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ZUR EINFÜHRUNG Die Ouvertüre zu „Oberon", Carl Maria von Webers letzter Oper (1826), vereinigt romantische Märchenstimmung und orientalisches Klang kolorit, wie es der große deutsche Musiker sich erträumte. Mit dem ersten, sehn süchtig langgezogenen Hornruf ist man schon eingesponnen in eine fremdartige zauberische Welt; ein farbenprächtiger Klangreigen hebt an, in dem Kühnes neben Zartem steht, Heldisches mit elfenhaftem Spuk verwoben ist zu einem Tonbild, dessen strahlender Klang wie dessen Transparenz das selten erreichte Vorbild für viele spätere Werke abgegeben hat. Oberons Hornruf lockt die Geister aus Wald und Flur, sie huschen herbei in niederrieselnden Läufen der Flöten und Klarinetten; ein Marschrhythmus wird in Hörnern und Trompeten leise angestimmt, von den Violinen graziös umspielt, bis dann ein Orchesterschlag dem Elfenspuk ein Ende setzt und im unmittelbar sich anschließenden Allegro con fuoco die Gestalt des Ritters Hüon heraufbeschworen wird. Sein Liebes thema, Vision der schönen Rezia, zuerst von der Soloklarinette zart gesungen, dann von den Violinen aufgenommen und weitergetrieben, vereinigt sich mit dem Gesang der Geliebten. Es geht über in das glanzvoll ritterliche Thema, bis im Schlußaufschwung Liebe und Treue alles überwinden. So wird die Fabel des „Oberon" allein durch die Ausdruckskraft der Musik deutlich gemacht: Der Elfenkönig Oberon streitet sich mit seiner Gemahlin Titania, wer bei den Men schen treuer sei, die Frau oder der Mann. Sie stellen das Liebespaar Hüon und Rezia auf die Probe, aber beide wissen — wie Tamino und Pamina in der „Zauberflöte" — alle Prüfungen zu bestehen. Weber schrieb seine beiden Sinfonien als Zwanzigjähriger — zwischen Dezem ber 1806 und Januar 1807 — in Carlsruhe (Schlesien). Hierhin hatte ihn Herzog Eugen Friedrich Heinrich von Württemberg-Öls eingeladen, wo er einige Monate lang als Gast des musikliebenden und -ausführenden Fürsten das kleine, jedoch sehr leistungsfähige Hoforchester leitete, bis die Kriegswirren ihn vertrieben. Beide Sinfonien verzichten auf die Klarinetten, die im Carlsruher Orchester nicht besetzt waren, bevorzugt erscheinen dagegen, da virtuose Spieler zur Ver fügung standen, Oboe und Horn. Wie die 1. Sinfonie Webers hat auch die Sinfonie Nr. 2 C-Dur, die leider kaum noch zu hören ist, ihren Ursprung in der Formenwelt Haydns und Mozarts. Sie ist einheitlicher konzipiert, jedoch weniger ursprünglich als die erste. Gleichwohl erfreut sie durch ihre jugendliche Frische, durch einfallsreiche Klangfärbung und schon individuelles Gepräge. Nach einer viertaktigen, majestätischen Einleitung trägt die Oboe das leicht blütige erste Thema des ersten Satzes (Allegro) mit einer typisch Weberschen harmonischen Wendung vor. Auch das zweite Thema, das vom Horn vorgetragen wird, ist schon ein „echter Weber". Die Behandlung des Orchesters, die Art der Durchführung und des formalen Aufbaues des Satzes, der von beträchtlichen dramatischen Spannungen lebt, ist jedoch noch ganz klassisch. Im stimmungs vollen zweiten Satz (Adagio ma non troppo) bricht schon die Empfindungswelt des „Freischütz" durch: charakteristisch ist sein düsterer Bratschenklang, nicht minder bezeichnend die echt Webersche Hauptmelodie der Oboe, die harmo nischen Finessen des Stückes. (Der Komponist benutzte den Satz 1822 noch für ein höfisches Festspiel zu Ehren des Prinzen Johann von Sachsen.) Das kurze Menuett mit Trio besinnt sich auf seine Herkunft als Volkstanz. Das Finale ist eigentlich ebenfalls ein Menuett, dessen Tempo jedoch sehr gestrafft ist (Presto), so daß sich sein Charakter vom behäbigen Menuett zum geistreichen Scherzo verändert hat, das mit Leichtigkeit, ja keß-humorvoll dahinsprudelt und seine größte Überraschung in den Schlußtakten bringt. Das am 27. November 