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Steuern und Wirtschaftskrise. Die Wirtschaftskrise und die bevorstehenden Be ratungen Uber dieDurchführungderSachverstän» >igen plane haben die Neformbedürftigkeit -esdeutschenSteuersystems und einzelner Steuern erneut in den Vordergrund des Interesses treten lassen. Teil- lveise sind bereits die Vorbesprechungen und Vorarbeiten zur Aenderung einzelner Steuern im Kabinett und in den Ressorts der zuständigen Ministerien recht weit gediehen. Ebenso beten die verschiedenen Interessentengruppcn mit dem von ihnen gesammelten Material und ihren Forderungen und Vor- schlagen auf den Plan. Für die steuerlichen Vorschläge des Drwesberichtes hat der Deutsche Industrie, und Hkndslstag durch eine Umfrage bei den angeschlossenen Kammern und Verbänden wertvolles Material gesammelt, das vertraulich behandelt wird und lediglich dem Steucraus- schuß dieser Körperschaft und der Neichsregierung zugänglich gemacht worden ist. Die Behandlung geht hier von dem Standpunkt aus, daß die deutsche Wirtschaft die geforderten Summen aufbringen müsse und daß lÄüglrch die Frage des zweckmäßigsten Weges in der Verteilung der Lasten und der Erhebungsform zu untersuchen sei. Die Antworten verweisen unter zum Teil recht beachtlichen Vorschlägen sämtlich darauf, daß eine uneingeschränkte Steuer- und Tarifhoheit des Reiches innerhalb des gesamten Reichsgebietes Voraussetzung für die Erreichung des höchsten und rentabelsten Produktionsausmaßes sei. Bekannt sind die Forderun gen des Neichslandbü^des auf weitgehende steuer- liche Entlastung und auf Steuerstundung für die Landwirt schaft. Dazu ist zu bemerken, Laß die geldliche Lage der Land wirtschaft allerdings katastrophal ist, daß aber die Finanzlage des Reiches die Erfüllung der weitgehenden Forderungen im vollen Ausmaße ebensowenig gestatten wird, wie die Land wirtschaft im Zeichen der Kreditnot in der Lage ist, die über spannten Steuervorauszahlungen zu leisten. Hilfe wird hier teilweise durch Erschließung ausländischer und neuer inlän discher Kreditquellen geschaffen werden müssen, wozu eben falls Beratungen bei den zuständigen Behörden schweben, ferner wird eine Verlängerung der mit der neuen Ernte fällig werdenden kurzfristigen Kredite in Frage kommen, wo durch einige Mittel frei würden, da die Landwirtschaft sonst über den weitaus größten Teil der Ernte bereits keine Ver fügung mehr hätte. Schließlich will auch der Staat einmal geben, denn der Reichsernährungsminister hat in ziemlich unzweideutiger Form angekündigt, daß nach der Entscheidung über den 'Dawesbericht wieder Schutzzölle zugunsten der landwirtschaftlechen Erzeunisse eingeführt werden sollen, die einen gewissen Preis sichern. Ebenso wie bei der Landwirtschaft wird auch bei anderen Wirtschafts- aruppen, die die Ursache der heutigen Notlage und Wettbe werbsunfähigkeit in den zu hohen Steuerlasten erblicken, nur zum Teil die Linderung dieser Lasten Hilfe schaffen können, da die Lage der Reichsfinanzen und die kommen den erhöhten Lasten solcher Linderung Grenzen ziehen. Mit einer Reform des Steuerwesens und der Steuertarife werden sich Maßnahmen der Wirtschaft vereinigen müssen, um durch Beschränkung der Gewinne und Erhöhung der Wirtschaftlich. Kit der einzelnen Arbeitsvorgänge einen Ausgleich zu schaffen. Immerhin haben sich die Dinge so zugespitzt, daß man auch in Negierungskreisen sich der Einsicht nicht verschließt, in welchem Maße dicUeberspannung der Steuer- schraube am Entstehen der heutigen Kreditkrise und der Wirtschaftsnot beteiligt ist. Das Reich hat aus einem ver armten Volke mit wesentlich verringertem Einkommen und einer geschwächten Wirtschaft ein halbes Jahr hindurch Steuern bezogen, die weit uwhr als die laufenden Ausgaben betrugen und die Abdeckung beträchtlicher, bereits fundierter Schulden ermöglichten; es hat damit zur erneuten Verknap- pung des Aahlungsmittelumlaufes und der Geldmärkte bei getragen und die Kapitalbildung fast unmöglich gemacht. Nur eine erneute