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15. Mai 1905. Bericht an die Hauptversammlung der Nordwestlichen Gruppe. Stahl und Eisen. 573 Der unglückselige Bergarbeiterausstand im Januar bis Februar 1905, der, unter Kontrakt bruch begonnen, immer größere Dimensionen an- [ genommen hatte, bis sich das gesamte nieder- | rheinisch-westfälische Kohlengebiet im Streik be- [ fand, hat außer den tief zn beklagenden Begleit umständen für die Familien der Bergleute eine große Erregung der mißleiteten öffentlichen Meinung gegen die Bergwerksbesitzer hervor gerufen, die leider auch die Preußische Staats regierung veranlaßte, in die bisherigen Berg werksverhältnisse in weitgehender Weise ein zugreifen. Der Gesetzentwurf betreffend die Abänderung einzelner Bestimmungen des All gemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865/1892 1 enthält Bestimmungen 1. über die Kontrolle der Qualität des Fördergutes und Festsetzung eines Höchstbetrages für Geldstrafen, 2. Vorschriften zur Einschränkung der Arbeitszeit nach sanitären Gesichtspunkten sowie Regelung des Über- und Nebenschichtwesens, 3. obligatorische Einführung von Arbeiterausschüssen. Die schwerwiegenden Bedenken gegen diesen Gesetzentwurf wurden nach einem ausführ lichen Referate, das in einer gemeinschaftlichen Sitzung der Gruppe und des „Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Inter essen in Rheinland und Westfalen“ am 18. März dieses Jahres erstattet wurde, eingehend be sprochen und fanden ihren Ausdruck in folgendem, einstimmig angenommenem Beschlusse: „Die aus Anlaß des jüngsten Bergarbeiter ausstandes vom »Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund« dringend gewünschte und seitens der Staats regierung eingeleitete Untersuchung der nieder- rheinisch-westfälischen Gruben hat bisher das Ergebnis gehabt, daß irgendwie bemerkenswerte Mißstände nicht festgestellt werden konnten, daß somit der Ausstand auf den in Betracht kommenden Gruben ein unberechtigter war und sich die öffentliche Meinung in völligem Irrtum befand, als sie das Bestehen solcher Mißstände als sicher annahm. Wir zweifeln nicht, daß die Untersuchung auch der übrigen Grnben — eine Untersuchung, die wir mit dem Bergbau lichen Verein für dringend wünschenswert halten, damit nicht nur von einem Teilergebnis ge sprochen werden kann — dasselbe Resultat haben wird. Um so mehr beklagen wir es, daß die Staatsregierung schon vor Abschluß dieser Untersuchung zu einem gesetzgeberischen Ein griff die Hand geboten hat, den wir für unnötig und schädlich ansehen müssen. Die Annahme des Gesetzentwurfs in der vor liegenden Fassung würde die Gestehungskosten unserer heimischen Kohlengruben wesentlich ver teuern und damit auf der einen Seite den deut schen Wettbewerb gegen die ausländischen Kohlen erschweren und anderseits eine Verteuerung der heimischen Kohlen naturgemäß zur Folge haben. Bedauern wir das erstere im Interesse unserer vaterländischen Produktion, so halten wir das letztere im Interesse der heimischen Verbraucher für gefahrvoll und erheben als Konsumenten Einspruch gegen eine Gesetzgebung, die ohne Not die Kohle, das Brot der Industrie, verteuert und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deut schen Industrie auf dem Weltmarkt aufs schwerste beeinträchtigt. Ferner sind wir der Ansicht, daß durch die Einführung o b 1 i g a t o r i s c h e r Arbeiterausschüsse eine Stärkung der sozialdemokratischen Organi sation auf der ganzen Linie herbeigeführt werden wird, die eine fortgesetzte Beunruhigung des heimischen Bergbaues zur Folge haben muß, die aber auch sämtlichen anderen Industrie zweigen und dem Allgemeinwohl die schwersten Schädigungen zufügen wird. Ganz abgesehen von den unerfreulichen Erscheinungen, die durch die vermehrten Wahlen erfahrungsgemäß hervor gerufen werden, können solche auf dem Wege des geheimen und direkten Wahlrechts zustande gekommenen Arbeiterausschüsse die Quelle des Unfriedens zwischen Arbeitgeber und Arbeit nehmer werden, da erfahrungsgemäß bei solchen Wahlen die unzufriedenen Elemente leicht die Oberhand über die ruhigen gewinnen. Aus allen diesen Gründen sprechen wir uns gegen den Gesetzentwurf aus und bitten den Landtag, ihn abzulehnen. Wenn schließlich darauf hingewiesen wird, daß der Bergbauliche Verein durch sein Ver halten den Ausständigen gegenüber an diesem Gesetzentwurf die Schuld trage, so müssen wir gegen eine solche Anschauung lebhaften Wider- | sprach erheben. Der Bergbauliche Verein, der ■ keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung j des Arbeitsvertrags der einzelnen Zechen mit | ihren Arbeitern ausübt, hat mit vollem Recht eine Verhandlung mit der Siebenerkommission abgelehnt, die eine rechtmäßige Vertretung der zudem unter Vertragsbruch in den Ausstand eingetretenen Bergarbeiter nicht darstellte und die Führung, wie der Verlauf des Ausstandes zeigt, durchaus nicht in der Hand hatte. Ohne das Eingreifen der Staatsregierung wäre der Ausstand mindestens ebenso früh, wenn nicht früher beendet worden, wie es tatsächlich der Fall gewesen ist. Wir können darum das Ver halten des Bergbaulichen Vereins in dem den niederrheinisch-westfälischen Zechenverwaltungen frivol aufgedrängten Kampfe nur für durchaus । berechtigt und angemessen erklären. Zu dem Gesetzentwurf betr. Stillegung der Zechen werden wir in unserer Hauptversammlung ' Stellung nehmen.“ Inzwischen hat das Abgeordnetenhaus beide 1 Gesetzentwürfe an eine Kommission verwiesen, i die bezüglich des ersteren eine Reihe von Ab-