelblatt seiner neuen Sinfonie: „Geschrieben auf Bonaparte“. Doch als sich am 18. Mai 1804 der erste Konsul der französischen Republik zum Kaiser ausrufen ließ, tilgte Beethoven, grausam enttäuscht über die Wandlung seines Idols zum Tyrannen, die Widmung und überschrieb das fertige Werk nun „He roische Sinfonie, komponiert, um das Andenken eines großen Mannes zu feiern". Darin aber liegt auch die ganze programmatische Idee des Werkes begründet, das ganz allgemein „die Idee vom Heldentum eines von republikanischen Tu genden erfüllten großen Mannes, in dessen Erscheinung sich Beethoven die pro gressiven politischen und gesellschaftlichen Ziele seiner Zeit repräsentiert vor stellte“ (K. Schönewolf), gestaltet, nicht etwa Episoden aus dem Leben Bonapar tes. Erstmals ging Beethoven in der „Eroica" — als Konsequenz seiner revolutionär demokratischen Weltanschauung - von einer bestimmten programmatischen Idee aus. Diese wiederum hatte zur Folge, daß er zu neuartigen künstlerischen Lö sungen kam, ohne dabei die sinfonische Tradition aufzugeben. Dieses Neue, Epochale der schon rein umfangmäßig ungewöhnlichen 3. Sinfonie bewirkte auch, daß die Uraufführung des Werkes am 7. April 1805 im Theater an der Wien selbst bei den innigsten Anhängern Beethovens keineswegs auf vollstes Verständ nis stoßen konnte. Ungewohnt aber erschien Beethovens Zeitgenossen nicht so sehr das scheinbar Maßlose einer bis dahin unerhörten „Musikentladung", son dern mehr noch die neue Ordnung dieser Sinfonie, die das bei Haydn und Mo zart Gewohnte unermeßlich steigerte. Es war, kurz gesagt, die erstmals konse quent angewandte Technik der „durchbrochenen Arbeit", ein differenziertes Ent wicklungsprinzip des thematisch-motivischen Materials, das seineseits zur Ent faltung neuer, erweiterter Proportionen bedurfte. Das sinfonische Schwergewicht ist auf die wesentlich erweiterte Durchführung, namentlich des ersten Satzes, ge legt; auch die abschließende Coda hat an Profil und Bedeutung gewonnen. Denkt man an Beethovens 1. und 2. Sinfonie, so werden die Unterschiede gegen über der 3. deutlich: der beträchtliche Sprung vom Einfachen zum Komplizierten in geistiger, formaler und instrumentatorischer Hinsicht. Die schroffen Dissonan zen und wilden Ausbrüche, die unerwarteten Modulationen verleihen dem ersten Satz seine bestechende Wirkung. Einmalig in der gesamten sinfonischen Litera tur ist wohl die Trauermusik des zweiten Satzes. Zum ersten Male voll ausge prägt ist Beethovens Scherzotyp im dritten Satz der „Eroica“ mit seinen hartnäcki gen Wiederholungen und dämonischen Steigerungen, die im Trio durch roman tischen Hörnerklang unterbrochen werden. Variationsform — zugrundeliegt das Thema eines Contretanzes aus Beethovens Ballett „Die Geschöpfe des Prome theus“ — und Kontrapunktik bestimmen schließlich die ungewöhnliche Anlage des Finales mit seinem tänzerischsieghaften Ausklang. „Die .Eroica' ist und bleibt die höchste musikalische Verkörperung der Ideenwelt der bürgerlichen Revolution, in vier ungeheuer plastisch entworfenen Bildern", die ihre stärksten Kräfte aus den Fanfaren, Hymnen, Märschen und Liedern der Französischen Revolution ziehen (W. Siegmund-Schultze). Prof. Dr. Walther Siegmund-Schultze Dmitri Schostakowitsch zum Gedenken (III) Es ist möglich, ähnliche Einteilungen wie bei den 15 Sinfonien Schostakowitschs auch bei den 15 Streichquartetten, dem anderen großen Schaffensstrang des Meisters, vorzunehmen, obwohl offensichtlich ist, daß hier zartere, differenzierte Töne angeschlagen werden, die diesem Klangkörper gemäß sind. Man kann hier genauso wie in den Sinfonien den Entwicklungsgedanken als zentralen ansehen, kann in wachsendem Maße formschöpferische Zielsetzung erkennen, aber auch den gelegentlich stark betonten Willen zur Klassizität, wie ihn etwa das 6. Streichquartett demonstriert. Und es gibt auf der anderen Seite echte „Erlebnis“- Werke, wie sie insbesondere das 7. Streichquartett, das 8. Quartett, den „Opfern des Faschismus und des Krieges gewidmet", schließlich das großartige 13. Quar tett darstellen. Der tragödienhafte Zug ist auch hier nicht zu überhören. Daß es auT dem Gebiete der Kammermusik — denken wir an das e-Moll-Klaviertrio oder das g-Moll-Klavierquintett, an die Violinsonate — genügend Beispie'e echter formschöpferischer Neugestaltung gibt, ist offensichtlich, und schließlich hat Schostakowitsch auf dem Gebiete der Klaviermusik zumindest mit den Prä ludien und Fugen Beispiele für das schöpferische Verhältnis zum Erbe gegeben. Wenn hier die Anknüpfung an Chopin bzw. Bach deutlich ist, wenn wir bei den Streichquartetten Schubert und Beethoven, bei den Sinfonien Beethoven und Mahler als die großen Ansatz- und Ausgangspunkte erkennen, so leuchtet immer wieder, etwa bei der Doppelfolge von Klavier-, Violin- und Violoncello-Konzer ten, das große Doppelvorbild Brahms/Prokofjew hervor, das Schostakowitsch viel stärker geprägt hat, als bisher angenommen. Hinzu kommen Dinge, die Schostakowitschs schöpferische Eigenart in hohem Maße bestimmen: 1. Die Parallelität der Schaffenskomplexe (15 Sinfonien/15 Streichquartette; je 2 Konzerte für die führenden Instrumente; die Doppelfolge von Präludien für Klavier). 2. Das Streben, die traditionsreichen Formen und Gattungen zu bewahren und weiterzuentwickeln — Sonate, Fuge, Sinfonie, Streichquartett. Das geschieht aus dem Bewußtsein heraus, hier den besten Ausgangspunkt für seine weit reichenden Konzeptionen zu finden. 3. Von den großen Ideen der Klassik übernimmt Schostakowitsch vor allem den Gedanken der sinfonischen Konflikthaftigkeit, der Entwicklung und der Lö sungstendenz im dynamischen Prozeß des musikalischen Geschehens. 4. Neben diesem prononcierten Sinfonismus steht bei Schostakowitsch als cha rakteristisches Ausdruckspaar einerseits die Elegie, andererseits die Satire (oder gar Groteske), um seinem leidenschaftlich-engagierten Fühlen und kri tischen Denken Ausdruck zu verleihen; hier hat er oft das Gültigste, Konzen trierteste, Erschütterndste und Bewegendste auszusagen. 5. Zuletzt sei die Vorliebe für bestimmte musikalische Techniken hervorgehoben, die nicht neu sind, aber mit dem Schein des Bekannten gänzlich neue Wir kungen und Einsichten erreichen: Das ist einerseits das monodisch-monolo gische Element, das in fast jedem größeren Werk des Meisters auftritt, und das Ostinato, das an Höhepunkten des sinfonischen Satzes oder auch als konzertierender Einzelsatz stets einen Gipfel der Ausdruckskraft und der