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2207 Einwanderung und muß sie wünschen, könnte sie aber nach dem Stande der Dinge hauptsächlich nur aus protestantischen Ländern erwarten. Daß aber protestantische Familien nicht geneigt sein können, in einen Staat übcr- zusiedeln, wo die herrschende Kirche ihre Herrschaft auf eine alle gegenthei- ligen religiösen Gefühle so tief kränkende Art ausübt, wie cs oft bei uns geschieht, daS ist wahrlich nicht zu verwundern. Noch abschreckender aber wirkt die in Ungarn seht herrschende Unsicherheit des Vermögens und Lebens. Die täglich wiederkchrcnden vielfältigen Berichte von den schauder haftesten Naubmordattentaten können in der That nicht einladend wirken. Früher war das altungarische Iustizunwcsen ein Hindcrniß der Einwande- rung; jetzt, seitdem die gutbcwährtcn österreichischen Gesetze cingcführt sind, scheint eine malcontente Partei die Opposition gegen diese civilisirenden Ge setze dadurch zu bethätigen, daß sic die Negierung zwingt, dieselben stets zu suspendiren und fortwährend ganze Bezirke dem Standrecht zu unterwer fen. Solange dieses Uebel nicht radical beseitigt ist, wird man nicht an das Colonisalionswerk gehen können; je länger dies aber verschoben bleibt, desto mehr leidet nicht blos Ungarn, sondern das ganze Reich. Der neue Haus halt desselben ist in hohem Ausmaß auf die Erträgnisse Ungarns berechnet, seitdem dieses in das allgemeine. Finanzsystem miteinbegriffen ist. Solange aber die Productionsverhältnisse Ungarns so arg daniedcrlicgcn, wird das Budget stets eine Lücke enthalten, welche auszufüllen den andern Kronlän dern immer schwerer und endlich unmöglich werden wird. Man muß daher der Regierung in aufrichtiger Sorge für das Wohl des Gesammtvaterlan- dcs zurufen, in Ungarn ohne länger« Verzug durch Maßregeln des stren gen Rechts sowol als der Billigkeit und Klugheit einen befriedigten Zu stand hcrbeizuführcn, durch welchen daß Gedeihen Neuösterreichs wesentlich bedingt ist. ^Wien, 29. Oct. Graf Buol hat bereits am 25. Ocr. Karlsbad verlassen und die Rückreise hierher über Dresden angctreten. Derselbe wird übermorgen gleichzeitig mit dem Kaiser cintreffen und unverzüglich die Lei tung seines Ministeriums wieder übernehmen. — Heute hat hier eine interessante Feier stattgefunden. Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften hat nämlich Mittags das k. k. Universi tätsgebäude, welches seit 1849 zu militärischen Zwecken verwendet wor den war, übernommen. Der Minister des Innern eröffnete als Kurator der Akademie den feierlichen Act mit einer Rede, aus welche ein Vortrag des Akademikers und Vicepräsidenren v. Karajan folgte, der die Geschichte der Universität seit ihrer Gründung bis heute umfaßte. Ein Vortrag vom Ritter v. Ettingshausen „über die Principien der heutigen Physik" schloß die Feierlichkeit, welche zwei Stünden dauerte. — Das Gesetz über den Zeitungsstempcl soll schon am 1. Nov. in der Wiener Zeitung publi- cirt werden und wird mit Neujahr in Wirksamkeit treten. Daß dieses Gesetz auf die Neugestaltung der österreichischen Presse nicht ohne Einfluß sein chird, braucht kaum erwähnt zu werden. (Lith. Cz.) — Der Oesterreichischen Corrcspondcnz wird aus Mailand vom 27. Oct. geschrieben: „Die Nachrichten aus den Provinzen Pavia, Lodi, Crcma, Mantua in Betreff der Uebcrschw cmmungen lauten noch immer betrü bend; der Po hat an einigen Stellen sein Bett verändert. Der Ticino hat eine bisher nicht dagcwescne Höhe erreicht. Der Erzherzog-Gcneral- gouvcrneur hat sich von Pavia nach San-Christina und Chignolo begeben und trifft überall persönlich die nöthigcn Anordnungen. In Pontclagos- curo ist der Po am 25. Oct. Morgens nur einen Zoll gesunken, nachdem er auf 85 gestiegen war. Ein Dammbruch wurde noch nicht befürchtet. In Turin regnete cs neuerdings 36 Stunden." Italien. Sardinien. Turin, 25. Oct. Die Dcputirtcnkammcr ist als aufgelöst erklärt und die Wahlcollegien sind auf den 15. Nov. einbe rufen worden.