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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 25. Dezember 1976, 20.00 Uhr Sonntag, den 26. Dezember 1976, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Johannes Winkler Solistin: Giedre Luksaite-Mrazkova, CSSR, Orgel Johann Christian Bach 1735-1782 Joseph Haydn 1732-1809 Sinfonie g-Moll op. 6 Nr. 6 Allegro Andante piü tosto Adagio Allegro molto Konzert für Orgel und Orchester F-Dur Tempo giusto Adagio ma non troppo Allegro assai Sinfonie Nr. 22 Es-Dur (Der Philosoph) Adagio Presto Menuett Finale (Presto) PAUSE Frantisek Xaver Brixi 1732-1771 Konzert für Orgel und Orchester D-Dur Allegro moderato Andante Allegro molto Johann Sebastian Bach 1685-1750 Suite Nr. 3 D-Dur BWV 1068 Ouvertüre Air Gavotte I und II Bourree Gigue ZUR EINFÜHRUNG Johann Christian Bach, jüngster Sohn Johann Sebastian Bachs, wurde nach des Vaters Tod musikalisch ausgebildet von seinem Bruder Carl Philipp Emanuel. 1754 unternahm er eine Italienreise und wurde in Bologna Schüler Padre Martinis. Einige Jahre später ernannte man ihn zum Dom organisten in Mailand, 1762 ging er nach London als Musikmeister der eng lischen Königin und gründete 1764 gemeinsam mit K. F. Abel die „Bach-Abel- Konzerte“. Johann Christian Bach, dessen Ruhm zu Lebzeiten den des Vaters und seiner Brüder weit überstrahlte, allerdings nach seinem Tode rasch verblaßte, hinterließ ein umfangreiches schöpferisches Werk, etwa 20 Opern, zwei Oratorien, viele Kantaten, Arien, Sinfonien, Klavierkonzerte, Klaviersonaten, Streicher- und Bläserduos, Trios, Quartette, Quintette, Sextette u. a. Erst in unserem Jahrhundert fand das Schaffen des „Mailänder" oder „Londoner" Bach wieder verdiente Wertschätzung. Sein Stil, der die Eigentümlichkeiten der „Mannheimer" mit der anmutig-kantablen italienischen bzw. galanten franzö sischen Manier verband, war von großem Einfluß auf W A. Mozart, der an seinen Vater über ihn schrieb: ich liebe ihn (wie Sie wohl wissen) von ganzem Herzen — und habe Hochachtung für ihn . . Als Sinfoniker hat Johann Christian unter den Bachschen Söhnen wohl die größte Bedeutung. Sein Weg führte von der italienischen Theatersinfonie zur Konzertsinfonie. Die unser heutiges Konzert eröffnende Sinfonie g-Moll op. 6 Nr. 6, die das frühe, dem ersten Londoner Jahrzehnt zugehörige sinfonische Schaffen Johann Christian Bachs repräsentiert, also in den 60er Jahren des 18. Jh. kom poniert wurde, als auch Haydns Sinfonieschaffen einsetzte, ist so recht geeignet, den Komponisten nicht nur als Vorläufer und Wegbereiter der Klas siker, insbesondere Mozaits, sondern als eigene originale Künstlererscheinung kennenzulernen. Freilich sehen wir uns in der leidenschaftlich-ernsten g-Moll- Sinfonie einem Werk gegenüber, das sich kaum in das Bild eines Komponisten fügen will, dem nach dem Urteil seines Zeitgenossen Chr. D. Schubart „das Zärtliche und Verliebte besser als das hohe Tragische" gelang. Gewiß gehört der tragische Grundzug, der diese Sinfonie kennzeichnet, im Schaffen Johann Christian Bachs zu den nur selten berührten Ausdrucksbereichen. Aber besitzt nicht auch Mozarts große g-Moll-Sinfonie eine gewisse Ausnahmestellung? Johann Christian Bachs g-Moll-Sinfonie demonstriert mit der großartigen inne ren Geschlossenheit ihrer Anlage, mit ihrer persönlichen Ausformung und ihrem künstlerischen Gewicht, wie weit sich der Komponist von dem Ausgangs- und Grundmodell für seine Sinfonik, von der dreisätzigen