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Freitag. Leipzig Pi-Hkimng cischrmi mit AvSUahnie i>eS Sonntag« täglich Nachmit tags für de» folgenden Tag/ Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einj-lne Nummer 8 Ngr. - Nr. 236. s. Oktober 1857. DtiiW AllgtMtiiic Zcitmig. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). JnserttonSgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Das Ministerium Rarvaez und die H Kammer, ii. ^Madrid, 21. Mai. Die Bicalvaristen haben dem Ministerium den Handschuh hingeworfcn, was sein schlauer Präsident auch gcthan und aufgeboten, die Helden von 1854 zu gewinnen oder wenigstens ver söhnlich zu stimmen. Nichts ist so geeignet, die Ohnmacht des Herzogs Valencia, seine Herabgekommenheit, sein zahmgewordcncs unsicheres Hvestn darzulhun, als die Haltung, welche er den militärischen Gegnern gegenüber beobachtet. Er hat früher schon gemeinschaftliche Freunde mit der Aufgabe an O'Connell abgeschickt, eine Vermittelung zwischen ihnen herbeizuführen, und sich durch eine entschiedene Zurückweisung nicht abhalten lässsn, die AuSgleichungsversuche zu wiederholen. Und als auch diese fehl- schlugen, nahm er zu Mitteln seine Zuflucht, die seinem zur Jntrigue ge neigten Charakter entsprechen. Er ließ von seinen geheimen Polizeiagenten in den ärmer» Stadtvierteln zu einer Erhebung ausmnntcrn und diesen Aufwiegelungen den Namen „O'Donnell" als Feldruf beimischen, in der Hoffnung, baß er auf diese Weise Gelegenheit finden werde, seinen Gegner zu vernichten; allein auch dieser Plan scheiterte. Der Graf v. Lucena be kam Wind von dem drohenden Manöver, verlangte eine Audienz bei der Königin, die er in die Winkelzüge des Ministerpräsidenten einweihtc, und rthkelt die feierliche Zusicherung des königlichen Schutzes für seine Person. Diese Befestigung durch die Gunst der Herrscherin verlieh dem General O'Donnell eine Macht und eine Bedeutung, denen der Herzog v. Valencia weder durch Lisi noch Gewalt bcizukommen vermochte, und er kehrte aber mals zu sanften Mitteln, zu schonender Behandlung zurück. Schon langst war cs offenkundig, daß der General Calonge, ein Freund des Minister präsidenten, den Antrag im Senat zu stellen beabsichtige, der dahin gehen soll, daß die Vicalvaristen wegen ihrer Schildcrhcbung im Campo de Guar dias vor ein Kriegsgericht gestellt würden. Noch vor Eröffnung der Kam mern erklärte Narvacz dem General, daß er und sein Cabinet, weit ent fernt, diesen gegen die Bicalvaristen gerichteten Antrag zu unterstützen, ihn vielmehr nach Kräften bekämpfen werden, wie cs in der That in der denk würdigen Sitzung deS Senats am 18. Mai geschehen. Auch ermangelte der Herzog v. Valencia nicht, diese seine rücksichlvolle Erklärung zur Kcnnt- niß des Grafen v. Lucena und von dessen Freunden zu bringen. Auf O'Donnell verfehlte die demonstrirte Zurhulichkeit des Ministerpräsidenten seine Wirkung; denn er sah in derselben nichts weiter als Wahrung der eigenen Haut, da sich Narvaez bei der Erhebung im Jahre 1854 bloßge- stcllt hatte. In der Thronrede wurde Alles vermieden, was die Feldhaupt- leute von Vicalvaro zu verletzen und aufzureizen geeignet wäre; um jedes Wort war ein Olivenzweig gewunden und die Vorgänge der Julitage von 1854 blieben unberührt, wie scharf sie auch der Minister des Innern No- cedal und selbst der Staatsminister Pidal zu geißeln gewünscht hätten. Und all dieses Entgegenkommen von Seiten des Ministerpräsidenten blieb uner widert und alle diese Bemühungen, Frieden mit den Rebellen von 1854 zu schließen, blieben erfolglos. Die Königin selbst machte zwei mal den Ver