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24. Juli 1907. Erstarrungs-Vorgänge bei Eisenkohlenstofflegierungen. Stahl und Eisen. 1093 Ueber den augenblicklichen Stand unserer Kenntnisse der Erstarrungs- und Erkaltungsvorgänge bei Eisen kohlenstofflegierungen. Autoreferat von Dr. ing. P. Goerens, Dozent a. d. Königl. Techn. Hochschule in Aachen. I n dieser Arbeit, welche in „Metallurgie“ Bd. 3 (1906) S. 175 und Bd. 4 (1907) S. 137 und 173 erschienen ist, wendet sich P. Goerens einer der in der physikalischen Metallurgie wohl am meisten erörterten Fragen zu, nämlich der Frage nach dem Zustandsdiagramm der Eisen kohlenstofflegierungen. Zu dessen Fest stellung ist in den letzten Jahren eine fast unübersehbare Reihe von zum Teil sehr ver dienstvollen Arbeiten zutage gefördert worden, und wenn es trotzdem nicht gelungen ist, die Frage vollständig zu klären, so mag dies wohl zum großen Teil darauf zurückzuführen sein, daß rein theoretische Spekulationen nicht immer genügend von Versuchen unterstützt worden sind. War aber einmal eine Theorie entstanden, welche sich als unzutreffend erwies, so bedurfte es einer Menge von Arbeit, ehe sie aufgegeben wurde, anderseits weckte dieser Streit das Mißtrauen gegen jede neu auf tauchende Erklärung. Der Weg, welchen der Verfasser zur Klä rung der Frage einschlägt, ist folgender: Nach einer eingehenden Besprechung der wichtigsten Arbeiten über das System Eisenkohlenstoff zieht er an Hand metallographischer Untersuchungen eine Grenze zwischen denjenigen Anschauungen, welche mit denselben in Uebereinstimmung zu bringen sind und infolgedessen beibehalten wer den müssen, und denjenigen, welche der Versuch als unhaltbar erweist, infolgedessen aufzugeben sind. Das Resultat der Arbeit läßt sich dahin zusammenfassen, daß von den bekannten Dia grammen für die graphitfreien Eisenkohlenstoff legierungen das einfachste, Roozeboom- Benedickssche* sich am besten bewährt, und daß auch die graphit- bezw. temperkohlehaltigen Systeme durch eine naheliegende Annahme auf ein ebenso einfaches Diagramm sich beziehen lassen. Das erste vollständige Zustandsdiagramm ver öffentlichte im Jahre 1897 Roberts-Austen auf Grund sorgfältiger experimenteller Unter suchungen. Drei Jahre später wurde dieses Dia gramm von B. Roozeboom durch Anwendung der Phasenregelvervollständigt. Dieses erste Rooze- boomsche Diagramm erfuhr im Jahre 1904 durch ihn selbst eine Vereinfachung, besaß jedoch trotz dem noch eine Anzahl von Linien, deren Existenz- * C. Benedicks: „Metallurgie“ 1906 3, S. 393. berechtigung zum mindesten als zweifelhaft er scheinen mußte. Dieselben waren in dem ursprüng lichen Diagramm von Roberts-Austen nicht ent halten und auf Grund einer experimentellen Ar beit von Carpenter und K e e 1 i n g * eingefügt worden. Zu der gleichen Zeit machte Heyn** den Vorschlag, zwei getrennte Zustandsdiagramme zu unterscheiden, ein stabiles, bei welchem der Kohlenstoff stets in elementarer Form zur Abscheidung gelangt, und ein labiles, welches Eisenkarbid enthält. In der vorliegenden Arbeit handelt es sich daher in erster Linie darum, zu entscheiden, wel chem Diagramm das tatsächliche Verhalten der Eisenkohlenstofflegierungen am besten entspricht. Der Verfasser behandelt der Reihe nach: 1. die Eisenkohlenstofflegierungen im geschmol zenen Zustande, 2. die Erstarrungsvorgänge, 3. den Einfluß der thermischen Behandlung er starrter Eisenkohlenstofflegierungen auf deren Gefüge. Ueber den Zustand des Kohlenstoffes in flüssigen Legierungen läßt sich sagen, daß derselbe nur an Eisen zu Eisenkarbid FesC ge bunden sein kann. Berechnet man nämlich aus den Temperaturen beginnender Erstarrung verschiedener Eisenkohlenstofflegierungen die Molekulargröße des Kohlenstoffes nach der von Rot hm und angegebenen Formel, welche nur für verdünnte Lösungen gültig ist, so gelangt man zu sehr verschiedenen Werten, je nachdem man die Berechnung an einer Lösung mit 1 oder mit 3 o/o Kohlenstoff ausführt. Diese Abweichung ist nur schwierig zu erklären, wenn man an nimmt, daß in der flüssigen Lösung der Kohlen stoff als solcher in elementarer Form vorhanden ist, da doch beide Lösungen als verdünnte der Rothmundsehen Formel folgen müßten. Die Ab weichung wird aber ohne weiteres klar, wenn man annimmt, daß in der Flüssigkeit Eisenkarbid enthalten ist. Eine Lösung mit 3 0,o Kohlenstoff entspricht einer solchen mit 45 0/o Eisenkarbid, und letztere ist unbedingt als eine konzentrierte Lösung zu betrachten, welche nicht mehr unter das Rothmundsche Gesetz fällt. * Carpenter u. Keeling: „Journ. Iron and Steel Institute“ 1904, I, S. 224. ** Heyn: „Zeitschrift für Elektrochemie“ 1904 10, S. 491.