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408 Stahl und Eisen. Verwendung von kalt erblasenem Roheisen zur Flußeisendarstellung. 25. Jahrg. Nr. 7. 2. Das Bertrand-Thiel-Verfahren. Das Bertrand-Thielsche Verfahren, welches vor fast zehn Jahren auf dem Werk der Prager Eisenindustrie in Kladno zur Verarbeitung des dort vorhandenen Roheisens, welches zum Bessemern zu viel, zum Thomasieren zu wenig Phosphor hatte, eingeführt wurde, hat in zwischen als Stahldarstellungs-Verfahren an all gemeiner Bedeutung gewonnen. Die Teilung der Frischarbeit auf zwei oder mehr Öfen hat, wie aus den den Thielschen Veröffentlichungen* zahlreich beigegebenen Betriebsresultaten her vorgeht, die Leistungsfähigkeit der Martinöfen gegenüber dem reinen Erzverfahren verdoppelt. Diese höhere Leistungsfähigkeit erklärt sich aus der Erfüllung der eingangs vorausgeschickten Bedingungen für die Verkürzung der Frisch zeiten im Martinofen. Der erste Verlauf des Frischprozesses ist ungefähr derselbe wie beim Monellverfahren, und nachdem die erste Reaktion im „oberen“ Ofen verlaufen ist, würde ebenso wie hier die Frischung nur einen langsamen Fortgang nehmen. Thiel will nun aber auch im oberen Ofen keine weitere Oxydation er reichen. Die Schlacke ist größtenteils von den Eisenoxyden befreit und für eine weitere schnelle Reaktion unwirksam geworden. Durch die weitere Wärmezufuhr wird jetzt nur noch das Bad überhitzt und allmählich der für die Oxydation des Kohlenstoffs geeignete Temperaturzustand erreicht. Nebenher geht während dieser Über hitzungsperiode noch ebenso wie beim gewöhn lichen Verfahren eine langsame Oxydation von Kohlenstoff vor sich. Wenn das Metallbad ge nügend überhitzt ist, erfolgt der Abstich in den zweiten Ofen unter Zurücklassung der un brauchbar gewordenen Schlacke. Für die im ersten Ofen erreichte hohe Temperatur zeugen die ähnlich wie beim Konverterprozeß auftreten den braunen Dämpfe. Im zweiten Ofen sind vorher die eventuell zu verbrauchenden Schrott zusätze eingeschmolzen, zum mindesten stark angewärmt, worden; jedenfalls ist aber auch hier eine neue Schlacke aus Eisenoxyd- und Kalkzuschlägen in Bildung begriffen, der die Aufgabe zufällt, das Metallbad zu entkohlen. Ist geschmolzener Schrott vorhanden, so erfolgt trotzdem im Ofen keine Reaktion, da ja das Metall keine nennenswerten oxydierbaren Ver unreinigungen enthält. Eine solche geht erst dann vor sich, wenn das hocherhitzte vor gefrischte Metallbad aus dem ersten Ofen hinzu tritt. Das hereinstürzende Eisen durchdringt die Schlackendecke und kommt mit den Molekeln derselben in innigste Berührung. Wurde bei dem Monellverfahren bei diesem Vorgang schon * „Stahl und Eisen“ 1897 S. 403 ff., 1901 S. 1309 ff., 1903 S. 38. eine außerordentlich schnelle Wirkung konsta tiert, so muß hier eine noch viel kräftigere Oxydation des Kohlenstoffs eintreten, da das Metallbad hoch überhitzt ist, und auch außer dem Kohlenstoff keine anderen oxydierbaren Verunreinigungen mehr vorhanden sind. Die Metallmasse stellt also eine stark konzentrierte Eisenkohlenstofflösung dar, auf welche, wie in der Einleitung des näheren ausgeführt, das ge schmolzene eisenoxydulhaltige Reagens am besten ein wirkt. Aus den Thielschen Veröffentlichungen kann man Daten für die verschiedensten Arten der Arbeitsteilung entnehmen. Abgesehen von dem Frischen in zwei Öfen, berichtet er über An wendung dreier Öfen in der Weise, daß zwei als Vorfrischer abwechselnd dem dritten als Fertigfrischer dienenden Ofen das Zwischenprodukt zuführen; anderseits schlägt er wieder vor, das Frischen auf drei Öfen nacheinander zu ver teilen, so daß im ersten entsiliziert, im zweiten entphosphort, im dritten entkohlt und fertig gemacht wird; diese letztere Arbeitsweise dürfte allerdings noch nicht praktisch durchgeführt worden sein. Jedenfalls ist das Verfahren aber anwendbar zur Verarbeitung beliebiger Roh eisensorten. Ganz besonders vorteilhaft dürfte es sein bei Verwendung eines Roheisens mit etwa 0,5 bis 1 °/o Phosphor bei höherem Siliziumgehalt. Im basischen Konverter würde, auch wenn die Möglichkeit des Verblasens ge geben wäre, der Phosphorsäuregehalt der Schlacke zu gering sein, um die Verwendung zu Thomas phosphatmehl rentabel zu machen; das Bertrand- Thiel-Verfahren bietet dagegen die Möglichkeit, die fallende Phosphorsäure auf eine geringere Schlacken-Menge zu konzentrieren, so daß diese der Thomasschlacke gleichwertig wird. Die Betriebsresultate von Kladno zeigen zur Genüge die Möglichkeit, aus Roheisen beliebiger Zusammensetzung fortlaufend tadellose Fluß eisenchargen zu erzeugen. Trotzdem hat das Bertrand-Thiel-Verfahren erst neuerdings weiter gehende Anerkennung gefunden. Der be deutsamste Erfolg ist wohl seine Einführung auf dem Eisen- und Stahlwerk Hoesch in Dort mund, womit es zum erstenmal im Herzen des deutschen Industriegebiets festen Fuß gefaßt hat. Hier benutzt man als Ausgangsprodukt Thomasroheisen, welches nach Bedarf aus dem für das Thomasstahlwerk vorhandenen Mischer entnommen wird. Thiel selbst konnte schon in dem zweiten Aprilheft 1904 von „Stahl und Eisen“* berichten, daß man ein Fertigprodukt mit gleichmäßig niedrigem Phosphorgehalt (unter 0,03 °/o), welches sich tadellos gießen und walzen läßt, erzielt habe. Seit dem 16. August v. J. arbeiten nun zwei 18 t-Öfen dauernd nach dem Bertrand-Thiel-Verfahren, und es haben sich * „Stahl und Eisen“ 1904 S. 458.