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22W sturm auf Delhi statlgcfunden? Sind die britischen Soldaten im Innern der Stadt? Wo ist der König? Haben die Rebellen die Stadt als eine geschlagene Armee in guter Ordnung oder al- eine deSorganisirte Meute in wilder Flucht verlassen? Halten sie sich noch im Fort oder sammeln sic sich im Felde, um den Streit forlzusetzen? Und sind die britischen Generale im Stande, ihren Sieg durch die Verfolgung des Feindes zu vollenden? Diese und ähnliche Fragen kreuzten sich in freudiger und besorgter Hast, und die Antwort lautete stets: Warten wir auf weitere Milthcilungen. Genug, daß der moralische Halt der Rebellion gebrochen ist, daß britische Tapferkeit sich von neuem bewährte, daß unsere Soldaten nach einer mehr als hundcrltägigen Belagerung, durch tödtliche Hitze und Regen, durch Krankheiten und unter unausgesetzten Angriffen und feindlichen Kugeln das Sewastopol der indi schen Rebellion eroberten! Da 40 Offiziere todt oder verwundet sind, so ist der Beweis geliefert, wie herzhaft der Kampf gewesen. Ob die Re bellen sich für ihren Rückzug vorgesehen oder ob sie, was viel wahrschein licher ist, sich nach allen Nichlungcy zerstreut und ihre Ucbcrblcibscl sich an- dern Nebellencorps angcschlosscn haben, das ändert vorläufig nicht die große Errungenschaft. Wir werden uns darauf gefaßt machen müssen, die grauen haften Darstellungen der Racheakte zu lesen, welche die in die Stadt cinge- drungcnen Sikhs und Ghorkas und auch die britischen Soldaten geübt. Dergleichen ist vom Kriege unzertrennbar. Der Fall Delhis hat den Cen tralpunkt der Rebellion vertilgt; ohne Zweifel ist ein großer Theil der öf fentlichen Kassen, welche von allen Seiten nach Delhi strömten, in den Besitz der Briten gelangt und so ein doppelter Vortheil errungen worden; endlich ist ihre Opcrationsbasis am Ganges und an der Dschumna vollständig zerstört worden, und mit dem Eintreffen der britischen Verstärkungen wird cs keinem Zweifel unterliegen, daß bis Neujahr die letzten Reste des Auf standes besiegt sind.... In dieser Weise gab sich allseitig der erste Eindruck der erfreulichen Nachricht zu erkennen. Kritische Stimmen lassen sich aller dings vernehmen, welche darauf hindeulcn, daß die Rebellen von Delhi eine Vereinigung mit den Scindiah-Truppen und dem Gwalior-Contingcnt bewerkstelligen würden; daß ferner im Westen und Süden Delhis die auf rührerischen Maharatien und Nadschputcn liegen und dadurch neue Schwierig keiten entstehen würden; aber man wendet dagegen und mit vielem Recht ein, daß den Rebellen jede geschickte militärische Führung fehlt und nichts von ihren planlosen Hin- und Hcrmärschcn zu fürchten ist. Hätten sie einen Fcldzugsplan gehabt, so würden sic das Pcndschab bcsehtgchaltcn haben, denn mit seinem Besitz würden die Briten gezwungen gewesen sein, die Ein nahme von Delhi aufzugeben. Dieser Mangel an militärischer Einsicht, verbunden mit der Untüchtigkeit der Insurgenten im offenen Kampfe und dem zweifellosen Hader in ihren eigenen Reihen macht es allein begreiflich, wie sich die Briten inmitten der zahlreichen Barbaren so halten konnten.... Man wollte ferner bemerken, daß die telegraphische Depesche nichts über Lucknau, General Havelock, Agra und die Operationen des Generals Ou- lram meldete und daß die Regierung wol üble Nachrichten erhalten haben müsse. Aber wir bemerken, daß die Depesche, welche von Bombay datirt ist, sich auf die Nachrichten eines andern Dampfers, der Nubia, beruft, welche Nachrichten aus Kalkutta bringen sollte. Es ist klar, daß der engli sche Konsul in Alexandrien, der das Summarium der Bombay Nachrichten abscndete, von der Voraussetzung ausgegangcn war, daß die Nubia früher den Hafen von Marseille erreicht haben würde. Nachfragen in der Forcign- Office um die weitern Nachrichten haben kein Resultat gehabt; man ant wortete, daß die