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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 19. Februar 1977, 20.00 Uhr Sonntag, den 20. Februar 1977, 20.00 Uhr Festsaai des Kulturpalastes Dresden 7. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Ludwig van Beethoven 1770-1827 Ouvertüre zu „Coriolan“ c-Moll op. 62 Allegro con brio Anton Bruckner 1824-1896 Sinfonie Nr. 8 c-Moll Allegro moderato Scherzo (Allegro moderato) Adagio (Feierlich langsam, doch nicht schleppend) Finale (Feierlich, nicht schnell) ZUR EINFÜHRUNG Ludwig van Beethoven schrieb die Ouvertüre zu dem Schau spiel „Coriolan" von Heinrich Joseph von Collin op. 62 im Jahre 1807, in zeitlicher Nähe zur 5. Sinfonie, deren Tonart, c-Moll, sie übrigens aufweist. Die Uraufführung erfolgte in Wien im März des gleichen Jahres. Vermutlich erklang sie auch im Wiener Hoftheater zu Beginn der Auf führungen des Coriolan-Schauspieles, das der österreichische Dramatiker in freier Anlehnung an Shakespeares gleichnamige Tragödie geschrieben hatte. Während die Dichtung heute vergessen ist, gehört Beethovens Ouvertüre — übrigens seine einzige, die tragisch schließt — zum festen Bestand des Konzert repertoires. Wie die 3. Leonoren-Ouvertüre mutet auch die Coriolan-Ouvertüre wie eine sinfonische Dichtung an. Collins Schauspiel führt uns in das antike Rom. Es berichtet vom Kampf der Plebejer gegen die Patrizier. Der stolze, ver blendete Coriolan verrät sein Vaterland, läßt die Bitten seiner patriotisch gesinnten Mutter ungehört und gerät schließlich in seiner Vermessenheit in einen ausweglosen Gewissenskonflikt, der zu seinem tragischen Untergang führt. Bildhaft-realistisch hat Beethoven dieses Geschehen in seiner dramati schen, unmittelbar packenden Ouvertüre gestaltet, die sogleich mit der Vorstel lung des problematischen Helden eröffnet wird (Allegro con brio). Coriolans trotziger, aufbegehrender Charakter wird zunächst durch heftige Akkordschläge, unterbrochen von Generalpausen, angedeutet, bis das herrisch-wilde Haupt thema das Charakterbild deutlicher zeichnet. Das gesangvolle zweite Thema, die bittende Mutter symbolisierend, bringt den musikalisch-inhaltlichen Gegen satz zu der aufgewühlten Stimmung des Hauptthemas. Aus dem Konflikt dieser beiden gegensätzlichen Themen entwickelt sich die faszinierende Dramatik des Werkes. Am Ende erlischt das stolze Coriolan-Thema todesmatt, düster in den tiefen Streichern, den selbstverschuldeten Untergang des Helden ausdrückend. Die Musikgeschichte nennt An ton Bruckner mit Recht einen Sinfoniker, „nicht weil er im wesentlichen Sinfonien geschrieben hat oder weil er mit der Zahl neun in Beethovens Nachbarschaft steht, sondern weil er in dieser Form sein Gültiges so ausgesagt hat, daß wir es aus der Entwicklungsgeschichte der Sinfonie nicht mehr wegdenken können. Bruckner hatte unablässig gelernt, geübt und ausgeübt, das letztere nicht wie ein Instrumentalsolist oder Dirigent auf breiter Basis, sondern auf der Orgelbank. Er hatte musikalisches Kapital in kleiner Münze angehäuft, aber nicht, um es wie ein Geizhals zu horten, son dern um Zinsen daraus zu schlagen zu gegebener Zeit. Er war, als er die Reihe seiner Sinfonien begann, weder ein Mann der kühlen Berechnung, der sich etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blinder Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen" (M. Dehnert). Berechtigt wies Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Welt anschauung von einer Reihe elementarer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teufel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdammnis, Licht und Finsternis, Niederlage und Sieg sind die Welt, in der er lebt." „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Musik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Ein dringlichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Ton sprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wagnersche Einflüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradition Beethovens und Schuberts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hinblick auf kontrapunktische Arbeit erfundenen Themen nicht zu überhören. Bei alledem ist Bruckners Tonsprache äußerst originell, und diese Originalität verdankt er gerade jener Fähigkeit, die von seinen Biographen übersehen, von ihm selbst jedoch in sehr aufschluß reicher Weise dargestellt wurde: seiner Fähigkeit, aus der Beobachtung der Wirklichkeit neue Intonationen zu gewinnen" (G. Knepler). Bruckners Sinfonien, insgesamt Höchstleistungen der Sinfonik des vergangenen Jahrhunderts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonie, die thematisch-motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen, etwa ein männliches und ein weibliches gegenüber, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodie bögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durch führung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bauprinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Episoden von innigstem Ausdruck setzt, wird meistens im letzten Satz gekrönt, wenn alle Themen der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Tonsprache atmet spätromantischen, klangschwelgerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, riesenhaft sind die äußeren Formen der Brucknerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationen" genannt wurden, doch niemals sind sie formlos. Ihre Gesetzmäßigkeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sondern erfordern vom Hörer intensivste Aufmerksamkeit und Hörbereit schaft. Bruckner hat an seiner 8. Sinfonie in c-Moll von 1884 bis 1887 gear beitet. Doch erst am 18. Dezember 1892 gelangte das Werk — nach einer tief greifenden Umgestaltung - unter Hans Richter in Wien zur Uraufführung. Der Meister hatte an diesem Ereignis teilgenommen, obwohl ihm dies die Ärzte seiner Krankheit wegen nur ungern gestattet hatten, und wurde begeistert gefeiert. Hugo Wolf schrieb einige Tage nach der Uraufführung der „Achten" folgende enthusiastischen Sätze: „Diese Symphonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Fruchtbarkeit und Größe alle anderen Symphonien des Meisters. Der Erfolg war trotz der unheilvollsten Kassandrarufe, selbst von Seiten Eingeweihter, ein fast beispielloser. Es war ein vollständiger Sieg des Lichts über die Finsternis, und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren. Kurz, es war ein Triumph, wie ihn ein römischer Imperator nicht schöner wünschen konnte.” Erst auf dem im September 1974 anläßlich des 150. Geburtstages des Komponisten veranstalteten Internationalen Bruckner-Fest in Linz wurde — unter der Leitung von Kurt Wöss — die Urfassung der 8. Sinfonie erstmals öffentlich gespielt. Sie ist um 164 Takte oder sieben Minuten länger als die in den Kon zerten übliche. Man hat die 8. Sinfonie Bruckners die „Krone der Musik des späten 19. Jahr hunderts" genannt. Tatsächlich ist das Werk mit seiner ungewöhnlichen Spiel dauer von 80 Minuten, der verstärkten Instrumentalbesetzung (acht Hörner, vier Tuben, dreifaches Holz und im Trio sowie im Adagio Harfe „womöglich dreifach") eine der gewaltigsten Sinfonien, die je geschrieben wurden. In Bruckners sinfoni schem Schaffen nimmt die „Achte" eine Ausnahmestellung ein: die Architektur ist ins Riesenhafte gesteigert, der Stil wahrhaft monumental und der Aufbau schwer zu überblicken. An die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit des Hörers werden hohe Anforderungen gestellt. Selbstverständlich ist bei einem Meister wie Bruckner die souveräne Beherrschung des gewaltigen Klangkörpers,