Ersparnis-Campagne wird die sich hieraus ergebenden Widersprüche lösen können, und aus allen politischen und wirtschaftlichen Parteien meh ren sich die Forderungen nach einer solchen. Eie vereinen sich in den beiden Wünschen, daß nicht nur bureaukratisch abgebaut, sondern in ausreichendem Maße wirtschaftlichem Denken und Svaren Naum und Einfluß in den Berwaltun- gen geschaffen werde, was bisher nicht geschehen sei; für Post und Reichsbahn gehöre dazu, daß ausreichende und kurz- fristige Bekanntgabe der geldlichen Betriebsergcbnisse eine öffentliche Kritik und ein Urteil Uber die Berechtigung der Tarifgebarung ermöglichen soll. Außerdem fordern alle Parteien eine Beschneidung der Ausgaben der Länder und namentlich der Kommuner^ deren Finanzgebarung ver Lage des Reiches und Ler Steuerzahler bisher nicht genügen- Rech nung trage. Dieser Ausgabenverminderung kann eine Einnahme verminderung gegenüberstehen. Eine solche ist gar nicht zu umgehen, denn es hat sich gezeigt, daß einige Steuern und Gebühren einfach nicht tragbar sind und den Steuer- träger vernichten. Die nächste Maßnahme wird die vom Kabinett im Prinzip dieser Tage genehmigte Herab setzung -er rohesten aller Steuern, der Umsatzsteuer, sein; die Regierung sieht die Ermäßigung um ein halbes Pro zent vor, während alle Fachkreise eine solche um ein Prozent als das mindest Notwendige fordern, verteuert doch die Um satzsteuer hochwertige Erzeugnisse um 12 bis 16 Prozent. Daneben erscheint eine Milderung der Vorauszahlungsvor- schristen und der Verzugszuschläge bei vielen Steuern unbe- dzngt geboten. Schließlich sind eine Reihe von Gebühren nicht mehr tragbar und wirken sich heute wirtschafthem men- aus, so dis Achen Notariatsgebühren, die die Heraus gabe der Goldbikanzen verzögern, die FrachtstundungMi- schlüge der Reichsbahn mit 360 Prozent pro Jahr und ähn liche Inflationsüberbleibscl. Eine außerordcnt- liche Bedeutung hat im Nahmen ver Reform der Steuer tarife, auch die in Arbeit befindliche Reform des Zolltarifs und die in Kürze zu erwartenden Aenderungen einer Anzahl Zollsätze. Oer /^amerikanische Beobachter" in Ber!in. Der amerikanische Botschafter in Berlin, Houghton, der zurzeit in Washington weilt, befindet sich bereits auf der Rückreise nach Europa. Die Abreise Houghtons ist nach New Porler Drahtungen eine Folge -er Konferenzen, die Coolidge mit Hughes und Dawes hatte, und besonders auch eine Folge der New Parker Besprechungen mit Poung. Auf Präsident Coolidges Veranlassung sprach die Regierung den Wunsch aus, daß Houghton sofort wieder nach Europa zurückkehre, da Amerika während der Londoner Konferenz einen Beobachter in Berlin haben müsse. Es steht zwar noch nicht fest, doch es wird auf die Möglichkeit hingewiesen, daß Houghton sich auf seiner Rückreise in London einige Tage aufhalten werde, um mit dem dortigen amerikanischen Botschafter K e l- logg die Lage zu besprechen. Weitere Meldungen aus Washington besagen, daß die AbreiseHoughtons eine unmittelbare Folge der kritischen Cnt- Wicklung im Zusammenhang mit dem Dawes-Plan durch die Differenzen, die zwischen Herriot und Mac- Donald bestehen, sei. Die New Pork World sagt, das Er- gebnis der Wahlen zwinge die Negierung, ein Interesse für die Durchführung des Dawesplans zu zeigen, da ein Mißlin gen dieses Planes aus Dawes einen Bumerangfürdie Republikaner macken würde. Neue Micum,Verhandlungen. Bekanntlich laufen die 18 Verträge des Zweckver« band es der Metallindustrie der besetzten Gebiete, in dem fast die gesamte Metall- und Maschincn- industrie des alt- und neubesetzten Gebietes zusammen- geschlossen ist, am 15. Juli ab. Die Vorbesprechungen für eine eventuelle Verlängerung derselben beginnen in den nächsten Tagen. Schon heute kann, wie aus der rhei- nisch-westfälischen Industrie verlautet, gesagt werden, daß die Industrie unter keinen Umständen einer Ver tragsverlängerung unter den alten Bedingungen zustimmen kann und wird. Durch die herrschende Kre- di t n o t ist das Maß der Bestellungen ans das