Regierung keine andere als die veröffentlichte Depesche (in der dritten Ausgabe des Globe) erhalten habe. Ob die Furcht begründet ist, daß der Nubia ein Unglück zugestoßcn, wird sich bald erweisen müssen; aber dem englischen Konsul in Alexandrien trifft der nicht ungerechte Vor wurf, daß er cs versäumte, ein vollständiges Summarium der Nachrichten zu geben, im Fall die Nubia auf ihrem Wege nach Malta mit schlechtem Welter zu kämpfen gehabt. Nachschrift: Im Laufe des Tages sind mehre officiellc und Privatdcpeschen veröffentlicht worden, /welche alle Zweifel über das Schicksal Delhis gehoben und die fehlenden Nachrichten der Nubia zu unserer Kenntniß gebracht haben. Demnach Hal der Sturm auf Delhi am 14. Sept, begonnen und am 20. Sept, waren die Engländer im Besitz der Stadt. Was zwischen dem 14. und 20. Sept, geschah, wird in einer officiellcn Depesche dahin angedcutct: Die Truppen drangen durch eine Bre sche nahe dem Kaschmirthore ohne ernsten Widerstand ein. Sie rückten längs dem Walle gegen das Kabulthor vor, wo der Widerstand heftig und der Verlust auf Seiten der Engländer groß war. Die Engländer avancirten „nach und nach" in die Stadt und der Feind „scheint sich über die Brücke zurückzuziehcn". Obwol dieser Theil der Depesche anzudeutcn scheint, daß die Engländer noch nicht im „vollständigen Besitz Delhis" waren, so lassen sich doch wenig Zweifel über das Resultat erheben. ES wird in einer zwei ten osficiellen Depesche gesagt, daß der König und seine zwei Söhne ver kleidet entflohen; nach später« Berichten sollen sie gefangen worden fein. Das wird sich bestätigen müssen. Die kalkuttaer Post hat ferner die er freuliche Nachricht gebracht, daß die Truppen des Generals Outram Cawn- pore erreicht, daß General Havelock fünf Tage später den Ganges über schritten habe und Lucknau und Agra sich hallen. Lucknau schlug am 5. Sept, einen Sturm ab und in Agra starb der Gouverneur Colvin. Sonst bringt sowol die bombayer wie die kalkuttaer Post Nachrichten von stattgefundcncn Meutereien unter den Bombay-Truppen, daß sich die Jnsurrection nach Scindc ausgedehnt und die Dinapore-Ncbcllcn Sanpore und Jubulporc bedrohen; aber im Ganzen werden diese Nachrichten nicht ernst genommen. — Aus einer noch neuern Depesche der Times erfahren wir über Delhi, daß nach Erstürmung der Breschen die englischen Truppen Besitz von der Moore ¬ bastion, des Kabulthores, der Kirche und des Collegiums genommen. Der Widerstand war hartnäckig. Die Kanonen sind gegen die Feinde gerichtet worden, welche sich über die Brücke zurückzogcn. Eine große Anzahl Re bellen, Cavalcrie miteingeschlossen, haben die Stadt verlassen. Die letzten von Bombay angckommenen Nachrichten zeigen die vollständige Besetzung Delhis dütch die Engländer an. Infolge der Ankunft des Generals Ou tram in Cawnpore hofft man, daß die Garnison in Lucknau in wenigen Tagen befreit werde. In den Abendjournalcn erscheint eine officiellc Dc- pcfchc, welche einige weitere Nachrichten über die Erstürmung Delhis bringt. Der Angriff erfolgte am Morgen dcS 14. Sept, und die Nordscite der Stadt wurde genommen. Am 10. Sept, wurden die Magazine gestürmt und am 20. Sept, wurde die ganze Stadt in Besitz genommen. Der König und seine Söhne entkamen als Frauen verkleidet. Der Angriff am 14. Sept, wurde mit vier Kolonnen gemacht. Eine Kolonne wltrde von den Insur genten zurückgeschlagcn; die andern waren erfolgreich.... Wir finden in die sem Bericht, baß der Verlust auf 50 Offiziere angegeben wird, und eine lange Liste der Namen wird mitgctheilt. Wir finden darunter auch den General Nicholson, der bekanntlich mit cincr Hülfsmacht zu den Belagerern von Delhi stieß; außer ihm zahlreiche Stabsoffiziere. — Die Morning Post enthält einen äußerst heftigen Artikel gegen die neapolitanische Negierung wegen der Eefangcnhaltung und Behand lung der beiden englischen Ingenieure, welche sich