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Deutschland und Genf. Nach einer Genfer Havas-Meldung war ursprünglich be absichtigt, daß MacDonald und Herriot auf der Genfer Völker- bundtagung nicht mehr sprechen werden. Sie haben nun bei der Annahme der englisch-französischen Resolution über Ab rüstung und Sicherung doch noch einmal das Wort ergriffen. Die „Einigungsresolution" in Genf ist für denjenigen, der di« diplomatische Sprache zu lesen versteht, ein recht fadenscheini ges Machwerk, das die Künstlichkeit dieser Einigung unschwer erkennen läßt. Die große Hoffnung wird auf die kommende internationale Abrüstungskonferenz durch Vermittlung des Völkerbundes gesetzt. Im übrigen werden die dritte und die erste Kommission des Völkerbundes eigentlich beauftragt, die Vorarbeiten für eine Einigung hcrzustellrn, die bisl^r noch nicht erzielt worden ist. Herriot und MacDonald sind vor den . Augen der Welt brüderlich vereint gemeinsam bis nach Paris in einem Salonwagen gefahren, ihre Schlußreden in Genf ließen aber für das kundige und aufmerksame Ohr die Untertöne einer tiefen Resignation — wenn nicht gar Verstimmung — vernehmen. MacDonald sprach mit temperamentvoller Entrüstung von der „Schande der militaristischen Zustände in der Welt", und Herriot war sogar so deutlich, Belgien und Italien direkt zu apostro phieren. Mit der einstimmigen Annahme dieser englisch-französischen Einigungsresolution ist der Hauptteil der fünften Völkerbundsversammlung in Genf eigentlich erledigt, wenn man nicht etwa den Ruf nach dein Beitritt Amerikas und Deutschlands zum Völkerbund als den Wesens kern dieser fünften Völkerbundversammlung in Genf an sprechen will. Nicht uninteressant ist die von einem bekannten politischen Blatte Deutschlands recht sensationell auf gemachte Lesart über das nicht erwartete nochmalige Er scheinen MacDonalds und Herriots auf der Genfer Redner tribüne. Hiernach sollte ursprünglich englischerseits nicht MacDonald, sondern der englische Arbeiterführer Hender son in der Sonnabmd-Nachmiitagsützung mit einer aus- drücklichen Unterstreichung der unbedingten Notwendigkeit des Beitritts Deutschlands in den Völkerbund sprechen. Henderson sei aber durch die Gerüchte über die bevorstehende Notifizierung der deutschen Kriegsschulderklärung gar nicht mehr in der Luge gewesen, einen derartigen Appell von Stapel zu lassen „angesichts der Erregung, die über diese Aktion Deutschlands in Genf besteht". Weiter leistet sich bei der Wiedergabe dieser Wandelgangslesart jenes „auchdeutsche" politische Blatt noch folgende recht bezeichnende Erklärung: „Der als ein warmer Freund Deutschlands be kannte Delegierte eines der führenden neutralen Staaten er klärte dem Chefredakteur dieses Blattes im Laufe eines Ge spräches, das er mit ihm in den Wandelgängen des Vecsamlungsjaales l)atte: „Von der Handlungsweise Deutsch lands selbst hängt geradezu das Schicksal Europas für die nächste Zukunft ab". Dieser mit oer ganzen Raffinesse einer politischen Sen sation aufgemacyre S a b o t i er u n g sv er s uch der be vorstehenden Notifizierung der deutschen Kriegst chulderklärung ist wieder einmal eine Handlungsweise, die geeignet ist, jedem Deutschen, der sein Vaterland liebt, deni deutsch« Ehre kein leerer Schall und Rauch ist, gleichviel, wie er sich sonst innen- wie außenpolitisch die deutschen Geschicke ausmalt, die Helle Zornes- und Scham röte ins Gesicht zu jagen. Bei einer Beurteilung dieser un erhört schamlosen Handlungsweise selbst fällt allerdings ein nicht beabsichtigter Glücksumstand erheblich m die Wagschale: das journalistische Ungeschick jenes „führenden Politikers", diesen mit allen Mitteln der politischen Sensation aufge machten unerhörten Vorstoß gegen die amtliche deutsche Kriegsschulderklarung selbst als „Wandelgangsgespräch", d. h. mit anderen Worten als „politischen Klatsch" zu kennzeichnen, eine Kennzeichnung, die um so überzeugender und treffender wirken muß. als der „warme Freund Deutsch lands eine» führenden neutralen Staates" schämig nicht mit Namen «uannt ist. Für jeden sachkundigen Beurteiler der Genfer Ärhondlmigen, wie sie sich bis seht abgespielt haben, dürfte es ziemlich einleuchtend sein, daß das neuerliche Auf treten Mac Donalds und Herriots auf der Genfer Redner tribüne lediglich veranlaßt