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der 8. Sinfonie „Programme" aufge stellt hat, so wirken sie so naiv und unbeholfen, daß man sich eines Lächelns nicht erwehren kann und sie haben keinen eine Programmatik der Musik erhellenden Wert. Anders verhält es sich mit einer Erklärung zum Finale zur3. Sinfonie, in dem ein feierlicher Choral mit einer Polka ge koppelt ist. Darüber sagte er zu einem Freunde: „Sehen Sie, hier im Haus großer Ball — daneben liegt der Meister auf der Totenbahre! So ists im Leben und das habe ich im letzten Satz meiner 3. Sinfonie schildern wollen: die Polka bedeutet den Humor und Frohsinn der Welt — der Choral das Traurige, Schmerzliche in ihr." Frohsinn und Schmerz finden sich in jeder seiner Sinfonien gepaart, und Bruckners Worte sagen hier Allgemein gültiges aus. Er selbst hat einmal an gedeutet, daß das enge Beieinander von Leben und Tod etwas sei, was er habe in seiner Musik ausdrücken wollen. Die 8. Sinfonie nimmt eine Ausnahme stellung in Bruckners Schaffen ein. Sie ist eine der gewaltigsten Sinfonien, die jemals geschrieben wurden; die Architektur ist ins Riesige gesteigert, das Instrumentarium gegenüberden vorhergehenden Sinfonien von Bruckner erweitert worden (8 Hörner, 4 Wagnertuben und im Trio des Scherzos sowie im Adagio Harfe). Die Entwürfe dieser Sinfonie reichen in die Zeit unmittelbar nach Bruckners 60. Geburtstag zurück. Am 16. August 1885 war die Skizze im Steyrer Stadt pfarrhof beendet worden. 1885/86 wurde die Partitur der Erstfassung aus gearbeitet und 1889/90 einer völligen Umarbeitung unterzogen. Die Urauf führung fand am 18. Dezember 1892 durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Hans Richter statt. Das Werk Bruckners hatte be gonnen, sich durchzusetzen, und so wurde denn die Aufführung der 8. fonie zu einem unbeschreiblichen Sin Erfolg für den schon von Krankheit gezeichneten Meister. Im Gegensatz zu den anderen Sinfo nien endet der erste Satz in ausweg loser Resignation. Zweiter und dritter Satz sind umgestellt, so daß das fol gende Scherzo noch von der Tragik des ersten Satzes überschattet bleibt. Erst im Adagio vollzieht sich der große Umschwung, der schließlich im Finale — nach langer Entwicklung — zum strahlenden Höhepunkt führt. Inter essant ist, daß Bruckner den Gedan ken an Überwindung in der Erst fassung schon für den ersten Satz ins Auge gefaßt hatte: er schloß dort mit einem strahlenden C-Dur Akkord. Bruckner muß jedoch empfunden haben, daß diese Lösung aufgesetzt und nicht organisch war und die Schlußlösung vorwegnahm. Erster Satz. Aus dem Nichts, aus dem Urzustand wird das erste, schwer mütige Thema in den tiefen Streiche rn geboren, erhebt sich zum Fortissimo und klingt in den Streichern wieder ab, dem tröstlichen zweiten Raum gebend. In ihm, wie auch im dritten Hauptthema, dominiert ein Viertel- Triolen-Rhythmus. Das dritte Thema hat in seiner Urgestalt wieder — dem Grundcharakter des Satzes ent sprechend — verhaltenen, resignie renden Charakter, erhebt sich dann I jedoch zu strahlendem Glanz. In der Durchführung kommt es zu erregenden Auseinandersetzungen der einzelnen Themen, Themengruppen und Motive (von Bruckner kunstvoll durch meister liches Handwerk — in Umkehrungen, Engführungen, Rhythmusverflechtun- gen usw. — verarbeitet und mitein ander verflochten). In gewaltiger Stei gerung erscheinen erstes und zweites Hauptthema „feierlich breit" gemein sam (das zweite in Umkehrung I). Mit dem Wiederauftauchen des ersten