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31. Juli 1907. Britisch - imperialistische Handelsfragen. Stahl und Eisen. 1127 Lyttelton beantragte Tadelsvotum erging sich in allgemeinen Redensarten, so daß dann vom Regierungstische gefragt werden mußte: wie denkt sich Herr Balfour nun eigentlich den Vorzugshandel, den er befürwortet? Will er Getreide mit Zöllen belegen? will er Zölle auf Fleisch, Butter, Wolle, Holz eingeführt wissen? Keine Antwort auf irgend eine dieser Fragen! Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Lytteltonsche Tadelsvotum mit erdrückender Majorität — 404 Stimmen gegen 111 — ab gelehnt zugunsten eines Antrages, „daß das Haus die Sicherung der Einheit des Britischen Reiches nicht in einem auf Schutzzöllen auf Nahrungsmittel aufgebauten System von Vor zugszöllen erblickt“. Viel mehr als Worte kann man freilich darin auch nicht finden. Immerhin hat die Abstimmung bewiesen, daß es noch gute Weile haben mag, bis Chamber lains zuversichtliches Wort: „that Preference and Tarif Reform must come shortly“, in Er füllung geht, da sich das englische Volk bei den letzten Wahlen in seiner Mehrheit nun einmal der Politik des Protektionismus abhold gezeigt hat. Man kann aber füglich bezweifeln, ob das noch lange so bleiben wird. Die Zahl derer ist im Steigen, die von der Notwendigkeit gegenseitigen Vorzugshandels der britischen Reichsteile überzeugt sind, sei es, daß sie ihn um seiner selbst willen, sei es zur Anbahnung engeren politischen Zusammenschlusses oder auch als Gegengewicht gegen die Handelspolitik von Englands Konkurrenten für notwendig halten, und schon jetzt berichtet die englische Presse, daß der Anhang der liberalen Regierung stark im Abbröckeln sei. Jedoch zugegeben auch, daß die jetzige britische Regierung noch lange am Ruder bleiben wird und damit eine Aende- rung der Handelspolitik des Vereinigten König reichs zunächst ausgeschlossen erscheint, so ist es doch ganz unzweifelhaft, daß die selbständigen Kolonien auf dem Wege mutterländischer Be vorzugung fortschreiten werden. Kanada — hatte man bei Bekanntwerden der neuesten Laurier - Fieldingschen Zollpolitik geglaubt und gehofft — würde, der nun ein Dezennium währenden Geschenke an das Mutter land ohne Gegengabe müde, von seiner Bevor zugungspolitik zurückkommen; setzte doch das neue Zollgesetz schon nicht mehr eine Bevor zugung der englischen Einfuhr um 331/3 °/0 in Bausch und Bogen, sondern eine für verschiedene Waren verschiedene bis zu höchstens 331/3 °/o fest! Weit gefehlt, wenn man das als ersten Schritt zurück ansehen wollte! Es war nur eine Maßnahme, die die Regierung Laurier- Fielding im Interesse der kanadischen Industrie für geboten hielt, eine Maßnahme der Regierung, die gar trefflich Kanadas Wirtschaftsinteressen durch Zollpolitik, Produktionsprämien usw. zu wahren weiß.* Und wer noch daran gezweifelt hätte, daß Kanada nicht daran denkt, seine seit 1897 verfolgte Politik aufzugeben, den mußte eine Rede des Premierministers Laurier auf klären, die er vor wenig Monden in London bei einem Festessen hielt, und in der es heißt: „Ich habe hier in Blättern gelesen, daß, wenn das Mutterland uns keine Vorzugszölle gewährt, wir in Kanada unsere Politik gegen das Mutter land aufgeben und Märkte in den Vereinigten Staaten suchen werden. Diese Behauptung ist grundlos. Es gibt eine Menge Dinge, wo wir Konzessionen gegen Konzessionen mit unseren Nachbarn austauschen könnten. Aber lassen Sie sich’s gesagt sein, und unsere Nachbarn wissen das wohl, daß, wo immer es auf unseren Märkten zu Konkurrenzen zwischen den Erzeug nissen Englands und Amerikas kommt, unsere Wahl getroffen ist: wir stehen zum Mutter lande.“ Der Südafrikanische Zollverein ge währt der großbritannischen Einfuhr seit dem 15. August 1903 einen Zollnachlaß von 25 °/o bezw. für einige Artikel Zollfreiheit; und ob nicht die Denkschrift, die die Regierung in Kapstadt soeben herausgegeben hat und in der der Earl of Selborne. eine Lanze für einen festen britisch-südafrikanischen Bund bricht, nicht auch kräftig für Verfolgung des eingeschlagenen Weges auf handelspolitischem Gebiete eintritt, muß bis zum Bekanntwerden des Textes des Memorandums abgewartet werden. Es läßt sich aber nach allem, was jüngst in Verfolgung imperialistischer Ziele geschah, sehr wohl vermuten. Neuseeland begünstigt die Waren bri tischer Herkunft seit dem 16. November 1903 bezw. hinsichtlich der vor dem 16. November 1903 gekauften Waren seit dem 1. April 1904, und auch der Australische Bund hat be kanntlich im Vorjahre das kanadisch-südafrika nisch-neuseeländische Beispiel, gewürzt noch durch die Schiffahrtsklausel, nachahmen wollen, mußte aber erleben, daß die britische Regierung das ihr dargebotene Geschenk eben dieser Schiffahrts klausel wegen aus Rücksicht auf internationale Verträge verweigern mußte. Zwar schweigt * In den drei Rechnungsjahren vom 1. Juli 1903 bis 30. Juni 1906 zahlte die Kanadische Regierung nach den Nachrichten für Handel und Industrie (1907 Nr. 68) an Produktionsprämien (in Dollar) für: 1903/04 1904/05 1905/06 Roheisen 533 982 624 667 687 632 Rohschienen . . . 11 669 7 895 5 875 Stahlblöcke . . . 347 990 614 433 941 000 Fabrikate aus Stahl 15 321 293 209 369 832 Blei 195 627 333 645 90 196 Bindeseile .... 25 452 13 789 15 079 Rohpetroleum . . — 350 047 291 157 Im ganzen 1 130 041 2 234 685 2 400 771