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Das spielfreudige Werk, das dem Solisten mit seinen Verzierungen und brillanten Läufen reichlich Gelegenheit gibt, seine technischen Fertigkeiten zu beweisen, besitzt durch die jugendliche Frische und klassische Klarheit seiner musikalischen Gedanken einen hellen, kraftvollen Charakter, der an die Nähe der 1. Sinfonie erinnert. Klarinetten, Trompeten und Pauken verstärken noch diesen festlich optimistischen Eindruck. Wie üblich steht der erste, umfangreichste Satz (Allegro con brio) des Konzerts in Sonatensatzform. Die Orchestereinleitung bringt die Themenaufstellung. Ein akkordisches Marschthema kündigt den strahlenden Cha rakter des Werkes an. Zunächst leise beginnend, wird es bis zum Tutti gesteigert. In Es-Dur steht das gesangvolle zweite Thema, das nach einer kurzen Durchfüh rung wieder vom Hauptgedanken und einem marschartigen Nachsatz abgelöst wird. Nun setzt das Soloinstrument ein und leitet zum Hauptthema über, das variiert und mit glanzvollen Passagen umspielt wird. Den Durchführungsteil be herrscht in erster Linie der Solist, obwohl das Orchester durchaus selbständig in die musikalische Entwicklung eingreift und den Satz — nach der solistischen Ka denz — epilogartig beschließt. Von intimem Stimmungsgehalt erfüllt ist der Mittel satz, ein As-Dur-Largo, das wie eine große lyrische Gesangsszene des Soloinstru mentes anmutet. Innige Empfindungen drücken das kantable Hauptthema, die reichen Verzierungen und Kantilenen dieses Satzes aus. Das Orchester, mit dem Solisten dialogisierend, steigert den Gefühlsgehalt der musikalischen Aussage. Mit einem übermütigen tanzliedhaften Thema eröffnet das Soloklavier das Rondo-Finale (Allegro). Auch das Kontrastthema berührt wie ein Volkslied. Humorvoll, spritzig ist der Charakter des Finales, das wirkungsvoll das Konzert krönt. Mit der 15. Sinfonie A-Dur op. 141, die im Sommer 1971 vollendet und im Januar 1972 in Moskau uraufgeführt wurde, kehrte Schostako- witsch nach achtzehn Jahren wieder zur reinen Instrumentalsinfonie zurück. Sie darf, wie die vorangegangenen Kompositionen, als ein Meisterwerk ange sehen werden, wirkt jedoch in klanglicher Hinsicht noch subtiler und gereifter, von tieferem philosophischem Ernst bestimmt. Sie ist zwar ein tragisches Werk, aber zugleich eines, aus dem immer wieder der Gedanke der Hoffnung und Zuversicht kräftig hervorbricht. Es wäre naheliegend, diese Sinfonie eine opti mistische Tragödie zu nennen. Zweimal wird der Anlauf genommen, in zwei gleichlautenden, doch sonst sehr voneinander abweichenden Satzpaaren (Alle- gretto Adagio, Allegretto Adagio) das Bejahende wie Tragische und dessen kämpferische Überwindung zu gestalten. Züge einer neuartigen und eigenwilligen Dramaturgie sind erkennbar. In den Ideengehalt eingeschmolzen werden zwei Zitate aus fremder Hand: die Marschepisode aus Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Teil", das Schicksalsmotiv aus Wagners „Walküre". Sie stehen jedoch nicht für sich allein, sondern verdichten, „konkretisieren" eine bestimmte Ausdruckshal tung, können aber auch als Bekenntnis Schostakowitschs zu diesen beiden Mei stern und ihren Werken aufgefaßt werden. Zumindest bei Rossini läßt sich das sagen, auf den der Komponist schon im Finale der 6. Sinfonie zurückgegriffen hat. Trotzdem folgte Schostakowitsch auch in seiner letzten Sinfonie dem Personalstil konsequent, mit überlegener Reife und tief empfundener Musikalität. Scherzoartig beginnt der erste Satz, ein freches und spritziges Allegretto, in dem mehrere thematische Gedanken ihr übermütiges Spiel treiben. Zunächst hören wir ein kurzes Motiv in der Flöte, aus dessen Kern ein fast improvisatorisch wir kendes Solo über mehr als 30 Takte entwickelt wird. Die grundlegende Aus druckshaltung ist hier schon exponiert: Lebensfreude, Unbeschwertheit und Spaß an der Pointe .Der lebensbejahende Charakter des Satzes wird auch bei weiteren motivisch-thematischen Einzelheiten deutlich; zum Beispiel, wenn plötzlich das erwähnte „Tell"-Thema von Rossini erklingt, frisch und marschartig pointiert, von den Blechbläsern intoniert, die es dann noch mehrmals in das turbulente Ge- WLADIMIR KRAINEW, der junge sowjetische Pianist, erhielt den ersten Musikunterricht im Elternhaus, ehe er nach seinem siebenten Lebensjahr eine Musikschule in Charkow besuchte. Anschließend setzte er seine Studien an der Zentralen Musikschule des Moskauer Konserva toriums als Schüler von Prof. Anaida Sumbatjan fort. Nach 1962 übernahm der bedeutende sowjetische Klaviervirtuose Heinrich Neuhaus die weitere Ausbildung des jungen Künstlers. 1967 legte er das Staatsexamen ab und vertiefte anschließend seine Studien als Aspirant von Stanislaw Neuhaus. Bereits als Student errang Wladimir Krainew internationale Anerkennung, als er 1963 beim Wettbewerb in Leeds mit dem 2. Preis ausgezeichnet wurde. 1964 ging er als 1. Preisträger aus dem „Viana da Motta-Wettbewerb" in Lissabon hervor. Mit der Ver leihung des 1. Preises im Tschaikowski-Wettbewerb Moskau 1970 fand seine Laufbahn einen erneuten Höhepunkt. Konzertreisen führten ihn bisher u. a. nach Großbritannien, Österreich, Italien, Spanien, Rumänien, Westberlin, Kuba, in die USA, nach Mexiko, Japan, Singapur, den Philippinen, nach Frankreich, in die DDR, die SFR Jugoslawien, nach Skandinavien. Bei der Dresdner Philharmonie war Wladimir Krainew bereits 1974 zu Gast.