Volltext Seite (XML)
einander erklingen und die scherzhaften Charakter tragen, der durch die Text kopplung noch verstärkt wird. Hans Leo Haßler, 1564 in Nürnberg geboren, 1612 in Frankfurt (Main) verstorben, war der erste große deutsche Meister, der seine musikalische Bildung in Italien erwarb: 1584 85 studierte er in Venedig, wahrscheinlich bei Andrea und Giovanni Gabrieli. 1568 wurde er Organist der Fugger in Augsburg. Hier gelangte er zu hohem Ansehen und wurde 1595 mit seinen Brüdern, die als Finanzleute tätig waren, in den Adelsstand erhoben. 1600 übernahm er die Leitung der Augs burger Stadtpfeifer, 1601-1608 war er oberster Stadtmusicus von Nürnberg, zu gleich kaiserlicher Hofdiener und Kammerorganist. Diese Ämter sowie Reisen in Handelsangelegenheiten führten ihn häufig in verschiedenste Städte. 1605 wurde er Mitglied der Kaufherrenzunft in Ulm, 1608 kam er nach Dresden, wo er als Hof- und Kammerorganist in die Dienste des Kurfürsten trat. Haßler veröffentlichte zahlreiche bedeutende Sammlungen mit geistlicher Musik (Motetten, Messen usw.), weltlichen Chorsätzen (u. a. Madrigale, Kanzonetten) und Instrumental tänzen. Die „Neuen Teutschen Gesänge" erschienen erstmals 1596, in 2. und 3. Auflage 1604 bzw. 1609. Carl Orff, eine der bedeutendsten, anregendsten Persönlichkeiten des zeit genössischen Musiktheaters, hat mit „Carmina b u r a na ", die am 8. Juni 1937 im Opernhaus Frankfurt M. ungemein erfolgreich uraufgeführt wurden, einen wahren Welterfolg errungen. Schlagartig wurde der 42jährige Komponist durch dieses Werk bekannt, das er weder als Oper, Kantate noch als Oratorium bezeich nete, obwohl es mit seiner 25 geschlossene Nummern umfassenden Anlage mehr zur letzteren Gattung tendiert. Die Texte stellte Orff aus der anonymen Lieder handschrift „Carmina burana" (= Beurenische Lieder) zusammen, die um 1280 im oberbayrischen Kloster Benediktbeuren niedergeschrieben wurde und heute in der Bayrischen Staatsbibliothek München verwahrt wird. Hierbei handelt es sich um mittelalterliche Studentenlieder, moralisch-satirische Natur-, Trink- und Lie beslieder in lateinischer, mittelhochdeutscher und altfranzösischer Sprache, um mittelalterliche christlich-heidnische Lyrik der sogenannten fahrenden Gesellen, um derbe Sauf- und Vagantenpoesie also, die aber auch von der sublimen Sprache des höfischen Minnegesangs beeinflußt wurde. Die Auswahl, die Orff aus diesen Dichtungen traf, ordnete er in die drei Teile „Versis leta facies" (Frühling), „In taberna" (Schenke), „Amor volat undique" (Liebe), d. h. die Begegnung des Menschen mit der Natur, ihren sich im Wein offenbarenden Gaben und mit der Liebe. Am Anfang und Schluß des Stückes steht ein Chor, der die Göttin Fortuna anruft. Das Schicksalsrad der Fortuna ist „das Gleichnis für das Auf und Ab des menschlichen Lebens". Neben dem trotzigen Aufbegehren gegen Schicksalsmächte ist der vorherrschende Grundzug des Werkes die Bejahung des Diesseitigen, der Schönheit, der Freuden und Genüsse dieser Welt. Einfache strophische Formen des Volksliedes und Volkstanzes, eine lapidare, ein prägsame Melodik, eine vitale, suggestiv-erregende Rhythmik sowie diatonische Harmonik sind zu einem höchst wirkungsvollen Ganzen verbunden. Im Solo- und Chorsatz herrscht das deklamatorische Prinzip, typisch auch ist der weitgehend auf Bläser- und Schlagzeugwirkungen (einschließlich des stählernen Martellato- klanges zweier Klaviere) gestellte Klangapparat. CARL ORFF: CARMINA BURANA Deutsche Übertragung von Wolfgang Schadewaldt 1 O Fortuna! Chor O Fortuna, velet luna statu variabilis, semper crescis aut decrescis; vita detestabilis nunc obdurat et tune curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem. O Fortuna! Wie der Mond So veränderlich, Wächst du immer Oder schwindest! — Schmählich Leben I Erst mißhandelt, Dann verwöhnt es Spielerisch den schwachen Sinn. Dürftigkeit, Großmächtigkeit, Sie zergehn vor ihm wie Eis. Sors immanis et inanis, rota tu volubilis, Status malus, vana salus semper dissolubilis, obumbrata et velata michi quoque niteris; nunc per ludum dorsum nudum fero tui sceleris. Schicksal, Ungeschlacht und eitel! Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen, Dein Glück nichtig, Immer im Zergehn! überschattet Und verschleiert Kommst du nun auch über mich. Um des Spieles Deiner Bosheit Trag ich jetzt den Buckel bloß. Sors salutis et virtuis michi nunc contrario, est affectus et defectus semper in angaria. Hac in hora sine mora corde pulsum tangite; quod per sortem sternit fortem, mecum omnes plangite! Los des Heiles Und der Tugend Sind jetzt gegen mich. Willenskraft Und Schwachheit liegen Immer in der Fron. Drum zur Stunde Ohne Säumen Rührt die Saiten I — Wie den Wackeren Das Schicksal Hinstreckt: alle klagt mit mir! 2 Fortune plango v u I n e r a . . . Chor Fortune plango vulnera stillantibus ocellis, quod sua michi munera subtrahit rebellis. verum est, quod legitur, Die Wunden, die Fortuna schlug, Beklage ich mit nassen Augen, Weil sie ihre Gaben mir Entzieht, die Widerspenstige. Zwar, wie zu lesen steht, es prangt