alleräußerste beschränkt. Außerdem schrecken die Zollschwicrig- keiten und Abgaben auf Bestellungen des unbesetzten Deutschlands und des Auslandes ab, den Firmen des besetzten Gebietes Aufträge zu erteilen. Auch ein starker Auftragseingang würde der Industrie nur nützen, wenn die Mi cum die K o n t i nm e n t i e r u n g aufhevt. Andernfalls sind vie meisten Werke gar nicht in ver Lage, die Aufträge hcreinzunehmcn, da bei Kontingentüber schreitung die 'M Leu m den Ablauf oder die Ausfuhr verweigert. Die MIeum ihrerseits hat nach der «Mein. W. Zig." den Vertrag Ler anorganisch chemischen In- dustrie der besetzten Gebiete im Verwaltungs- bereich der Micum, der bis zum 15. Juli läuft, am 30. Juni gekündigt, um, wie es heißt, in neuen Verhand lungen die bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die nach dem Abkommen vorgesehenen Abgaben der Werke an die Micum zu klären, Der Neichstagsansschuß für soziale Angelegenheiten be handelte am Mittwoch einige Anträge, die sich mit der Er höhung der Nenten aus der Neichsversicherungs- ordnung befassen. Das Urteil lm Mainzer Unterschlcgungsprozeß. In dem Mainzer Prozeß wegen der Unterschleife beim Neichsvermögensamt erhielt Büttner 1 Jahr 1 Mo- nat Zuchthaus und 150 Goldmark Geldstrafe, Petry und Günther je lisch Jahr Gefängnis und 150 Goldmark Geld- strafe, Hämmerlein 800 Goldmark Geldstrafe. Wucherer wurde freigesprochen. Sämtlichen Angeklagten wurden wegen ihrer bisherigen Unbestraftheit mildernde Umstände zuge sprochen. Auf dis erwähnten Freiheitsstrafen wurden ie 1k Wochen -er Untersuchungshaft angerechnet. Zulassung der 2. Steuernotverordnung für das neu- besetzte Gebiet. Wie aus Bochum mitgeteilt wird, ist die 2. Steuernatverordnung nunmehr auch durch den Truppen befehlshaber für di« Brückenköpfe Düsseldorf, Duisburg und für das Rnhr ««bi et genehmigt worden. Wiederzulassung deutscher Missionsgesellschaften in den englischen Kolonien. Nach einer Mitteilung des britischen Missionsausschusses hat der Staatssekretär für die englischen Kolonien eingewilligt, den Bann gegen die deutschen Mis sionsgesellschaften in den dem Kolonialamt unterstehenden britischen Kolonien, Protektoraten und Mandatsgebieten auf zuheben. Deutsche Gesellschaften werden den, - gemäß in Zukunft den Missionsgesellschaf ten anderer europäischer Länder in bezug auf die Zulassung ihrer Missionare gleich gestellt werden können. Diese Erlaubnis gilt noch nicht für Indien, da für Indien die indische Regierung zuständig ist. Ein Deutscher Hilfsbund in Danzig. In Danzig ist unter dem Vorsitz der Frau Generalkonsul Dirksen und -es Regierungspräsidenten a. D. Förster ein Deuts cher Reichs-Hilfsbun- gegründet worden. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die im Gebiet der Freien Stadt Danzig in Not geratenen Reichsdeutschen, für die keine ausreichende amtliche Fürsorge besteht, zu unterstützen. Türkische Schiffskäufe in Europa. Einige Vertreter der türkischen Regierung bereisen zurzeit die deutschen Häfen, um Seeschiffe anzukaufen. Einige Dampfer haben sie bereits zu guten Preisen erworben. Nach Aeußerungen dieser Abordnung ist eine andere türkische Kommission unter Leitung von Hamid Dey, des Abneord- neten von Konstantinopel, nach England abgereist, um dort ebenfalls eine Anzahl von Schiffen anzukaufen. Im Laufe der letzten zwei Monate hat sich Lie türkisch« Handelsflotte durch Ankauf bereits um 17 Schiffe vermehrt. Die Nationalversammlung hat 15 Millionen türkische Pfund ausgeworfen, um den Ankauf weiterer Schiffe möglich zu machen. Spanischer Sieg in Marokko. Nach einer offiziellen Mitteilung aus Madrid haben die spanischen Trup pen in der westlichen Marokkozone nach einem glänzenden Bajonettangriff den Gegner aus der Stellung bei Kobbaoarsa vertrie ben ruck ihm schwere Verluste zugefügt. Um die Leiche Matteottis. Die Parteileitung -er ver einigten italienischen Sozialisten setzt eine Prämie von 2 5 000 Lire für denjenigen aus, Ler Angaben über di« Auffindung der Leiche Matteottis machen kann