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ZUR EINFÜHRUNG Zwei zeitgenössische Werke, die Weber und Haydn huldigen, Günter Kochans Weber-Variationen und die im neoklassizistischen Geiste geschriebene Streicher- Sinfonie des französischen Komponisten Jean Fran^aix, stehen am Beginn unse res heutigen Programmes. Günter Kochan, einer der erfolgreichsten Komponisten unserer Repu blik, 1930 geboren, studierte in den Jahren 1946 bis 1950 Komposition an der Musikhochschule Berlin-Charlottenburg bei K. F. Noetel, B. Blacher und H. Wunsch. 1950 bis 1953 war er Meisterschüler Hanns Eislers an der Akademie der Künste der DDR in Berlin. Seit 1950 wirkt er als Dozent an der Deutschen Hoch schule für Musik „Hanns Eisler" Berlin, wo er 1967 zum Professor für Kompo - sition und Tonsatz ernannt wurde. Der mehrfach für sein Schaffen ausgezeichnete Komponist (u. a. Nationalpreis 1959 und 1964) ist seit 1965 Mitglied der Aka demie der Künste der DDR. Nach ersten kompositorischen Erfolgen mit Jugend- und Massenliedern wandte sich Kochan größeren Formen zu. Obwohl ihn die Vokalmusik in vielfältiger Weise später immer wieder beschäftigte — bisheriger Höhepunkt ist die Solo kantate „Die Asche von Birkenau" —, schuf er doch vor allem auf dem Gebiet der Orchestermusik viel beachtete, bedeutsame Zeugnisse des DDR-Musikschaf fens (Sinfonietta, 2. und 3. Sinfonie, Konzert für Orchester, Divertimento, Men delssohn-Variationen). Auch sein Opernerstling „Karin Lenz" sei erwähnt. Nach dem er sich in seinen beiden frühen Solokonzerten, dem Violin- und Klavierkon zert, noch mit den Traditionen der Klassik und des 19. Jh. auseinandergesetzt, dann vom Schaffen Eislers und Schostakowitschs Anregungen empfangen hatte, prägte sich seit Anfang der 60er Jahre eine eigene Sprache limmer stärker aus, die durch Ökonomie der Mittel, konzentrierte und konsequente thematisch-moti vische Arbeit, freizügige Harmonik und rhythmische Impulsivität gekennzeichnet ist. Das Divertimento für Orchester (Variationen über ein Thema von Carl Maria von Weber) entstand 1964 im Auftrag des Berliner Sinfoniieorchesters und wurde von diesem Klangkörper unter der Leitung von Kurt Sanderling am 1. Februar 1965 uraufgeführt. Erich Brüll schrieb u. a. über dieses Werk, das ganz im Sinne eines künstlerisch anspruchsvollen Divertimento unterhaltsame Ausdruckscharaktere — in Variationenform — ver mittelt: „Als Kochan bereits damit begonnen hatte, Variationen über ein eigenes Thema zu entwerfen, entdeckte er beim Durchspielen Weberscher Klaviersonaten (die heute kaum noch lim Konzertsaal erklingen) einen melodischen Gedanken, der reizvolle Möglichkeiten variirender Umgestaltung erkennen ließ. So rückte ein Thema Webers, in Beziehung gesetzt zu eigenem musikalischen Material, in den Mittelpunkt seiner Komposition. Der Hörer — um das gleich zu sagen — bemühe sich nicht, dlieses Thema in allen Abschnitten der Komposition wieder zuerkennen. Musik ist keine Schulaufgabe, und Variationen sind kein musika lisches Versteckspiel, bei dem die Zuhörer angespannt nach dem Thema haschen müssen. In Charaktervariationen, wie sie Kochan schrieb, begnügt sich der Kom ponist nicht damit, das Thema zu umspielen, es tonartlich und rhythmisch ein wenig zu verändern, ohne dabei seine Grundgestalt anzutasten, sondern er formt aus dem musikalischen Material des Themas neue Gedanken von eigenem Charakter und selbständigem Aussagegehalt. Der Aufbau des Werkes sei nun im folgenden kurz skizziert: Einleitend erklingt eine kurze, ausdrucksintensive Introduktion, deren Motivma terial der Komponist einem eigenen Thema entnahm. Sodann wird der Weber- sche Gedanke