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ZUR EINFÜHRUNG 1781 brachte das Wiener Verlagshaus Artaria sechs Divertimenti für Flöte, zwei Hörner, zwei Violinen, Viola Violoncello und Baß op. 31 von Joseph Haydn heraus, die bereits überwiegend um 1775 komponiert worden und ursprünglich statt der Flöte für das gambenartige Musikinstrument Baryton bestimmt waren, das Lieblingsinstrument seines Brotherrn Fürst Nikolaus Eszterhäzy. Nachdem das Interesse des Fürsten für dieses Instrument nachgelassen hatte, ging Haydn in vielen Fällen daran, seine wertvollsten Barytonkompositionen durch Bearbei tung für gebräuchlichere Instrumente der Musikübung zu erhalten. Zu solchen Bearbeitungen zählen also auch die Divertimenti op. 31, wobei lediglich die Barytonstimme für Flöte umgeschrieben werden mußte. Die Entstehung der Stücke fällt in die Zeit innerer Wandlung, die Haydns Schaffen erlebte, in die Epoche zwischen der ausklingenden „Sturm-und-Drang "-Periode des Meisters zu Anfang der 1770er Jahre und der Zeit der endgültigen Ausprägung des klassi schen Stiles zu Anfang der 1780er Jahre. Das Nachwirken der „Sturm-und-Drang"- Periode äußert sich besonders in der Herbheit, der leidenschaftlichen Kraft und auch Innerlichkeit der Mollmittelsätze. Die knapp gefaßte Dreisätzigkeit ist für die Werkgruppe ebenso bezeichnend wie die farbige Verwebung der konzer tierenden Stimmen oder die Feinheit der durchbrochenen motivischen Arbeit im Sinne klassischer Durchführung. Das heute erklingende 1. Divertimento G-Durausop. 31 ist möglicherweise später als die anderen, erst aus An laß der Drucklegung der ganzen Reihe (1781) entstanden, da es besondere Zeichen der Reife cufweist. Der italienische Gattungsbegriff Divertimento (fran zösisch Divertissement) bedeutet Unterhaltung. Seine bedeutendsten Instrumentalkonzerte (Concertino Es-Dur op. 26, 1. Kon zert f-Moll op. 73, 2. Konzert Es-Dur op. 74) schrieb Carl Maria von We ber für die Klarinette. In ihnen eröffnete er dem Instrument neue Möglich keiten, er entdeckte und verwertete ihre bis dahin wenig beachteten Klangfar ben Jn extremen Registern, besonders in der tieferen Lage. (Bekanntlich trug gerade dies ihm die Bewunderung von Hector Bedioz ein). Zu Webers engsten Freunden gehörte Heinrich Joseph Baermann (1784—1847), Klarinettist der Mün chener Hofkapelle, den Weber schon von Darmstadt her kannte. Mit ihm konnte er das Instrument „ausprobieren", für ihn schrieb er seine sämtlichen Klarinetten werke. Weber erhielt den Auftrag zur Komposition seiner beiden Klarinetten konzerte von König Max Joseph von Bayern. Beide entstanden kurz hintereinan der im Frühjahr und Sommer 1811. Das Klarinettenkonzert Nr. 2 Es-Dur o p. 7 4 wurde am 25. No vember desselben Jahres in München uraufgeführt, und zwar, wie Webers Tage buch aussagt, „mit rasendem Beifall, da es Baermann göttlich blies“. Es zeigt gegenüber dem 1. Konzert und dem Concertino eine Steigerung sowohl des musikalischen Ausdrucks als auch der stets zu beobachtenden Zugeständnisse an die Virtuosität des Solisten. Schon die ausgedehnte Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro) läßt größeres, gewichtigeres Format erkennen. Sie ex poniert die Hauptthemen: das schon an „Euryanthe" erinnernde ritterlich-heroi sche erste und das lyrische zweite Thema, die dann im Zusammenwirken von Orchester und Solisten vielfältig verarbeitet werden, über die Sonatenform hin ausgehend, führt Weber vor der Reprise ein drittes Thema ein, das er in das Zwielicht eines unerwarteten, nur kurz vorbereiteten Des-Dur stellt. Der zweite Satz (Andante con moto) ist „Romanze" überschrieben. Mehr balladesk-düster als romanzenhaft-heiter wirkt hier die seelenvolle Mollkantilene der Klarinette. Aufgelichtet wird das Bild durch ein Orchesterzwischenspiel in Dur, das in chro matischen Durchgängen schwelgt. Als Mittelteil folgt ein opernhaftes Rezitativ, in dem die Klarinettenmelodie wie eine Gesangsstimme notiert ist. Ihm schließt sich wieder das erste, das Klagethema des Satzes an, mit dem, um eine kurze Ad-libitum-Kadenz erweitert, der Satz ausklingt. Das Finale (Alla polacca) ist eine rhythmisch interessante Polonaise, die gleich mit pikanter Synkopierung beginnt Sie läßt immer wieder Webers Vorliebe für diesen polnischen Tanz erkennen