1811 in München fertiggestellte Konzert für Fagott und Orchester F-Dur op. 75, geschrieben für G. Fr. Brandt, über arbeitete Weber in seiner Dresdner Zeit im Jahre 1822 nochmals. Es beweist, daß er auch die Eigenart dieses Instrumentes zu schätzen und auszunutzen wußte. Im marschartigen ersten Satz (Allegro ma non troppo) lassen die punktierten Rhythmen des ersten Themas wie die ganze Orchestereinleitung an das zweite Klarinettenkonzeri Es-Dur op. 74 denken. Von zarter Poesie erfüllt ist das zweite Thema. Die Verarbeitung dieser Themen bietet ein abwechslungsreiches Bild von den virtuosen Möglichkeiten des Soloinstrumentes, das sich in allerhand geschwinden Läufen und großen Sprüngen zu „ergehen" hat. Das gesangvolle Adagio betont den oft außer Acht gelassenen melodischen Charakter des Fagotts. Das Konzert erreicht schließlich seinen musikantischen Höhepunkt im übermütigen Rondofinale (Allegro), in dem sich das Fagott mit dem ihm eigenen Humor in virtuosen Sprüngen und überraschenden Kontrastwirkungen äußern kann. Schon das Hauptthema ist echter Weber. Die Sinfonischen Metamorphosen Carl Maria von Weber scher Themen für großes Orchester komponierte Paul Hin demith 1943 in der Emigration in Amerika, ihre Uraufführung fand 1944 in New York statt. Das viersätzige Werk verwendet Webersche Melodien und Themen aus der Schausoielmusik zu Gozzi-Schillers „Turandot" und aus den Stücken für Klavier zu 4 Händen op. 10 und op. 60. Hindemith benutzt aber nicht die Originalgestalt dieser Themen, sondern er nimmt mit ihnen eine „Metamor phose", also eine „Verwandlung", eine „Veränderung" vor. Heinrich Strobel erklärt dies in seiner Hindemith-Biographie mit den Sätzen: „Sie werden sogleich in Hin demiths Stilsphäre projiziert. Dabei büßen sie ihre ölte tonartliche Bezogenheit ein, gelegentlich auch ihre rhythmische Symmetrie. Dann hat man das Gefühl, daß ihnen ein .polyphones Rückgrat' eingezogen wird." Diese Metamorphosen sind also keine Variationen über Webersche Themen, sondern vielmehr ein durchaus Hindemithsches Musizieren mit den schon vom Original abweichenden Themen, die der Komponist wie eigene Erfindungen behandelt. Auf diese Weise gelang Hindemith eines seiner heitersten und einaängiasten Werke, in welchem er die farbige, lichte und poetische Klangwelt des Weberschen Genius kon genial nachschafft. Es scheint, daß Hindemith, mitten im Kriege, getrennt von seiner deutschen Heimat, über die der Faschismus herrschte, ein reines, lichtes Bild des wahren Deutschland mit seiner humanistischen Kulturtradition herauf beschwören wollte. Das Partiturbild dieses Werkes ist von einer wohltuenden Klarheit und Über sichtlichkeit. Das spielerische Element - also ein Soiel mit den Melodien — überwiegt und bewahrt das Werk vor pathetischer Schwere. Der lebhafte erste Satz (Allegro) reicht das im dritten Takt einsetzende und von den Violinen vor getragene Thema im Verlaufe des Satzes spielerisch zu den einzelnen Klang- aruopen hin: einmal nehmen es die Holzbläser auf, dann wird es von dem Blech abgelöst und wandert so durch Höhen und Tiefen des Klanges. Der zweite Satz ist ein romantisches Scherzo. Die „Turandot"-Stimmung wird durch flimmernde Flagelott-Töne der Streicher und durch ein Arsenal von Schlag instrumenten: Glocken, Gongs, Becken, Tomtoms, Triangel, Zvmbeln, große und kleine Trommeln und Pauken wiedergegeben. Die große Flöte zitiert zunächst das „Turandot"-Thema (aus Webers Turandot-Ouvertüre), mit dem Hindemith dann ein keckes, übermütiges Treiben entfaltet. Ein eigenes, Hindemithsches Thema fügt sich im Trio in den Weberschen Reigen ein. Am Schluß ertönt das Thema nur in den Pauken. Verblüffend hört dieses Scherzo auf. Der kurze langsame Satz (Andantino) bringt sein Thema in der Klarinette, gibt es dann an die Streicher weiter und läßt es in der Wiederholung, wo es eben-