italienischen Opernsinfo- nia, bereits entfernt hat. Dem tragisch-ernsten ersten Satz (Allegro) folgt ein c-Moll-Mittelsatz (Andante piü tosto Adagio), der von einem Ausdruck schmerz voller Größe erfüllt ist. Der Schlußsatz (Allegro molto) jagt in kaum gebän digter Erregung dohin und verklingt nach vielfältigen Kontrasten und grellen Akzenten im Pianissimo. Joseph Haydn, seiner Natur nach kein Virtuose, hat zwar zahlreiche Solo konzerte für die verschiedensten Instrumente geschrieben, ist jedoch für die Ent wicklung der Gattung nicht so wichtig geworden wie etwa für die Sinfonie oder das Streichquartett. Dennoch beginnt sich in unseren Tagen so etwas wie eine Renaissance der Haydnschen Instrumentalkonzerte abzuzeichnen. Immer häufi ger wird der spezifische Reiz dieser zu den Werken der Frühklassik gehörenden Stücke erkannt und gewürdigt. „Ich war auf keinem Instrument ein Hexenmeister, aber ich kannte die Wirkung aller", sagte Haydn von sich. Das Konzert für Orgel und Orchester F-Dur, über dessen Existenz bis dahin nichts bekannt war, wurde erst im Jahre 1958 aufgefunden, als bei der Überführung der Musiksammlung des Prager Ursulinenklosters in die Musikabteilung des Nationalmuseums in Prag ein Mitarbeiter dieses Institutes, Vladimir Srämek, einen Satz alter Stimmen des Werkes entdeckte. Die Entstehungszeit des frischen Werkchens, das lediglich ein mit zwei Hörnern, Streichern und Generalbaß besetztes Orchester verlangt, läßt sich nicht sicher feststellen. Es dürfte zur Gruppe jener frühen Kompositionen gehören, die Haydn noch vor seinem Eintritt in die Morzinische Kapelle geschrieben hat. Haydn war in den Jahren 1755 bis 1758 als Organist bei den Barmherzigen Brüdern in Wien tätig gewesen. Aus jener Zeit stammt das bekannte Orgel konzert in C-Dur. Es ist durchaus möglich, daß das F-Dur-Orgelkonzert in der selben Zeit, oder sogar noch früher, komponiert worden ist. Es vermittelt in sei nem zweistimmigen Solo- wie auch in seinem begleitenden Orchesterpart etwas von der unbeschwerten Spiel- und Musizierfreude des Rokoko. In der Solostimme dominiert virtuoses Arabeskenwerk, mit dem die schlichten Themen reich ausgeziert werden, im anmutigen ersten Satz (Tempo giusto), im gesang vollen Mittelsatz (Adagio ma non troppo) ebenso wie im humorvollen Schluß satz (Allegro assai). Ein reizvolles Frühwerk Haydns, das leider höchst selten zu hören ist, erklingt auch mit der Sinfonie Nr. 22 Es-Dur, die den Titel „Der Philosoph" erhalten hat. Das Werk wurde 1764 komponiert (fünf Jahre zuvor war die erste seiner insgesamt 104 Sinfonien entstanden) und ist nicht nur durch die Besetzung, sondern auch durch die Form eigenartig. Der erste Satz ist ein Adagio in Sonatenform, auf den ein Presto, ebenfalls in Sonatenform, folgt. Der dritte Satz ist ein Menuett, der vierte wiederum ein Presto. Heiterkeit, Frohsinn und teilweise derber Humor zeichnen das Werk aus. Haydn hält hier schon manches Beispiel für die in der Folge von ihm so gern ange wandten harmonischen und rhythmischen Überraschungseffekte bereit. Den Namen der Sinfonie mag die bedächtig schreitende und sinnende Haltung des einleitenden Adagiosalzes ausgelöst haben, der an eine Bachsche Choralbear beitung (mit cantus firmus in den Bläsern) denken läßt. Frantisek Xaver Brixi entstammte einem weitverzweigten Musiker geschlecht aus Nordwest-Böhmen. Er wurde 1732 in Prag geboren. 1744 trat er als Schüler in das Piaristengymnasium in Kosmonosy ein, an welchem vorher,