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um ein Urteil abgeben zu können. Hoffentlich macht man nicht gar die Erfahrung, die man bei anderen Versicherungsrevisionen bisher zu machen Gelegenheit gehabt hat, daß damit noch eine Erhöhung der Lasten verbunden ist. Das Hauptinteresse der industriellen Arbeiter schaft richtet sich gegenwärtig auf die Ein führung der Witwen- und Waisen-Ver- sicherung. Es ist das ein ganz neuer Ver sicherungszweig, der nach dem Zolltarifgesetz bis zum 1. Januar 1910 oingeführt sein muß, wenn nicht bestimmte Eventualitäten eintreten sollten. An dem Entwürfe ist seit dem Dezember 1902 bereits gearbeitet. Mit seiner Vorlegung an den Reichstag dürfte nicht mehr lange ge wartet werden. Dieser Gesetzentwurf wird sich selbstverständlich auf dem einheitlichen inzwischen zu schaffenden Grunde von Rechtsbestimmungen aufbauen. Da aber keine Einheitsträger für die Gesamtversicherung geschaffen werden sollen, auch nicht anzunehmen ist, daß eine neue Art von Organisation gebildet werden soll, so dürfte man wohl die neue Versicherung einer der alten Organisationen übertragen. Die Hauptfrage auch bei dieser Versicherung ist die der Finanzierung. Wie man sich in den Regierungskreisen die Ver teilung der Lasten denkt, darüber ist nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen. Von dem bis 1910 aufzufüllenden Hinterbliebenen - Versiche- rungsfonds wird man nicht allzuviel erwarten dürfen. Bekanntlich sollen bis zu dem ge nannten Jahre die Mehreinnahmen aus gewissen landwirtschaftlichen Zöllen dem Fonds zugeführt werden. Das Jahr 1906, das erste Jahr der Geltung des neuen Zolltarifs, wird aber recht wenig Mittel zu dem Fonds liefern. Es blieben also nur noch drei Jahre für diesen Zweck übrig. Man wird bestenfalls eine jährliche Bei hilfe zur Bestreitung der Kosten der Witwen- und Waisenversicherung der Arbeiter aus diesem Fonds in Höhe von 4 bis 5’ Millionen Mark er warten dürfen. Das ist gegenüber den Kosten, die mindestens 100 Millionen ausmachen werden, recht wenig. Nun werden ja allerdings auch von 1910 ab jährlich die Mehreinnahmen aus den landwirtschaftlichen Zöllen für diesen Ver sicherungszweig zu verwenden sein. Daß sie sich aber auf 100 Millionen belaufen werden, daran ist nicht zu denken. Es wird also ein beträchtlicher Posten jährlich wieder zu decken übrig bleiben. Auf jeden Fall muß verlangt werden, daß die Arbeiter zur Leistung von Bei trägen in beträchtlichem Umfange herangezogen werden. Sie müssen eben mehr als bisher ein Verantwortlichkeitsgefühl für ihre Familie er halten, und dies ist ihnen nur durch die Auf erlegung eines beträchtlichen Teiles der Kosten beizubringen. Die Industrie wird ja schließlich doch auf diese oder jene Weise die Last zu tragen bekommen; aber die Arbeiter auszuschalten, wie dies etwa bei der Unfallversicherung ge schehen ist, würde ein schwerer Fehler sein. Man wird aber auch weiter daran denken müssen, ob es nicht angebracht ist, den schwankenden Faktor der Mehreinnahmen der landwirtschaft lichen Zölle ganz zu beseitigen und das Reich zu einem bestimmten jährlich zu leistenden Zu schuß heranzuziehen. Die dritte Versicherungsart, die in Revision genommen ist, ist die Krankenversicherung. Hier handelt es sich in erster Reihe um die Ausdehnung der Versicherungspflicht. Es kommen hauptsächlich die landwirtschaftlichen Arbeiter und die Dienstboten in Frage. Aber die In dustrie ist auch insofern hieran interessiert, als die Heimarbeiter der Versicherungspflicht unter worfen werden sollen. Damit sind der Industrie wieder neue Lasten in Aussicht gestellt. Ver langt muß werden, daß bei der Krankenversiche rungsrevision einmal damit Ernst gemacht wird, der Sozialdemokratie den Einfluß zu entziehen, den sie durch die Krankenkassen auf die Ar beiterschaft auszuüben in der Lage ist. Man sollte meinen, daß, wenn der preußische Finanz minister im Abgeordnetenhause sich für die Um gestaltung der Kassenorganisation in diesem Sinne stark macht, auch Ernst damit gemacht wird. Man hätte längst und namentlich bei der letzten Krankenversicherungsnovelle in dieser Richtung vorgehen sollen. Die Sozialdemokratie wird an recht vielen Enden bekämpft. Die Ge setzgebung aber sollte wenigstens nicht Hand haben bieten, mit denen die Sozialdemokratie ihren Einfluß auf die Arbeiterschaft verstärkt. Unter die Krankenversicherungsart fällt auch die Hilfskassengesetzgebung. Ein Gesetz, das diese Frage regelt, liegt dem Reichstage bereits vor. Es wird also in nächster Tagung durch beraten werden müssen. Hoffentlich kommt es zustande und zwar im Interesse auch der in dustriellen Arbeiterschaft, die vielfach durch die Gründung unsolider Kassen in ihren Interessen geschädigt wird. Wie mit den verschiedensten Fragen 'der Arbeiterversicherung wird sich der Reichstag in seiner nächsten Tagung auch mit einzelnen Seiten des Arbeiterschutzes zu beschäftigen haben. Es kommt hier zunächst in Frage der Maximalarbeitstag der Frauen. Be kanntlich ist durch die Novelle zur Gewerbe ordnung vom Jahre 1891 der Maximalarbeitstag für die Frauen eingeführt und auf 11 Stunden festgelegt. Man hatte damals schon ver schiedentlich zu hören bekommen, daß die Be stimmung über diese Arbeitszeit lediglich vor übergehender Natur sein würde. Es ist ja denn auch von den verschiedensten Seiten in der Zwischenzeit auf eine Herabminderung hin gewirkt und der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Schon vor längerer Zeit ist in der Regierung