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und Angelus Silesius und das heute zur Uraufführung gelangende Werk, d:e im Zeitraum von Sommer 1975 bis Februar 1976 für Eckart Haupt geschaffene Komposition für Flöte und Orchester. Jörg Herchet wurde in seiner musikalischen Ausbildung maßgeblich durch die Beschäftigung mit der neueren Wiener Schule gefördert, besonders durch die Auseinandersetzung mit dem Schaffen Arnold Schönbergs und Anton von We- berns. Von Webern empfing er beispielsweise die Verpflichtung zur Klarheit und Strenge der Konstruktion, während Schönberg ihm den Weg wies, dem inneren Wachstumsgesetz eines werdenden Werkes gesammelt zu folgen. So äußerte Herchet einmal: „Stille ist der Anfang der Musik. Das Wort kann nicht zur Musik führen, höchstens zur Stille, in der es verlischt und den Tönen Raum gibt." In dieser Haltung wurde er durch das Urteil seines Lehrers Paul Dessau bestärkt, daß über eine Komposition nicht Wünsche oder Absichten, auch nicht Technik oder Stil entscheiden, sondern nur die Töne, die tatsächlich erklingen: der musi kalische Gehalt. Jörg Herchets Komposition für Flöte und Orchester ist kein Konzert im her kömmlichen Sinne, wenn auch die Gegenüberstellung von Soloinstrument und Orchester ein Anknüpfen an die Tradition bedeutet. Das Stück hat einen sehr expressiven, emotionalen Charakter, nach außen wie — vor allem — nach innen zielend. Es ist eine Musik der Stille, die neben dem verhaltenen, leisen Klang unvermittelt auch den heftigen dynamischen Kontrast stellt. Die technischen Anforderungen an den Solisten sind extrem hoch, auch das Vibraphon ist stel lenweise obligat behandelt. Den ersten Teil des Werkes eröffnet die Soloflöte, deren Stimme sich aus kleinen Segmenten, Keimzellen entfaltet, die aneinan dergereiht werden. Durch den Einfluß des Orchesters werden diese Reihungen immer größer. Zugleich wächst die Unterschiedlichkeit, die Gegensätzlichkeit der Segmente, was zu ausgesprochener Sprunghaftigkeit des Ausdrucks in der Solostimme führt. Hin- und herflutender Orchesterklang überlagert das Solo instrument und führt zu einem großen orchestralen Höhepunkt. Danach beginnt der zweite Teil der Komposition. Das Soloinstrument wird als Altflöte eingesetzt, geführt wie eine melodische Stimme, die sich organisch entfaltet ohne die Sprunghaftigkeiten des ersten Teiles. Das Orchester tritt schließlich immer mehr zurück - nur gewisse orchestrale „Punkte" bleiben. Der Solist steht absolut im Vordergrund bis zum Schluß. Als der vierundzwanzigjährige Johannes Brahms 1857 auf Grund einer Empfehlung Clara Schumanns an den kleinen lippischen Fürstenhof zu Detmold berufen wurde, war er für viele Musikfreunde in Deutschland schon längst kein Unbekannter mehr. Die Aufgaben, die ihn hier erwarteten, ähnelten jenen, die Joseph Haydn hundert Jahre früher beim Grafen Morzin oder am Fürstenhof zu Esterhdz erfüllen mußte: Klavierstunden für die Prinzessin, Mitwirkung in den Hofkonzerten und Leitung des Hofchores, dessen Repertoire er durch eigene Kompositionen zu ergänzen hatte. Was den alles andere als höfisch Erzogenen die feudalistisch enge Atmosphäre ertragen half, war die Tatsache, daß ihm für eigene Arbeiten reichlich Urlaub gewährt wurde, daß er eine auskömmliche Gage empfing und daß er im nahen Göttingen in Agathe von Siebold einen Menschen gefunden hatte, der seiner unruhigen und empfindsamen Seele Verständnis ent gegenbrachte. Unter diesen recht annehmbaren Vorzeichen blieben die Arbeiten dieser Detmolder Jahre — ohne in höfische Belanglosigkeit zu geraten — frei von schweren dramatischen Auseinandersetzungen. Dies beweisen ganz besonders die beiden Orchesterserenaden, deren letzte (aus dem Jahre 1859) heute er klingt. Unter völligem Verzicht auf den hellen Klang der hohen Streicher (die Violinen bleiben gänzlich ausgespart) neigt die Serenade Nr. 2 A-Dur o p. 16, verglichen mit der nur wenig älteren Schwester, zu intimeren und wär meren Klangwirkungen. Der erste Satz, Allegro moderato, wird