wurde von dem Bestreben, die sich klar zeigende Kluft zwischen englischer und französischer Auf fassung der Dinge nach Tunlichkeit, wenn nicht zu überbrücken, Io doch zu verschleiern. Daß nicht nur Frankreich, sondern auch Amerika und Engfand. d-e durch das Wirken Wilsons und LloMGeoraesbei dem Versailler Vertrag immerhin nicht unerheblich vorbelastet find, dl« amtliche deutsche Kriegs- schulderklärung nicht in ihren Kram paßt, ist so erklärlich, daß cs weder eine politische Neuigkeit, noch etwa gar eine politisch« Sensation ist. Es ist aber ein geradezu unerhörtes Benehmen eines an geblich führenden „deuts ch e u" Journalisten, bei der augen blicklichen nationalen Notlage Deutschlands durch sensationelle Ausschlachtung und Verbreitung derartigen, recht wenig be weisbaren Kulissentratsches die Position des Aus landes zu stärken und die Deutschlands zu schädigen, min destens zu lähmen. Die amtliche Erklärung der deutschen Reichsregierung gegen die Kricgsschuldlüge ist der frei- willig von der deutschen Regierung dem deutschen Volke dargebrachte Gegenpreis für die Aebernahm« der recht emp findlichen Dawes-Lasten durch das deutsche Volk, sie soll ferner ein Sicherheitsventil dafür sein, ferneren Dölkr- rechtsbrüchen und Bedrückungen nicht wieder seitens der Völlerrechtsbrecher und Bedrücker ein fadenscheiniges Män telchen des Rechtes umhängen zu können. Dieser skandalöse Vorstoß eines „deutschen" Journalisten in Genf muß unrso schärfer gebrandmarkt werden, weil nach Läge -er Sache der begründete Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, daß dieser Ritt gegen di« amtliche deutsche Kriegsschuld erklärung aus niederen rein parteipoliti schen Machtgelüsten heraus erfolgte. Wir bedauern dieses un deutsche Benehmen eines deutschen Jour nalisten auf das tiefste und wollen nur hoffen, daß nunmehr die deutsche Neichsregierung um so nachdrücklicher und energischer di« angekündigte Notifizierung der amtlichen deutschen Kriegsschulderklärung vollzieht. K—r. Oie «Sruudlagen des deutsch-französischen Handelsvertrages. Die Besprechungen der Reichsregierung mit den Ver tretern der deutschen Wirtschaftsverbände über die Grund lagen des deutsch-französischen Handels vertrages kommen in den nächsten Tagen zum Abschluß. Es ist eine Einmütigkeit erzielt worden über die Mindest, forder ungen, die Deutschland dabei zu stellen hätte, besonders sollen die Interessen der badischen Industrie berück sichtigt werden. In Frage kommt im großen und ganzen der Schuß der deutschen Industrie für die französische Einfuhrkon kurrenz, insbesondere was Luxuswaren anbetrifft, als die Forderung deutscher Ausfuhr nach Frankreich. Im Laufe der Woche wird auch die Zusammensetzung der deutschen Dele gation beschlossen werden, die sich in der ersten Oktoberhälfte nach Paris begibt, um dort die Verhandlungen zu führen. Von den beteiligten Ministern wird voraussichtlich keiner nach Paris gehen. In unterrichteten Kreisen wird im Zusammen- Hang damit noch betont, daß von irgendwelchen Son-er- abmachmrgen mit den deutschen und französischen Wirtschafts- gvuppen vorläufig nicht die Rede sein kann. Spanien in Marokko. Die Spanier haben sich auf der ganzen Linie zurückgezogen. Auf dem Rückzug wurde die Nachhut, die von Fremdenlegionären gebildet wurde, von den Nif- leuten angegriffen und erlitt sehr starke Verluste. Die o ffi - »iellen spanischen Berichte besagen, daß die spanischen Ver luste zwar sehr fühlbar, aber gering seien im Vergleich zu der Heftigkeit des Kampfes. InTetuan wurde eiNfran - zisischer Untertan von den Nifleuten getötet. Oie Hungersnot in Sowjeilußlarch. , Das Exekutivkomitee des Don-Gouvernements berichtet, daß 50 000 Kinder dem Hungertode nahe sind und daß mit den vorhandenen Mitteln nur 12 000 Kinder ge- rettet werden können. Die Bevölkerung ist völlig ratlos. Auf den städtischen Märkten stehen die Bauern aus der Umgegend und verkaufen ihre letzten Wohnungs einrichtungen, um Geld für Futtermittel zu bekommen. Diese Nachtrichten haben in Moskau große Erregung hervor gerufen, und Nykow ist nach den Hungergebieten abgereist, um der Regierung einen genauen Bericht auszuarbeiten. Aus Charkow wird gemeldet, daß aufrührerische Bau- ern im Iekaterinen-Gouvernement drei große staatliche Korn- Mühlen und mehrere Holzfabrikcn