und zollt der Virtuosität ausgiebigen Tribut. Sergei Prokofjews „Klassische Sinfonie" D-Dur o p. 25 („Symphonie classique“) wurde in den Jahren 1916/17 komponiert; am 21. April 1918 erlebte sie unter der Leitung des Komponisten ihre erfolgreiche Uraufführung in Petrograd, über die Entstehungsgeschichte des Werkes ist in Prokofjews auto biographischen Erinnerungen folgendes zu lesen: „Den Sommer des Jahres 1917 verlebte ich in Petrograd, ganz allein, las Kant und arbeitete viel. Ich hatte absicht lich kein Klavier in meine Datscha mitgenommen, weil ich versuchen wollte, ohne Instrument zu arbeiten. Bisher hatte ich gewöhnlich am Klavier geschrie ben, aber ich hatte festgestellt, daß das ohne Klavier komponierte thematische Material häufig besser ist. Auf das Klavier übertragen, erscheint es im ersten Augenblick fremd. Aber nach mehrmaligem Durchspielen stellt sich heraus, daß man so und nicht anders verfahren mußte. Ich trug mich also mit dem Gedanken, eine ganze Sinfonie ohne Klavier niederzuschreiben. Auf diese Weise müssen auch die Orchesterfarben reiner werden. So entstand der Plan einer Sinfonie im Haydnschen Stil; denn die Haydnsche Technik war mir irgendwie besonders klar geworden, nach der Arbeit in der Klasse Tscherepnins. Unter solchen vertrauten Verhältnissen war es mir leichter, den gefährlichen Sprung des Arbeitens ohne Klavier zu wagen. Mir schien, wenn Haydn bis in unsere Tage gelebt hätte, würde er seine eigene Handschrift beibehalten, gleichzeitig aber Neues dazu aufgenom men haben. Eine solche Sinfonie wollte ich komponieren: eine Sinfonie im klassi schen Stil. Als sie dann Form anzunehmen begann, nannte ich sie .Klassische Sin fonie': Erstens ist das einfacher; zweitens war es ein Streich, vollbracht, um ,die Gänse zu reizen' und in der geheimen Hoffnung, daß ich letztlich gewinnen würde, wenn sich die Sinfonie wirklich auch als klassisch erweisen sollte. Ich komponierte sie beim Spazierengehen über die Felder . . . Früher als alles andere war die Gavotte fertig. Darauf das Material zum ersten und zum zweiten Satz." Die viersätzige „Klassische Sinfonie" — eines der populärsten sinfonischen Werke Prokofjews — hat nach W. Delson „ein Anrecht auf diese Bezeichnung nicht nur ihrer äußerlichen Ähnlichkeit mit der Haydnschen Sinfonik wegen. Sie ist klassisch in der Genialität ihrer Handschrift, in ihrer knappen Klarheit und weisen Einfach heit wie in ihrer außergewöhnlichen Ausdruckskraft . . . Im ganzen bringt die Sinfonie das optimistische Lebensgefühl des Komponisten zum Ausdruck; sie zeigt eine heitere Haltung dem Leben gegenüber und seine Neigung zu jugendlichem Übermut." Mit großer Freude hat sich Prokofjew offenbar in die Ausdruckswelt der musikalischen Klassik versenkt, in ihre melodische Klarheit und ebenmäßige Schönheit. Doch hat er sie in seinem Werk nicht einfach nachgeahmt, sondern die für seinen Stil charakteristischen Neuheiten in Harmonik und Rhythmik organisch und natürlich eingefügt. Der erste Satz (Allegro) hat Sonatenform. Nach zwei Einleitungstakten beginnt das graziöse Hauptthema, dessen zweite Hälfte u. a. dominierend wird für die Entwicklung der Durchführung, deren Schluß jedoch von dem prägnanten Seiten thema bestimmt wird. Die Reprise ähnelt stark der Exposition. Der zweite Satz ist ein verhaltenes Larghetto. Das Hauptthema bringen die Streicher, es wirkt gra ziös-ironisch. Ein Streicher-Pizzikato bildet den Mittelteil. Danach wird das Hauptthema figuriert, und mit der Wiederholung der schreitenden Anfangstakte verklingt der Satz. Eine elegante Gavotte, stilisiert nach dem Muster des 18. Jahrhunderts, schließt sich an. Sonatenarlige Form besitzt wieder das Finale (Molto vivace). Die kurze Durchführung wird vor allem geprägt durch kontra- punktische Verarbeitung der Motive des Haupt- und Seitensatzes. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 95 c-Moll gehört zu der berühmten Reihe seiner zwölf sogenannten „Londoner Sinfonien", die durch die England reise des Meisters zwischen 1791 und 1795 angeregt und für Londoner Abonne mentskonzerte geschrieben wurden. Diese Sinfonien bilden den Abschluß von Haydns sinfonischem Schaffen und stellen in jeder Beziehung auch die Krönung dieses Schaffen dar. Sowohl in der geistigen und seelischen Vertiefung, in der