— Graf Terenzio Mamiani ist zum Professor der Philo sophie und der Geschichte an der hiesigen Universität ernannt worden. — Be richten aus Genua vom 24. Oct. zufolge hat sich Prinz Napoleon von da nach Civita-Vecchia cingeschifft. Frankreich. Paris, 29. Oct. Wenn man den Symptomen und den Aussprüchen der erfahrensten Politiker glauben darf, liegt die Union der Donaufürstcn- lhümer in der Agonie und ist an ihr Aufkommen nicht zu denken. Sic erlag, wie man sagt, einem mit auf die Welt gebrachten organischen Feh ler, und cs gibt Leute, welche jetzt laut erklären, was sic früher still bei sich gedacht, daß die von Napoleon l. geträumte Weltmonarchie eher mög lich war als das von Napoleon III. geträumte rumänische Reich. Der französische Hochmuth kann, wenn er will, aus dieser Schlappe die Lehre ziehen, welche sehr heilsam, wenn auch nicht neu ist, daß allzu scharf schar tig macht, ferner daß die europäische Gesellschaft von heute nicht leichtfüßig genug ist, um nach Einer Pfeife zu tanzen, und spielte sie noch so scharf und noch so künstlich auf, und daß sich kein Herrscher die oberste Entschei dung über die Verhältnisse anmaßcn darf, weil diese unaufhaltsam ihren natürlichen Lauf nehmen. Man ist hier unzufrieden mit der Türkei, auf gebracht gegen Oesterreich, erbittert gegen England, verstimmt gcgcn Preu ßen und zum mindesten mißtrauisch gegen Rußland. Wie ich schon vor längerer Zeit erwähnt, erhielt die Negierung von ihrer Gesandtschaft in Pe tersburg die warnende Mahnung, in der Fürstcnthümcrangclcgcnheit nicht auf Rußland zu bauen. Diese Warnungen sind in der letzten Zeit häufiger und nachdrücklicher geworden. Preußens Anschluß an Oesterreich und Eng land ist, was auch von gewissen Seiten her dagegen gesagt werden mag, auögcmacht. Was bleibt der französischen Diplomatie Anderes zu lhun übrig, als sich mit Gelegenheit in das Unvermeidliche zu fügen? Und zu dieser bescheidenen Weise des Verfahrens bereitet man sich vor. Schon zeigt man Oesterreich ein freundlicheres Gesicht, man wehrt den untergebenen Zei tungen, die Türkei so erbarmungslos anzubellcn oder gar zu beißen. „Zu rückhaltung und Mäßigung" lautet die Parole, welche aus dem Auswär tigen Amte an die ofsiciosen ssledactionen gelangt ist. Und der Constilu- tionnel, gehorsam dem Befehl, bespricht mit verhaltenem Groll, mit einer krampfhaften Sanftmulh die Erhebung Neschid - Pascha'S zum Eroßvczier. Palast- oder diplomatische Jnlriguc! ruft das Negicrungöorgan mit ge zwungener Resignation; wir wollen uns bis zum letzten Augenblick enthal- len, in dcr Ernennung Ncschid-Pascha's eine ungünstige Kundgebung gcgcn die Politik Frankreichs zu sehen. Die Kaimakams dcr Moldau und Wa lachei sollen die Absicht gchcgt haben, eine Deputation an den Kaiser der Franzosen zu schicken, um von ihm einen Prinzen aus seinem Hause an die Spitze der vereinigten Reiche zu verlangen. Wiewol cs die französische Politik bei ihren eifrigen Bemühungen in der Fürstenthümerfragc auf diese Pointe abgesehen halte, sah sich die Tuilcricnregierung dennoch gezwungen, die Kaimakams von diesem Schritte abzuhaltcn. Die französischen Agenten in den Fürstenthümcrn erhielten den Auftrag, Alles aufzubietcn, um diese unzcitige Demonstration zu verhindern, und die Berichte dieser Agcntcn sollen dahin lauten, daß sich die Vertreter dcr rumänischen Länder nur schwer bewegen ließen, von ihrem Vorhaben abzustehcn, weil sic cs als eine Pflicht Frankreichs anschcn, ihre Bestrebungen in jeder Weise zu un- terstützen, da cs Frankreich gewesen, welches sie zu dcr Haltung, die sie angenommen, ermuntert habe. So stehen die Dinge. Nichtsdestoweniger will ich noch nicht den Nekrolog der Union schrriben, sondern warten, bis sie begraben scin wird. Denn cs kommt in dcr Politik noch häufiger als im Leben vor, daß Kranke, welche in den letzten