in Brand gesteckt haben. Der Schaden beträgt mehr als 800 000 Gol-rubel. Die po- litische Polizei hat bereits 5 0 Personen verhaftet. Änaland zu Deutschlands berechtigten Ansprüchen. Die englischen Sonntagsblätter „Observer" und „S unday Times" beschäftigen sich in ausführlichen Auf- sätzen mit den Ergebnissen der Genfer Tagung und insbe sondere mit der Möglichkeit eines Eintritts Deutsch- landsin den Völkerbund. Die Blätter sind dabei von einer bemerkenswerten Deutlichkeit und Klarheit über den eigentlichen Kern des Völkerbundes, welchen sie in der allgemeinen Mißstimmung Deutschlands über seine gegen wärtigen politischen Grenzen erblicken. So schreibt „Observer": Ob Deutschland nun innerhalb oder außerhalb des Völker- luudes ist, das entwaffnete -rutsche Polk wird und kann niemals mit der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Land karte Europas versöhnt werden und es kann nicht bereitwillig eine unabsehbare Zahl von Drfatzungstruppen in einem großen und geliebten Teile seines Mutterlandes, des Rhein landes, binnehmen. Oer Bürgerkrieg in Chins. Der Times-Korrespondent meldet aus Schanghai, daß scharfe Zusammenstöße stattgefunden hätten, bei welchen der Vorteil im allgemeinen auf Seiten der Schekiangtruppcn lag,- die im großen uni. ganzen bessere Soldaten zu s sein säumen, wenn sie auch weniger zablreich sind. Das Äinemcka «« Kr««K jandt« Hmrderre von Verwundeten, zum Teil sehr ernster Natur, nach Sanghai. Gewisse Andeutungen, Depeschen und Artikel be weisen ziemlich einwandfrei, oass sich um Schanghai gegenwärtig ein starker Interessen kam Pf -er Grossmächte abspielt. Amerika, England und Ja- Pan sind die Verfechter der Idee der chinesischen Dezen tralisation, da ein uneiniges Reich der Mitte ihren Interessen besser entspricht. Ahr Werkzeug ist der Schanghai verteidigende General L u - Pungh - Tian g, der soeben zusammen mit dem Militärgouverneur von Tschekiang durch -ie Negierung von Peking ab ge setzt worden ist. Der Widersacher Lu-Pungh-Siangs, G h i - S ch i e h - S) u a n, der MiliLärgvuvcrneur von »iangsu, ist beauftragt worden, eine scharfe; Strafexpedition gegen die Rebellen zn unter- nchme». Gr kämpft für die Ginheil Chinas. Hinter ihm stehen Frankreich und R u ss l a u Seine Armee verfugt denn auch über f r e. n z ö s ische Waffen und r u i s, s er) e Offiziere und st-lugz^-ge. pruvkrcich bc- surchtet ern zu starkes Anwachsen des an.,-liäch>ii-hen ^Einflusses ,n Oitapc». w-.hrcud Lius-unds lebtcs Ziel die Vertreibung der Grossmächte aus dem Territorium Les Fernen Ostens ist. Der Gouverneur -er Man-lchu- rei steht auf feiten Pekings. ' ' Nach einer Meldung aus Peking hat die Pekinger Regierung den General I u n g h s i a n ,'der Shanghai ver- teidigt, seines Amtes enthoben. Gleichzeitg ist der General Lhi ski e h y a n, der die angrcifenden Truppen be- fehligt, mit einer scharfen Strafexpedition beauf tragt worden Das Auslieferungsverfahrem betreffend dis Erzberger» Ntörder einqeleitet. Der deutsche Gesandte in Budapest, Graf Welizek, ist nach Budapest zurückgekehrt. Er hat von der deutschen Regierung in der Angelegenheit der Auslieferung der Erzbergermörder wichtige Informationen erhalten unb wird sie der ungarischen Negierung vorlegen. Die deutschen Behörden vertreten den Standpunkt, daß der angebliche Ver haftete, Heinrich Förster, mit Heinrich Schulz identisch ist, und daß diese Identität einwandfrei festgestellt ist. Sie fordern daher, daß das Auslieferungsverfahren ohne weiter« Agnoszierungsverfahren durchgeführt werde. Trotz dem der deutsche Kriminalbeamte Bloßdie Identität Försters mit Schulz schon in Budapest festgestellt hat, hat er die in Budapest aufgenommenen Photographien des angeblichen Förster nach Deutschland gebracht und sic dort den Bekannten des Schulz vorgewiesen, welche ihn gleichfalls erkannt haben. Das Protokoll über diese Identitätsfeststeilung wurde den ungarischen Behörden übergeben. Dec Gesandte, Graf Weltzek, hat bereits im Ministerium die Durchführung des Auslieferungsverfahrens eingeleiket. Der Hauptausfchuß -cs preussischen Landtages begann am Montag die allgemeine Aussprache zum Kultushau halt. Der Anteil der Aufwendungen für das Kultus- minisierium an den Gesamtausgaben beträgt 16 Prozent ge- genüber von rund 12 Prozent in früheren Jahren.