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8, April 1908. Hauptversammlung der Nordwestlichen Gruppe. Stahl und Eisen. 505 in bezug auf deren Erörterung die Gruppe den gleichen Weg eingeschlagen hatte wie bei dem Gesetzentwurf betreffend die Arbeitskammern. Mit dem Abfluten der hochgehenden Wogen des Geschäftslebens ist natürlicherweise eine Verschlechterung der Lage auf dem Arbeits- markte Hand in Hand gegangen. Freilich ist es zweifellos, daß man von gewissen Seiten den Grad der Arbeitslosigkeit übertrieben hat und in der Reichshauptstadt notorische Faulenzer auf die Straße hetzte, um ein erschrecklich hohes Maß von Arbeitslosigkeit vorzutäuschen. Gewiß ist zuzugeben, daß im Dezember ein größerer Ueberschuß an Arbeitskräften über die offenen Stellen vorhanden war als in der gleichen Winters zeit der beiden Vorjahre, aber die Arbeitslosigkeit war nicht größer als z. B. 1904 und 1903. Nach den Aufzeichnungen im Reichsamte des Innern kamen auf 100 Einwohner Arbeitslose 1903 1904 1905 1908 1907 2,6 2,4 1,8 1,6 2,6 Solche Ziffern sind keineswegs geeignet, Be unruhigung hervorzurufen. — Im Kohlenbergbau, in der Eisen- und Stahlerzeugung hat übrigens überhaupt nicht von einer Arbeitslosigkeit ge sprochen werden können; es ist dort im Gegen teil stellenweise noch über Arbeitermangel ge klagt worden. Die Mehrzahl der als arbeitslos Gemeldeten hat vielmehr den handwerksmäßigen Berufen angehört. Friseure, Tapezierer usw. stellten das größte Kontingent und, was beson ders für Berlin in Betracht kam, die Bauhand werker. Diese aber haben ihre eigene Arbeits losigkeit und diejenige einer ganzen Reihe wei terer Berufe zum Teil selbst auf dem Gewissen; denn sie haben sie verschuldet durch die lang anhaltenden Streiks und die damit in ursäch lichstem Zusammenhang stehenden Aussperrungen. Bei Betrachtung der S treikStatistik des verflossenen Jahres fällt wie immer auf, daß ein ungemein großer Teil ohne jeden Erfolg ver lief, während die Aussperrungen in allen Fällen von vollem oder wenigstens teilweisem Erfolge begleitet waren. Ein Zeichen, daß die Forde rungen der Arbeiter, deren Erfüllung sie sich durch Kampf zu erzwingen suchen, zum größten Teile unberechtigt, mindestens übertrieben waren. Das trifft übrigens in der Großindustrie nicht nur für die Streitigkeiten mit einer Mehrzahl von Arbeitern, sondern auch im einzelnen zu: denn auch die bei den Gewerbegerichten von einzelnen Arbeitern anhängig gemachten Klagen stellen sich eigentlich nur in seltenen Fällen als ganz oder teilweise berechtigt heraus. Wir haben einer aus dem Kreise unser Mit glieder an uns ergangenen Anregung entsprechend der üblichen Statistik über dieürteile der Gewerbegerichte besondere Aufmerk samkeit zugewandt. Diese Art der Statistik ist dazu angetan, die öffentliche Meinung gegen die großindustriellen Werke einzunehmen, denn sie erweckt den Eindruck, als ob letztere unge mein oft Streitigkeiten vor den Gewerbegerichten auszutragen sich gezwungen sähen, während im Verhältnis zur Zahl der Arbeiter das gerade Gegenteil der Fall ist. Auch von der Erledi gung der Fälle bietet die Statistik ein falsches Bild. Eine mehr spezialisierte Statistik würde zweifellos ergeben, daß die im Wege der Klage gegen die Werke geltend gemachten Ansprüche in der Mehrheit fallen gelassen oder abgewiesen werden mußten, also ungerechtfertigt waren, und ferner, daß die Zahl der Verurteilungen verschwindend gering ist im Verhältnis zu der Zahl der beschäftigten Arbeiter. Wir haben daher einen Antrag auf größere Spezialisierung der amtlichen Statistik an das Reichsamt des Innern gerichtet und zugleich die Werke der Gruppe um Führung einer solchen Statistik nach einem von uns übersandten Formulare für das Jahr 1908 ersucht. Sollte unser Antrag auf Widerstand stoßen, so werden wir auf Grund dieser privaten Statistik in der Lage sein, unser Vorgehen durch beweiskräftiges Material zu unter stützen. Wir nehmen infolgedessen auch hier noch einmal Veranlassung, die Führung dieser Statistik aufs angelegentlichste zu empfehlen. Was übrigens die Rechtsprechung der Ge werbegerichte anbelangt, so verweisen wir au unsere neulichen Veröffentlichungen betreffend die in Sachen der Pensionskassen der Akt.-Ges. Fried. Krupp und der Dortmunder Union er gangenen Urteile. Nun bringt die „Fkf. Ztg.“ vom 9. März d. J. folgende Nachricht aus Dortmund: „Im Gegensatz zum Gewerbegericht Essen in Sachen Krupp hatte das hiesige Gewerbe gericht dahin erkannt, die Dortmunder Union sei verpflichtet, die von abkehrenden Arbeitern einbehaltenen Beiträge zur Witwen-, Waisen- und Invalidenkasse zurückzuzahlen, weil die Bestimmung des betr. Statuts den guten Sitten widerspreche. Ebenso wie das Landgericht in Essen, hat nun das hiesige Landgericht als zweite Instanz dahin erkannt, daß eine solche Statutbestimmung keineswegs den guten Sitten widerspreche. Das hiesige Gewerbegericht läßt sich aber durch das Erkenntnis des Land gerichts nicht beeinflussen, es entscheidet nach wie vor zugunsten der klagenden Arbeiter. Die Sache liegt nun für die Praxis so, daß alle Prozesse über Beträge von unter 100 6 zu ungunsten, alle solche über 100 •6 zugunsten der Union entschieden werden. Bei Objekten unter 100 •6 entscheidet nämlich das Gewerbe gericht endgültig.“ Daß, falls diese Nachricht zutrifft, durch eine solche Spruchpraxis geradezu unhaltbare Zustände geschaffen werden, dürfte auf der Hand liegen. Um dem Ueberhandnehmen des die heimische Landwirtschaft schwer schädigenden Kontrakt-