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DRESDNER PHILHARMONIE Mittwoch, den 25. Februar 1976, 20.00 Uhr Donnerstag, den 26. Februar 1976, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT £ Dirigent: Andrzej Markowski, VR Polen Solist: Eduard Grätsch, Sowjetunion, Violine Henryk Mikolaj Görecki geb. 1933 Drei Stücke im alten Stil für Streichorchester (1963) DDR-Erstaufführung Peter Tschaikowski Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 1840-1893 Allegro moderato Canzonetta (Andante) Finale (Allegro vivacissimo) PAUSE Antonin Dvorak 1841-1904 Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 (Aus der neuen Welt) Adagio — Allegro molto Largo Scherzo (Molto vivace) Finale (Allegro con fuoco) Der prominente polnische Dirigent ANDRZEJ MARKOWSKI wurde 1924 in Lublin geboren. Von 1940 bis 1944 studierte er u. a. Komposition bei Artur Malawski in Lublin. Als Kompositions schüler von Alex Rowley vertiefte er 1946/47 seine Studien in London. Danach absolvierte er die Warschauer Musikhochschule, bestand 1954 das Dirigentenexamen und beendete 1955 die kompositorische Ausbildung bei Tadeusz Szeli- gowski. über die Philharmonien von Poznan und Katowice kam er — als Chefdirigent von 1959 bis 1964 — an die Krakower Philharmonie, er das Musikfest „Krakauer Frühling" grün- |Bne. 1965 bis 1968 wirkte er als Chefdirigent der Philharmonie in Wroclaw. In dieser Zeit rief er das Kantaten- und Oratorien-Festival „Wratislavia Cantans" ins Leben, das er auch gegenwärtig noch als Künstlerischer Leiter be treut. Die jahrelange enge Zusammenarbeit mit der Warschauer National-Philharmonie führte 1971 zur Berufuna als Stellvertretender Chef dirigent und Künstlerischer Leiter dieses welt berühmten Klangkörpers. Andrzej Markowski nimmt außerdem sehr umfangreiche Auslands verpflichtungen wahr. Einen besonderen Ruf besitzt er im In- und Ausland als prädestinier ter Interpret des zeitgenössischen polnischen Musikschaffens. ZUR EINFÜHRUNG Zu den originellsten schöpferischen Talenten unter den zeitgenössischen polni schen Komponisten gehört Henryk Mikolaj Gorecki, der 1933 in Czer- nica bei Rybnik geboren wurde. In den Jahren 1955 bis 1960 studierte er Kompo sition bei B. Szabelski an der Staatlichen Hochschule für Musik in Katowice, an der er seit 1968 selbst lehrt. Für sein kompositorisches Werk, das vor allem Or chester- und Kammermusiken sowie auch Vokalmusik umfaßt, erhielt er mehrere Preise, darunter 1961 den 1. Preis bei der Biennale in Paris (für seine 1. Sinfonie) und 1970 den Preis des Polnischen Komponistenverbandes. Starkes Konstruktions gefühl, Logik und Formdisziplin charakterisieren seine Kompositionen, die viel fach punktueller, serieller und aleatorischer Disposition zugewandt sind. Die Drei Stücke im alten Stil für Streichorchester entstanden be reits 1963. Es handelt sich um ganz leicht verständliche, knappe Gebilde, fernab von komplizierten neuen Kompositionstechniken und doch nicht im Widerspruch stehend zu den Hauptwerken des sonst avantgardistischen Komponisten. Die be wußt archaische Melodik mit ihren einfachen, periodisch wiederkehrenden Moti ven und ihren variationsartigen Entwicklungen über einem modernen harmoni schen Untergrund ist durchaus bezeichnend für Gorecki. Ihren besonderen Reiz erhalten die Stücke durch den ebenso intensiven wie differenzierten Wohlklang des vielfach unterteilten Streichorchesters. Verhalten beginnt das erste Stück, tänzerisch-kraftvolle Akzente setzt das zweite, während das dritte einen feierli chen Ausklang bringt. Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beethoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie deren Werke gleichfalls zu den Glanzstücken der internationalen Konzertliteratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakteristische, eigenwüchsige Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und be reits Anfang April vollendet. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosen stück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der es aber zunächst als un spielbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Urauf führung wagte schließlich Adolf Brodski am 4. Dezember 1879 in Wien unter der Leitung Hans Richters. Unfaßbar will es uns heute erscheinen, daß das Werk vom Publikum ausgezischt wurde! Die Presse war geteilter Meinung. Der gefürchtete Wiener Kritiker Dr. Eduard Hanslick, Brahms-Verehrer und Wagner-Feind, be ging mit seiner Rezension des Tschaikowski-Konzertes wohl einen seiner kapital sten Irrtümer. Er schrieb u. a.: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Vio line gezaust, gerissen, gebleut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträu benden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst . . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken (!) hört." Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Komponist übrigens jederzeit auswendig aufsagen konnte, so sehr hatte er sich darüber geärgert, während das Konzert inzwischen längst zu den wenigen ganz großen Meisterwerken der konzertanten Violinliteratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik ge kennzeichnet und ist betont musikantisch ohne Hintergründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier u. a. schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumen tation, die beispielsweise auf Posaunen verzichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Umspie- EDUARD GRÄTSCH, einer der führenden sowjeti schen Geiger, stammt aus Odessa und erhielt schon seit frühem Kindesalter eine intensive musikalische Aus bildung, die am Moskauer Konservatorium als Schüler und Aspirant von Prof. Jam polski fortgesetzt wurde. An schließend unterzog er sich bis 1958 weiterer Studien bei David Oistrach. Be reits als 19jähriger konnte er den 1. Preis des Inter nationalen Geigerwettbe werbs in Budapest 1948 er ringen.Weitere internationa le Wettbewerbserfolge wa ren für ihn Preise beim Mar guerite - Long - Jacques -Thi baud-Wettbewerb 1955 sowie bei zwei Tschaikowski-Wett- bewerben in Moskau. Seit 1949 konzertiert er im In- und Ausland (Frankreich, DDR, Schweden, Norwe gen, Finnland, Island, Al banien, Großbritannien, CSSR, VR Polen, VR Bul garien, SR Rumänien, SFR Jugoslawien u. a.). Bei der Dresdner Philharmonie war er bereits 1964 zu Gast. Eduard Grätsch ist auch ein passionierter Kammermusik spieler und spielt z. B. Trio mit Jewgeni Malinin und Natal ia Schachov.skaja,