Themas wird die Reprise eingeleitet, in der die Themen noch einmal wieder kehren. Aber Klage und Verzweiflung breiten sich aus, dazu das Klopfen der „Totenuhr" (Bruckner) in der Pauke. Resignation, Stille. Zweiter Satz: Von allen Sätzen Bruckners sind seine Scherzi am ehesten zu erfassen, da ihr formaler Aufbau eindeutig ist. Das Scherzo der 8. Sinfonie basiert auf einem seltsam sperrigen, widerborstigen Thema und es ist, als ob Bruckner gewaltsam der Stimmung des ersten entfliehen wolle; bjie Haupttonart, e-Moll, wird in ihm H>eibehalten. Dieses Scherzothema er hielt von Bruckner den Kosenamen „der deutsche Michel", aber auch hier sollte man dieser Äußerung keine Bedeutung beimessen, da sie nur zu Fehlspekulationen Anlaß gibt. In eine völlig andere Welt führt die stille, schwärmerische Beschaulichkeit des Trios, in dem — wie in fast allen Trios Bruckners, besonders in dem der 4. Sinfonie - typisch österreichische Intonationen anklingen. Dritter Satz. Stärkste Leuchtkraft geht von dem Adagio (feierlich langsam, doch nicht schleppend) aus, das zu Bruckners innerlichsten Sätzen zählt. „Zart hervortretend" hebt sich aus dunklem Des-Dur-Grund das Haupt thema, wird in A-Dur wiederholt und ertönt als erster Höhepunkt im vollen ^Drchesterklang. Nach einem kraft vollen, choralartigen Abgesang ertönt das erste Thema ein drittes Mal, ehe das zweite Thema eingeführt wird : eine singende, weitgeschwungene Melodie in den Celli. Es ist mit Worten nicht zu beschreiben, wie in immer neuen Steigerungsschwüngen neue Höhepunkte erreicht werden, bis schließlich in zwei „Choralwellen" der Blechbläser jene feierliche Krönung zustande kommt, die einem Himmels fluge gleicht, mit Becken, Triangel und Harfenrauschen in lichte Weiten dringt, überirdisch entrückt ist der folgende Satzanhang, traumhaft leise in den Tuben ausklingend. Vierter Satz. Der letzte Finalsatz Bruckners (der zur Neunten ist nicht vollendet) beginnt wie kein zweiter Endsatz des Meisters mit strahlendem Blechbläserglanz, die Streicher beherr schen mit einem festlichen Vorschlags rhythmus weithin die Bewegungsfläche, über der das blechgepanzerte Haupt thema seine „Dreikaiserzusammen- kunft" abhält (Bruckner hat von der Dreikaiserbegegnung in Olmütz be richtet, die Anregung zu diesem Finale gegeben haben soll; aber auch hier wird man gut tun, seine Worte nicht als Inhaltserklärung auszudeuten). Ein zweites, gesangliches Thema in den Violinen folgt, dem sich eine dritte Themengruppe über marschähnlichem Streicherrhythmus anschließt (wie denn auch das zweite Thema nicht allein steht, sondern von einer Gruppe von Motiven umrankt ist). Die gleiche Monumentalität wie bei der Themenaufstellung zeichnet die Durchführung aus. In ihr wird noch einmal aufgeboten, was an satztech nischer Meisterschaft überhaupt mög lich ist. Eingeleitet wird sie mit dem Rhythmus des Hauptthemas des ersten Satzes, so den Bogen spannend vom ersten zum letzten Satz. Der Ur-The- men-Charakter, dessen Geburt wir im ersten Satz verfolgt haben, wird auf diese Weise verdeutlicht. Nach einer Generalpause setzt die Coda ein. In ihr werden die Haupt themen aller vier Sätze zusammen gefaßt und übereinandergetürmt: das des ersten Satzes erscheint in den Bässen, Posaunen, Fagotten und im 4. Horn; das Adagiothema in den Flö ten, der 2. und 3. Klarinette und in der 1. Trompete; das des vierten Satzes andeutungsweise in den Oboen, der 1. Klarinette, dem 3. Horn, der 2. und 3. Trompete; überstrahlt aber werden