eingeführt, ein schlicht-gesangliches Mollthema: über dem Pizzikato der Streicher trägt es die Oboe vor, die Celli übernehmen es und führen es weiter. Es handelt sich um das Thema des zweiten Satzes aus der 2. Klaviersonate op. 39 (1816). Die sich nunmehr anschließenden Variationen sind zu einzelnen Charaktergruppen zusammengefaßt, innerhalb derer sie nahtlos ineinander übergehen. Scherzando nannte Kochan die erste dieser Gruppen (Var. 1—3), die, wie die Bezeichnung schon andeutet, heitere und scherzhafte Züge trägt. Energischer tritt die folgende Tokkata (Var. 4 und 5) auf, die Elemente der Einleitung einbezieht; ohne Zäsur schließt sich eine Etüde (Var. 6 und 7) an, sie führt zu einem Ruhepunkt. In der Romanze (Var. 8-12) treten nacheinander Flöte, Wald horn und Oboe solistisch hervoir. Der Romanzencharakter wird im weiteren Ver laufe dieses Abschnittes nach und nach aufgegeben, die Musik steigert sich dramatisch und führt zu einem erregenden Kulminationspunkt. Als 13. Variation tritt danach ein Intermezzo auf, das in eine Kadenz der Klarinette mündet: es ist die improvisatorisch wirkende Umgestaltung der Introduktion. Der Kadenz folgt ein Ostinato über den Mittelteil des Themas; in der 16 .Variation sodann sind alle Töne des Themas zu Akkorden zusammengefaßt — Sie bildet die Ein leitung zum letzten Abschnitt des Werkes, einem übermütigen Capriccio. Hier wird man das nach Dur transponierte Thema Webers mühelos wiedererkennen. Eine stürmische Coda, in der noch einmal auf die Motive der Introduktion Bezug genommen wird, bildet den effektvollen Schluß des Werkes. Die Variationen sind durchweg sehr knapp, mit größtmöglicher Konzentration auf das Wesentliche gestaltet, mehr noch als in anderen Werken vermied Kochan hier jegliche ausladende Breite. Die Instrumentation erscheint bei aller Vielseitigkeit und Farbigkeit durchsichtig und ökonomisch gehandhabt, zahl reiche Instrumente treten mit dankbaren Aufgaben hervor. Nach Abschluß der Arbeit sagte Günter Kochan, eir habe sich bemüht, eine Musik zu schreiben, die Musikern wie Hörern Freude bereitet." Jean F r a n c a i x wurde 1912 in Le Mans geboren. Er studierte in Paris Kom position bei Nadja Boulanger und Klavier bei Isidor Philippe. In der Nähe von Paris lebt er vorwiegend seiner schöpferischen Arbeit. Gelegentlich konzertiert er als Pianist (vornehmlich mit eigenen Werken). Die mit leichter Hand geschaffe nen Werke von Francaix zeichnen sich durch spielerische Eleganz, transparente Klanglichkeit und vorwiegend heiter unterhaltenden Charakter aus. Sie sind to nal konzipiert und streben nach pointierten, gelegentlich ironischen Wirkungen. In seinen besten Kompositionen knüpft Francaix an die Tradition des Divertisse ments des 18. Jahrhunderts an. Neben instrumentalen Werken machten auch Bühnen und Filmmusiken den sein Handwerk sicher beherrschenden Künstler bekannt. Die graziöse Symphonie d’archets (Sinfonie für Streich orchester) von 1948 ist ganz typisch für den pointierten, anmutigen Stil der Musik von Franqaix überhaupt. Den ersten Satz eröffnet ein Andantino misterioso mit schlichter Violinkantilene, die bereits auf den lyrischen Seitengedanken des folgenden Allegro assai weist. In diesem präsentiert sich eine spritzige Spiel figur, die den rhythmischen Elan des ganzen Satzes entscheidend bestimmt. — Im zweiten Satz (Andante molto) spielen die geteilten Streicher con Sordino. Aus elegischer Grundhaltung gelangt die Entwicklung zu einem Fortissimoausbruch. Der anschließende Moll-Mittelteil mit Solo-Violine führt zur elegischen Stim mung zurück, in der der Schlußteil (eine verkürzte Reprise des Beginns) verharrt.