als Passagiere am Bord des Dampfers Cagliari befanden, als derselbe von den Behörden des Kö nigreichs beider Sicilien. mil Beschlag belegt wurde. Rußland. l Wenn eine Petersburger Miltheilung der Hamburger Börsen-Halle richtig ist, würde die in Rußland bisher von Staat und Kirche verpönte Freimaurerei demnächst öffentlich zugelasscn werden. Donaufüestenthümer. Aus Jassy vom 28. Oct. wird dem in Brüssel erscheinenden Levant tclegraphirt: „In der gestrigen Sitzung des Divans hat ein Ausschuß von Dcpulirten ein Programm zur Annahme vorgeschlagen, das folgende Punkte enthält: Berichtigung der Grenzen des neuen Staats durch eine europäische Commission; Unterwerfung der Fremden unter die Gerichtsbarkeit des Staats; Handelsfreiheit; Bildung eines Heeres und von Vertheidigungs- mittcln; Religionsfreiheit; Einrichtung cincr Synode, um die Angelegen heiten der Geistlichen zu regeln; Gleichheit vor dem Gesetz ; billige Vcr- theilung der Abgaben; Conscription; Unverletzlichkeit des Bürgers und des Wohnsitzes; politische Rechte für die Eingeborenen aller Confessionen; Tren nung von Verwaltung und Rechtspflege; Ministerverantwortlichkeit. Der Divan hat diese Vorschläge geprüft und seine Abstimmung um drei Lage verschoben." Nach einer Korrespondenz aus Jassy in dem nämlichen Blatt, die indessen nur bis zum 17. Oct. reicht, muß es im Divan bunt genug hcrgehcn; doch hat er eine Geschäftsordnung von 159 Artikeln angenom men, Die ländlichen Deputirtcn, sagt der Korrespondent, beißen in die de magogischen Ideen wie in Butter. — Der augsburgcr Allgemeinen Zeitung schreibt man aus Wien vom 27.Oct.: „Die. Consyln von Rußland und Frankreich in Belgrad ha ben bci ihren hiesigen vorgesetzten Gesandtschaften angefragt, ob sie sich dem Protest der Senatoren anschlicßen sollen, weil in der Anklageschrift behaup tet wird, daß die neun verhafteten Individuen unter der russisch - französi schen Agitation von Bukarest stehen. Es verlautet, daß die hiesigen Ge sandten Rußlands und Frankreichs sofort den Befehl nach Belgrad abge- scndet haben, den Protest aus das kräftigste zu unterstützen und von der serbischen Negierung Aufklärung und Genuglhuung zu fodern. Der engli- sche Konsul erhielt seinerseits von Lord Seymour die Weisung, mit dem österreichischen Gencralconsul im Einvernehmen zu bleiben." Dürkei. Aus Konstantinopel vom 24. Oct. wird der Oesterreichischcn Cor- respondenz telegraphisch berichtet: „Die zwei Regimenter, welche Omer- Pascha nach Bagdad begleiten sollen, haben Marschbefehl erhalten. — Den türkischen Schiffscapitänen wurde die Fahrt nach der tscherkessischen Küste untersagt. — Der Direckor der großherrlichcn Fabriken in Brussa wurde abgesctzt.— Der Generalstabsoberst Nusre-Bei geht in militärischer Mis sion nach Tripolis und übernimmt das Truppcncommando gegen den Ban- denchcf Guma. — Das neue Finanzprojcct hat, vom Ministerralh gebilligt, die Sanction des Sultans erhalten. — Der Sold der subalternen Offiziere wurde um 120 Piaster monatlich erhöht. — Die zur Revision des türki- chen Zolltarifs eingesetzte Commission beginnt ihre Sitzungen am 28. Oct." P ersi en. Einem Schreiben aus Karrack (im Persischen Golf) vom 9. Sept, zufolge hat der englische Gesandte Hr. Murray wieder seine Flagge ein gezogen und sich nach Bagdad begeben. Ostindien. l-j London, 28. Oct. Die zahlreichen Details der neuesten indischen Post setzen uns in Stand, einen übersichtlichen Blick über die interessanten Ereignisse am Rcvolutionsschauplatzc zu gewinnen. Von so wichtigen Fol gen die Einnahme Delhis, die Vereinigung der Generale Havelock und Outram ic. sein mag, so brachte die neueste Post dochj so viele schlimme Nachrichten, daß heute, wo die kühlere Ueberlegung dem Freudenräusche über die Einnahme Delhis weicht, sich nicht wenige Zweifel über die sanguini- 'chen Hoffnungen einer raschen Beendigung des Kampfes erheben. Erwäh-