Zügen liegen, sich erholen. Die Umstände haben bisweilen so verkehrte Launen. — Der Moniteur enthält einen Bericht des Finanzministers Magne, be treffend das Budget für 1859. Es wird darin die Hoffnung ausge sprochen, die schwebende Schuld von 886 auf 750 Millionen zu reduciren. Das Budget übersteigt jenes des Vorjahrs um 48 Millionen, von denen 40 Millionen zur Amortisation dcr Staatsschuld verwendet werden sollen. Der Bericht schildert die Lage des Landes als eine im Allgemeinen vor treffliche. Trotz der Finänzkriscn im Auslande habe Frankreich keine Fal lissements gehabt, und sei die Bank zu einem Zwangscurs nicht genöthigt worden. — Der Neuen Preußischen Zeitung schreibt man aus Paris vom 28. Oct.: „Die Nachricht, daß die preußische Negierung ihrem Repräsentanten in Frankfurt den Auftrag crthcilt habe, die Intervention des Deutschen Bundes zu Gunsten Holsteins ohne Verzug zu beantragen und dazu die Unterstützung Oesterreichs nachzusuchcn, hat keineswegs das französische Gouvernement, wol aber Diejenigen überrascht, welche noch immer naiv genug sind, den unwahren Angaben des brüsscler Nord unbedingten Glau ben zu schenken. Daß cs Preußen ganz ernst gemeint, daran zweifelt man in unsern diplomatischen Kreisen nicht im entferntesten; daß aber Oester reich vollkommen damit einverstanden ist, dafür bürgen uns Mittheilungen von officicller Seite. Die Gerüchte von den Schwierigkeiten, die den deui- schen Mächten in dieser Frage schon von Seiten Frankreichs und Ruß lands gemacht worden wären, sind unrichtig. Was England betrifft, so herrscht zwischen ihm und Oesterreich vollkommenes Einverständniß in allen schwebenden Fragen, wie schon aus folgender sehr wichtigen Thatsache her vorgeht: Im Monar Juni d. I. ist zwischen England und Oesterreich ein Uebereinkommen abgeschlossen worden, demzufolge Letzteres im Fall einer re volutionären Bewegung in Italien auf die guten Dienste Englands zählen kann. Daß Oesterreich mit größerer Sicherheit als je zuvor auf die Mit wirkung Englands in den Donaufürstenthümern rechnen darf, ist bckannl; es hat sich dies neuerdings aus der Ernennung Ncschid-Pascha's zum Grvß- vezier ergeben, welche das Werk des englischen Gesandten in Konstantino pel war. Lord Stratford de Redcliffc glaubte die Einnahme von Delhi — die Kunde davon war zwei Tage vor der Wiedercrnennung Ncschid-Pascha's in Konstantinopel eingetroffen — nicht besser feiern zu können als durch dieses «Schach dem Hrn. v. Thouvencl»." * Paris, 30. Oct. (Telegraphische Depesche.) Gcneral-Cavaignac (geb. 15. Oct. 1802) ist gestern, während er in der Nähe von Tours auf einer Jagdparlie begriffen war, infolge einer Pulsadcrgeschwulst gestorben. Seine Lciche ist heute bereits hier eingetroffen und wird morgen Mittag feierlich be erdigt werden. Großbritannien. L London, 27. Oct. London wurde gestern Abend mit dem telegraphi schen Summarium der neuesten indischen Nachrichten überrascht. Zahl reiche Volksgruppen umstanden die Eingänge zu den Lesecabinetcn, Rcdac- tionsburcaux und Journaldepois, wo auf weißen Tafeln mit hastig geschrie bener Hand dcr Inhalt dcr Negicrungsdepcsche kurz rcsumirt erschien. An dcr Spitze stand die Capitalnachricht: „Fall von Delhi!" Das Volk brach in enthusiastische Hurrahs aus; die frohe Nachricht verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch die Riesenstadt und die Zahl dcr öffentlichen Lcscsäle war nicht groß genug, um die Menge Derjenigen zu fassen, welche die Details dcr Botschaft kennenlcrnen wollten. Diese Erwartungen wurden nun allerdings nicht befriedigt. Die Mittheilung beschränkte sich einfach darauf, daß Delhi am 20. Sept, vollständig im Besitz dcr europäischen Macht war, daß der Verlust auf beiden Seiten sehr groß und daß auf englischer Seile ungefähr 40 Offiziere und 600 Mann todl oder verwundet sind. Diese Miltheilung gab Stoff zu dcn lebendigsten Discusfionen. Hat ein General-