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die Sache des Vaterlandes zu diesem Feste der Kunst und der patriotischen Wohltätigkeit vereinigten ersten Künstler der Kaiserstadt bei allen Zuhörern fanden, stieg bis zur Entzückung." Als hochbedeutender künstlerischer Beitrag des vom „reinen Gefühl der Vaterlandsliebe" durchdrungenen Meisters zum Befreiungskampf gegen die napoleonische Herrschaft steht das aufrüttelnde, Elan und aktivierende Kraft ausstrahlende Werk gewiß mit der Zeit seiner Entstehung in ideellem Zusammenhang, wenn es sich hier wohl auch weniger um direkte programmatische Bezüge handelt. Da Beethoven zu der „Siebenten" im Gegensatz zu der vorangehenden 6. Sinfonie (Pastorale) keinen Schlüssel für eine bestimmte programmatische Deutung gegeben hat, hat das Werk immer wieder zu mancherlei, zum Teil sogar recht seltsam phantastischen Erklärungs- und Deutungsversuchen gereizt, die allerdings meist nur gewisse Wesenszüge, nicht aber seine Gesamtheit erfaßten. Besonders berühmt wurde Richard Wagners von der ungemein starken Betonung des rhythmischen Elements in dieser Schöpfung ausgehende Deutung als „Apotheose des Tanzes"; Robert Schumann wiederum faßte die Sinfonie als Schilderung einer Bauern hochzeit auf, und der Musikwissenschaftler Arnold Schering legte sie gar nach Szenen aus Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre" aus. Indessen kann man mit derartigen, doch schließlich am Äußerlichen haftenden Erklärungen kaum der Eigengesetzlichkeit dieser Musik, ihren besonderen Ausdrucksmitteln gerecht werden. Das Grundelement eines vitalen, pulsierenden Rhythmus, der sich als alles beherrschende, alles gestaltende Kraft erweist (charakteristischer weise gibt es in der ganzen Sinfonie, ebenso wie in der „Achten", keinen langsamen Satz), aber auch eine interessante, neuartig bereicherte Harmonik, eine eng verzahnte Thematik und eine überaus großzügige, kühne Linienfüh rung schufen zusammenwirkend hier ein strahlend-glanzvolles Werk über schäumender Lebensfülle von festlicher Heiterkeit bis zu ausgelassenstem, wild entfesseltem Taumel, in dem Beethoven in schöpferischer Entwicklung zu absolut neuen Ordnungen und Formungen vorgedrungen ist. Mit einer breit angelegten, wie abwartend wirkenden langsamen Einleitung, die unmerklich zum Hauptsatz (Vivace) hinführt, beginnt der erste Satz. Das lebens sprühende, in punktiertem Sechsachtelrhythmus stehende Hauptthema durchzieht als dominierende rhythmische Grundfigur den gesamten, wechselvollen Stim mungen unterworfenen Satz, der trotz an sich frischen, hellen Charakters doch bereits, ähnlich wie später das Finale, reich an schroffen dynamischen Kontrasten, kühnen Modulationen, starken Ausdrucksspannungen und Steigerungen ist. Der zweite Satz, von Beethoven als erster entworfen, bildet das Kernstück der Sinfonie und erregte von Anfang an besondere Aufmerksamkeit und Begeiste rung. Dieses von tiefer Empfindung beseelte, wunderbare a-Moll-Allegretto ist in erweiterter dreiteiliger Liedform angelegt; während der erste Teil ein ernstes Thema in gleichsam gebrochenem Marschrhythmus bringt, dem als Gegenstimme eine innige, ausdrucksvolle Melodie der Celli und Violen beigegeben ist, wird im gesangvollen, freundlichen Mittelteil besonders der Gegensatz zwischen Moll und Dur wirksam. Nachdem am Schluß noch einmal die Marschweise aufgenommen wurde, schließt das Stück, wie es auch begonnen hatte, mit einem fragenden Quartsext-Mollakkord. Im dritten Satz, einem verhältnismäßig ausgedehnten Scherzo, fällt die damals innerhalb einer A-Dur-Sinfonie ungewöhnliche Wahl der Tonart F-Dur auf. Der lebensfrohe, kapriziöse Presto-Satz rauscht in funkelnder, sprühend-jugendlicher Ausgelassenheit an uns vorüber, zweimal kontrastierend unterbrochen von einem lyrischen, liedhaften Trio-Teil, dessen Thema einem Zeitgenossen Beethovens zu folge einem österreichischen Wallfahrtsgesang entnommen sein soll und dessen besonderer Effekt eine sogenannte liegende Stimme, hier der Klang des fest gehaltenen Tones a, darstellt. Voller bacchantischem Überschwang gibt sich schließlich das stürmische Finale. Vor allem die Kühnheiten, die zahlreichen melodischen und metrischen Wieder holungen, die Orgelpunkte, und überhaupt die „Aufgeknöpftheit" dieses ausge lassenen Satzes wurden Anlaß für kritische Äußerungen der Zeitgenossen, und man hat ihn einmal sogar als „Gipfel der Gestaltlosigkeit" bezeichnet. Ein ungestümer Ausbruch heftiger Leidenschaften, von elementarem Rhythmus umtost, trägt aber gerade das in jubelndem Tutti endende Finale des Werkes charakteristischste Züge der eigenwillig-genialen Persönlichkeit seines Schöpfers. Dr. habil. Dieter Härtwig