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treter Englands — die Erklärungen der Kon ferenz von 1902 zugunsten des Vorzugshandels, überhaupt der Begünstigung der britischen Reichs teile untereinander wiederholte. Und letzthin stand die Frage abermals auf dem politischen Speisezettel Englands, indem am 15. Juli ein Antrag Mr. Lytteltons, des Sekretärs für Kolonien unter der Regierung Balfour, im Unterhaus zur Debatte stand: „That this House regrets that his Majesty’s Government have declined the invitation unanimously preferred by the Prime Ministers of the self-governingColonies to consider favourably any form of Colonial Preference or any measures for closer commercial union of the Empire on a preferential basis." Ferner hat Herr J. Chamberlain gelegentlich der Ersatzwahl in dem früher in sicherem Be sitze des liberalen Eisenindustriellen Sir Charles Palmer befindlichen, jetzt aber nach heißem Kampfe vom Kandidaten der Arbeiterpartei er oberten Wahlkreise Jarrow an den unionistischen Kandidaten einen Brief geschrieben, der mit einer gewissen Begeisterung von der imperia listischen Presse aufgenommen wurde,* und in dem es u. a. heißt: „That Preference and Tariff Reform must come shortly, if we are not for ever to sink in a third-rate place, I am certain.“ Von größerer Bedeutung als dieser Brief aber noch ist, daß der australische Minister für Handel und Zölle, Sir William J. Lyne, in der „Empire Review“ ** das Wort ergreift und in einem Artikel „Preference and recent commercial legis- lation in Australia“ von neuem kräftig für den gegenseitigen Vorzugshandel eintritt. Dieser Artikel ist geeignet, durch seine ein leitenden Sätze Aufsehen zu erregen. Denn wer geglaubt hat, die Kolonien würden nachgerade den Geschmack an der Gewährung von Vorzugs zöllen für die englische Einfuhr verlieren, wenn ihnen das Mutterland nicht bald Gegenleistungen dafür einräumen würde, und wer damit gehofft hatte, die ganze Bewegung in den Kolonien würde gar bald gemäß der Entscheidung des englischen Volkes bei den letzten Wahlen im Sande verlaufen, der wird durch den ersten Satz des Lyneschen Artikels nicht wenig überrascht und enttäuscht sein: „Was den Vorzugs handel anbetrifft, möchte ich gleich am Anfänge sagen, daß wir Australier keine besondere Vergünstigung für unser Land verlangen. Wir glauben, daß die Absichten, die wir haben, zum Wohle des Reiches im ganzen sind.“ Und weiter: „Ein anderer Irrtum ist der untergeschobene Gedanke, daß die Kolonien von Großbritannien einen Zoll auf Rohmaterialien forderten.“ Diese Sätze scheinen der ganzen größer- britischen Bewegung eine vollkommen neue Wen- * Z. B. „Standard“ vom 2. Juli 1907. ** Nr. 78, Juli 1907. düng zu geben; denn wer hätte wohl den Ko lonien so viel Reichspatriotismus zugetraut, daß sie dem Mutterlande Geschenke darbringen, ohne nur die geringste Gegenleistung zu erwarten? Sie scheinen allerdings nur so. Denn sie sind nichts mehr als ein Blendwerk, vergleichbar der pomphaften Inszenierung eines Feuerwerkes, das bald durch einen Regenschauer gedämpft wird. Diese Einleitung hindert nämlich Mr. Lyne nicht, nur wenige Sätze später zu erklären: „Ich habe eine Liste über britische Einfuhr von mehr als 200 Millionen £ zusammengestellt, die vollständig innerhalb des Reiches erzeugt werden kann, und wenn ein kleiner Vorzug euren überseeischen Verwandten eingeräumt wird, würden sie imstande sein, den Bedarf ebenso billig oder sogar billiger zu befriedigen, als der Fremde heute tut. Meine Liste ent hält hauptsächlich: Getreide, Fleisch, Butter, Wein, Käse und Leder.“ Und der weitere Inhalt des Lyneschen Aufsatzes dreht sich um den — übrigens mit recht anfechtbaren Argumenten geführten — Beweis, daß diese Einfuhrartikel durch einen Zoll nicht verteuert werden würden, daß „das englische Volk um keinen Penny ärmer werden würde“. Fürwahr, eine seltsame Logik! Ich habe mich, um mich in den Gedankengängen Mr. Lynes zurechtzufinden, an einen überzeugten Chamber- lainisten gewandt, der mir denn auch über den Widerspruch Aufklärung verschaffen konnte: ein Vorzugszoll für die Produkte der britischen Kolonien ist keine „Vergünstigung“, „nofavour“, die zu fordern Mr. Lyne und seine patriotischen Australier viel zu altruistisch sind, er ist viel mehr „ihr gutes Recht“. Wer denkt nicht des Goetheschen Wortes: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten, — mit Worten ein System bereiten“ ? Vielleicht aber ist der Zusammenhang auch ein anderer. Australien, dessen Hauptausfuhr artikel Wolle ist, fordert in höchster Selbst losigkeit unter Vorzugsbehandlung der Kolonien keinen Zoll auf „Rohmaterialien“, sondern nur auf Lebensmittel. Kanada, von gleich alt ruistischem Geiste beseelt, begnügt sich dann vielleicht mit Zöllen auf Wolle, und so ist eben beiden geholfen. Ob man um Worte oder um Absichten streitet, das eine ist klar, daß das Ganze eitel Spiegelfechterei ist, — und die Grund tendenz schimmert nur gar zu sehr durch alle die fadenscheinigen Verschleierungen und Be mäntelungen hindurch. Freilich, bei der gegenwärtigen politischen Konstellation in England liebt man es auf Seiten der Anhänger des gegenseitigen Vorzugshandels, in Rätseln zu sprechen, scheut sich, mit An sichten oder gar Vorschlägen klipp und klar herauszurücken. Auch die Rede Balfours ge legentlich der Parlamentsdebatte über das von