von einer weit ausgeschwungenen und weich harmonisierten Bläsermelodie eingeleitet. Ein sanft wiegendes, wie von Gitarren begleitetes Seitenthema bildet dazu viel eher eine Ergänzung statt eines wirklichen Kontrastes. Erst mit der aufkommenden Trioienbewegung tritt die lyrische Stimmung zugunsten energischerer Töne vorübergehend zurück. Wie auf einem turbulenten Volksfest jagen die knappen, wild gegen den Takt an kämpfenden Melodien des Scherzos (Vivace) einher und verwischen für einige Zeit den empfindsamen Charakter des Werkes. Von eigentümlichem Reiz erweist sich das Trio: Während die Bläser eine äußerst sangbare, mehrfach zwischen Dur und Moll wechselnde Melodie intonieren, lassen die Streicher sempre pp — wie aus der Ferne — den widerspenstigen Tanzrhythmus durchklingen. Dem Adagio non troppo liegt eine gleichförmig dahinfließende melancholische Streicherfigur zugrunde, über der sich ein wehmütig klagender Gesang der Holzbläser erhebt. Nach einem schrillen, von Leidenschaften durchzuckten ff- Aufschrei des gesamten Orchesters stimmen die Hörner, von tremolierenden Bratschen begleitet, eine wohlklingende Melodie an, die in ihrer Fortsetzung bis zum Hymnischen gesteigert wird und über entfernte tonale Bezirke schließlich zu einem sanft verhauchenden A-Dur-Akkord zurückleilet. Der vierte Satz, Quasi Menuetto, in dem die Hörner ganz ausgespart bleiben, zeigt den Komponisten von einer lieblich verträumten, aber keineswegs heiteren Seite. Wie zu Beginn des Werkes wird auch hier die in Terzen und Sexten begleitete Melodik den warm klingenden A-Klarinetten und Fagotten anvertraut. Das Trio knüpft an das Gedankengut des Hauptteiles an und ver leiht ihm durch Artikulationsraffinessen und eine eintönig webende Begleitung eine beinahe Mendelssohnsche Naturstimmung. Erst mit dem Rondo (Allegro) heben sich die letzten Schleier und ein sanft be ginnender, sich rasch steigernder munterer Volkstanz reißt uns mit sich fort. Noch einmal erweckt der Seitensatz (Kanon zwischen Klarinetten und Fagotten) be sinnliche Gedanken, dann bricht ein wirbelnder Kehraus los und führt unter Trillern und Jubilieren (Piccolo) die geniale Jugendkomposition zu einem kraft- voll-optimistischen Ende. Ludwig van Beethovens 1. Sinfonie C-Dur op. 21, anderer vermutlich schon seit 1794 arbeitete, erlebte am 2. April 1800 im Wiener „Natio- nal-Hof-Theater nächst der Burg" unter Leitung des Komponisten ihre Urauf führung. Sie war das Schlußstück eines in damaliger Zeit nicht ungewöhnlichen Monsterprogramms, das außerdem eine Mozart-Sinfonie, eine Arie und ein Duett aus dem Haydnschen Oratorium „Die Schöpfung“ sowie ein Beethoven- sches Klavierkonzert, das Septett und ferner Klavierimprovisationen enthalten hatte. Wie sich in diesem ganzen Programm — des jungen Meisters erste eigene „Akademie“ — die Verehrung und Huldigung des 29jährigen Beethoven für seine Vorbilder Haydn und Mozart manifestierte, sc bestätigte gerade sein sin fonischer Erstling die Äußerung des Grafen Waldstein, daß der junge Beethoven „durch ununterbrochenen Fleiß Mozarts Geist aus Haydns Händen erhalten" habe. Beethovens 1. Sinfonie, die Carl Maria von Weber eine „feurig-strömende" nannte und die fraglos das erste Gipfelwerk des jungen Genius darstellt, wurde dank ihres lebensbejahenden, strahlend-heiteren Charakters, ihres stolzen Kraft bewußtseins schnell populär. Bereits im Jahre 1802 rühmte die Leipziger All gemeine Musikalische Zeitung die Sinfonie als „geistreich, kräftig, originell". Dasselbe Blatt bezeichnete das Werk drei Jahre später als das Muster „einer herrlichen Kunstschöpfung. Alle Instrumente sind trefflich genutzt, ein ungemeiner Reichtum der Ideen ist darin prächtig und anmutig entfaltet, und doch herrscht überall Zusammenhang, Ordnung und Licht." Die Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Adagio) — überraschender weise auf dem breit ausgehaltenen Dominantseptimakkord von F-Dur, bis dann nach etwas unentschlossener Kadenzierung G-Dur erreicht wird. Nach einer glei-