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ZUR EINFÜHRUNG Georgi Wassiljewitsch Swiridow, der im Dezember vergangenen Jahres 60 Jahre alt wurde, gehört zu den geachtetsten Persönlichkeiten der älteren Komponistengeneration in der UdSSR. Was dieser Künstler über den von ihm verehrten Dichter Sergej Jessenin sagte, trifft gleichermaßen auch für die Werke des im Kursker Gebiet, südwestlich von Moskau, aufgewachsenen Musikers zu: „Seine Themen sind die russische Natur und das Leben der Menschen auf dem Lande. Er ist der Sänger des Dorfes, des alten russischen Dorfes mit seiner Armut und auch des neuen, das mit der Großen Revolution von 1917 geboren wurde". Swiridow, der 1941 das Leningrader Konservatorium als Schüler Dmitri Schosta- kowitschs absolvierte, hat Orcheslerwerke, vokalsinfonische Arbeiten, Kammer musik sowie Kompositionen für Film und Theater geschrieben. Zu seinen be deutendsten Stücken gehören das 1955 entstandene Oratorium „Zum Gedenken an Sergej Jessenin" sowie die auch bei uns auf Schallplatten zugänglichen „Kursker Lieder" nach Volkstexten, die in ihrer epischen Breite und robusten Energiegeladenheit dem erhabenen Gesang russischer Volkschöre nahestehen, die Kantate „Das alte Rußland", die Musik für Kammerorchester und die heute erklingende dreisätzige Sinfonie „Kleines Triptychon" für Streicher, Holz- und Blechbläser, umfangreiches Schlagzeug, zwei Harfen und Klavier. In diesem 1964 verfaßten Werk, das mit den Vokalkompositionen Swiridows aufs engste korrespondiert, hat der Autor Wesenselemente alter russischer Lieder durch zeitgemäße Verarbeitung von Melodik und Rhythmik, vor allem aber durch originelle Instrumentierung in neue Zusammenhänge gestellt. Gleichsam aus vergangenen Zeiten zu uns herüberklingend, in seiner herben Quart-Quint-Intonation jedoch erstaunlich gegenwärtig, wirkt das einleitende Streicherthema, dessen ruhige Gelassenheit durch ein gemächlich pendelndes Klarinettenmotiv und das phantastisch anmutende Spiel der Celesta noch unter strichen wird. Lediglich die Einwürfe der Oboen und Hörner, ein bewegtes Oboensolo und durchdringende Bläsersignale unterbrechen die ebenmäßige Ruhe dieses Satzes, der im dreifachen Piano verklingt. Kraftvoll und majestätisch beginnt der zweite Satz mit einem massiven Chor der Blechbläser, der nach kurzer kanonischer Verarbeitung zu volltönendem Tutti des Orchesters geführt wird. Elementar zupackend bricht der dritte Satz herein, in dem sich ein markantes Thema der Flöten und ersten Violinen über beharrlichen Akkordwiederholungen von Celesta, zwei Harfen und Klavier entfaltet. Lebhafte Figurationen durch Triangel, Campanelli und Celesta erinnern an den zuweilen schrillen Klang eines Ensembles kleinerer Glocken, bis sich auch dieses übermütige Spiel dem fernen Ruf der mit der Flöte wechselnden Klarinette unterordnet und sich über leiser werdendem Achtelrhythmus der Trommel verliert. über sein „Kleines Triptychon" äußerte Swiridow einmal: „Dieser Komposition liegen die Traditionen der alten russischen Musik, ja sogar der archaischen Kultmusik zugrunde. Mir scheint, daß diese uralte Kunst heute von neuem belebt werden sollte; denn sie birgt viel Frische, Unverbrauchtheit und Urwüchsigkeit in sich." Gerade weil es der Komponist so hervorragend verstanden hat, jenen Geist der Volksmusik seiner Heimat unmittelbar erlebbar werden zu lassen, ist die Begegnung mit diesem Werk von besonderem Reiz für uns. Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Violinkonzert D-Dur op. 77 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solo- EDUARD SEROW wurde 1937 geboren. Im Alter von sechs Jahren begann er das Vio- lin- und Klavierspiel an der Gnessin-Musikschule in Mos kau zu erlernen. Später kamen noch Chordirigieren und Kompositionsunterricht hinzu. Anschließend studier te er in der Dirigentenklas se des Konservatoriums in Kiew und vervollkommnete seine Ausbildung nach dem Staatsexamen als Assistent Jewgeni Mrawinskis an der Leningrader Philharmonie. Darüber hinaus betrieb er noch Kompositionsstudien bei Prof. W. Salmanow. In ternationale Anerkennung erwarb sich der junge Diri gent als Preisträger des In ternationalen Dirigenten wettbewerbes in Westberlin, der unter dem Patronat von Herbert von Karajan steht. Gastspiele führten ihn u. a. zu führenden Orchestern der UdSSR, Dänemarks und der DDR. Gegenwärtig ist er Chefdirigent der Philhar monie von Uljanowsk. stimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, „daß das . . . herauszukriegen" und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die 2. Sinfonie D-Dur und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violin konzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahms’ Leitung urauf geführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosenkonzertes unterscheidet, war vom Kom ponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem