Volltext Seite (XML)
des Philharmonischen Chores Dresden in enger Zusammenarbeit mit diesem und seinem Leiter Hartmut Haenchen. „Sie sind keine Vertonung im Sinne bloßen Absingens von Dichterworten", schreibt der Komponist, „sondern Sprachliches und Musikalisches durchdringen sich als Mittel für die kompositorische Gestal tung gegenseitig. Kristallisationspunkt ist der Dichter selbst, seine Widersprüch lichkeit und Zerrissenheit, die über das persönliche Schicksal hinaus Symbol charakter erhalten. Die verwendeten Texte sind zum Teil nur Ausschnitte aus Gedichten, Fragmente, die als typisch für Hölderlin gelten können und so gleich sam schlagzeilenartig ein Porträt seines Wesens schaffen. Die Besetzung mit zwei Chören, denen jeweils bestimmte Instrumente zugeordnet sind (großer Chor mit Klavier, Pauken, Tamtam; Kammerchor mit Flöte und Harfe), gibt die Mög lichkeit, zwei Ebenen gegenüberzustellen und sich durchdringen zu lassen, die mit .äußerem Erleben, Auseinandersetzung, Kampf' einerseits und .innerem Erleben, Besinnung, Zurückgezogenheit' andererseits umschrieben werden könn ten. (Die Partitur ist so angelegt, daß der große Chor zur Verdeutlichung dieser Konstellation auch über Lautsprecher vom Band eingespielt werden kann.) Fragment I umreißt mottoartig die Spannung und Dramatik, auflodernd aus dem Zusammenprall der Ideale des Künstlers mit der Wirklichkeit. Der Chor steigert sich nach den monumentalen, unerbittlichen Schlägen des Anfangs aus einem düsteren Untergrund zu höchst dramatischen Szenen. Dabei wird den Sängern ein Maximum an technischer Gewandtheit und Darstellungskraft ab verlangt. Sprechen, Rufen und Schreien — als Ausdrucksformen der Erregung auf der Sprechbühne (und im täglichen Leben!) nichts Außergewöhnliches — werden hier zur Erweiterung der musikalischen Ausdrucksskala einbezogen (oft noch ungewohnt und als außerhalb der Norm empfunden, aber gerade als Mittel der Steigerung geeignet für Dinge, die mit wohltönendem Organ und Schmelz nicht darstellbar sind). Am Schluß verebbt der Chorklang unter den pausenlosen Schlägen der Instrumente. Fragment II schließt sich nahtlos an und bildet einen großen Kontrast: Der Kammerchor verharrt auf einem einzigen Pianissimo-Akkord. Die Verinnerlichung wirkt fast starr, Bewegung bringen lediglich die Harfe mit improvisationsähnli chen Einwürfen und eine Klangfarbenpolyphonie innerhalb des Chor-Akkordes. Der Text mit der Farbigkeit seiner Laute wird zum kompositorischen Element; die einzelnen Silben mit ihren Vokalen und klingenden Konsonanten, deren Abstufungen und Übergänge schaffen ein zartes Gewebe, in das sich die Text worte gleichsam zurückgezogen haben. So wie Fragment I und II als Gegenpole zusammengehören, sind auch die Fragmente III und IV verknüpft und bilden ein Spiegelbild der ersten beiden. Verwendet wird das ganze Gedicht .Mitte des Lebens', in dem die Gegensätzlich keit bereits formuliert ist: Die erste Strophe (Fragment III, Kammerchor) ist freudig bewegt und steigert sich zu hymnischer Erregung, die auf ihrem Höhe punkt in Verzweiflung umschlägt. (In der höchsten Erkenntnis der Schönheit des Lebens wird dem Dichter zugleich die Unvereinbarkeit mit der Realität der ihn umgebenden Gesellschaft schmerzhaft bewußt.) In die webenden Klänge des Kammerchores, die während der Steigerung allmählich wieder Züge von Frag ment I angenommen haben, bricht der große Chor mit den unerbittlichen Schlä gen des Anfangs herein (Fragment IV). In der Verzahnung beider Ebenen kommt der bezeichnete Zwiespalt zum Ausdruck, am Schluß — nach einer explo siven Instrumentalkadenz — noch einmal formuliert im Gegeneinander von Resignation und Aufbegehren. Fragment V ist ein Epilog. Vom Dichter selbst nur als Fragment aus seiner Spät zeit hinterlassen, stellt es eine Art Rückbesinnung dar. In großer Verhaltenheit tauchen musikalische Elemente aus den vorangegangenen Teilen auf. Die Pas sagen des Kammerchores lösen sich immer mehr in Partikel auf bis zum Ver stummen. Im Pianissimo wirken die Klänge des großen Chores und die Schläge aus Fragment I ganz am Schluß wie eine Erinnerung." Wilfried Krätzschmar: H ö I d e r I i n - F r a g m e n t e I. ... wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen . . . (aus: „Hyperions Schicksalslied'') II. ... wie die zarten Blüten im Winter, in der gealterten Welt . . . (aus: „An Diotima" - „Schönes Leben!") III. Mit gelben Blumen hänget und voll mit wilden Rosen das Land in den See, ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig nüchterne Wasser. IV. Weh mir! Wo nehm ich, wenn es Winter ist, die Blumen, und wo den Sonnenschein und Schatten der Erde. Die Mauern stehen sprachlos und kalt. Im Winde klirren die Fahnen. („Mitte des Lebens") V. Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind, ich dir noch kennbar bin, dir Vergangenheit, o du Teilhaber meiner Schmerzen! einiges Gute bezeichnen dir kann . . . („An Diotima". Fragment) Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte war der große italienische Geigenvirtuose Niccolö Paganini, der geradezu berau schende Wirkungen auf seine Zeitgenossen in Italien, Deutschland und Frank reich ausübte. Das Abenteuerliche seiner Person führte im Bunde mit seinen phänomenalen geigerischen Fertigkeiten dazu, daß man ihn sogar der Zauberei verdächtigte oder ihn mit Geistern und der Hölle im Bunde glaubte. Paganini, von gelegentlichem Geigenunterricht abgesehen eigentlich Autodidakt, vereinte in seiner Person, „was andere vereinzelt auszeichnete: einen hinreißend aus drucksvollen Vortrag, einen wunderbar großen und dabei doch der verschie densten Stärkegrade sowie des mannigfaltigsten Timbres und Kolorits fähigen Ton, ein zauberhaftes, wie in Sphärenklängen verhallendes Flageolett, Gegen sätze im Legato und Stakkato, wie man sie vor ihm nicht gekannt, doppelgriffige Gänge, die niemand außer ihm auszuführen vermochte, Pizzikatos, gleichviel, ob mit der rechten oder der linken Hand, deren springende Passagen jedem anderen Geiger den Hals gebrochen haben würden, und, außer seiner fabel haften Technik, jene dämonische Leidenschaftlichkeit, die ihm allein eigen war. Sprang ihm eine Saite, ja zwei Saiten, so spielte er auf den übriggebliebenen, soweit es deren Umpfang erlaubte, mit solcher Vollkommenheit weiter, daß der eingetretene Mangel selbst für den Kenner kaum hörbar wurde; auch stimmte er die Saiten, um gewisse besondere Effekte damit zu erreichen, nach Bedürfnis anders, als durch den Gebrauch vorgeschrieben war (ein Wiederaufleben der früheren Scordatura), und da er das Geschick besaß, eine Saite selbst während des Spiels unbemerkt um einen halben Ton hinaufzuziehen, so begannen selbst manche ihm zuhörende Geiger an Wunder zu glauben. So steht dieser Mensch,