such, O'Donnell'- Freundschaft dem Herzog v. Valencia und dem Cabinet zw gewinnen, um, wie sie sagte, einen Kamps zu verhindern, welcher den Feinden des ThronS und der bestehenden Ordnung der Dinge zugute kom men würde; allein sie vermochte nicht die Abneigung und den Widerwillen des Grasen zu besiegen. „Ich bin eS mir, dem Lande, der Welt und der Geschichte schuldig, Aufklärungen über mein Benehmen zu geben. Wenn durch meine Enthüllungen der Herzog v. Valencia bloßgestellt wird, so trägt er eben die Folgen seines Handelns, und das ist billig." Und das zweite mal sagte er die Worte: „Mein Schwert, mein Leben gehören Ew. Maj. zu jeder Zeit; allein ich muß meine Ehre wahren, um,Hem Lande und dem Throne dienen zu können. Jedes Ministerium bin ich dereit zu unter stützen, nur nicht das des Generals Narvaez. Zwischen ihm und mir ist keine Uebereinkunft, keine Unterhandlung möglich." Narvaez ging so weil in seinen Bewerbungen, daß er dem Grafen v. Lucena das Portefeuille des Kriegs in seinem Cabinet anbot; allein auch diese Freundlichkeit wies der Unversöhnliche aufs entschiedenste zurück. Es entsteht nun die Frage: Warum diese Nachgiebigkeit von Seiten des Ge nerals Narvaez; warum dieser Groll, diese Unerbittlichkeit von Seiten des Generals O'Donnells Seitdem daS populäre Oberhaupt der Progressisten, der General Es partero, einen politischen Selbstmord gcübt, sehen sich die liberaler« Theile der spanischen Nation vergeben- nach einem Führer um, der sie zu einer Macht einigte, der sie wieder zu einem kampffähigen Heere von politischer Berechtigung und Bedeutung machte. Von den drei Candidaten, welche nach dieser Stellung streben, erfüllt Keiner die erfoderlichen Bedingungen eine- Parteiführers in Spanien. Der General Prim ist entschlossen und verwegen genug, sein Degen hat Geltung, sein Name hat im Heere guten Klang; allein er hat doch nicht genug rühmlichen Wirkens zu Gunsten seiner politischen Meinung auszuweisen, eS fehlt ihm die nöthige Beson nenheit, seinen politischen Ucberzeugungcn, wenn er deren wirklich hat, der klar gezeichnete Umfang, um Vertrauen einzuflößen. Don Salustiano Olo- zaga ist allerdings ein erprobter Progressist mit weit vorgerückten Ansichten und Ideen, er ist ein gewandter Kopf und ein ganz vortrefflicher Redner; allein er ist ein Advocat, ein Mann der Feder, führt also keinen Degen und hat keinen Anhang im Heere; was kann eine Partei in Spanien mit einem Führer anfangen, der nicht im Stande ist, gelegentlich ein militäri sches Pronunciamiento zu veranstalten? An demselben Gebrechen leidet Don Patricio Escosura, der wol Militärdienste gethan, cs aber nicht höher als bis zum Capitän gebracht und dem überdies bei sehr beträchtlicher Be gabung der Anstand und das würdige Wesen fehlen, die in Spanien eine so große Rolle spielen. Diese Umstände machen den General O'Donnell zum Nothnagel des Liberalismus trotz seiner Versündigungen an den konstitutionellen Grund regeln, trotz seines militärisch-dictatorischen Gebührens bei jeder Gelegen heit, trotz der Widersprüche, Zweideutigkeiten und Inkonsequenzen seines po- litischcn Lebens, die derart sind, daß man sie wol in keinem andern christ lichen Lande als in Spanien verzeihen würde, selbst nicht in Frankreich, dem Lande der elastischen, weiten politischen Gewissen. Um O'Donnell be- ginnen sich die gemäßigten, Elemente der Progressisten und die entschiede, nern der Moderados zu sammeln, was ihn dem Cabinet furchtbar und ge- sährlich macht. Dazu kommt, daß er einen Brief des Herzogs v. Valen cia in den Händen hat, den dieser ihm im Jahre 1854 geschrieben, in welchem er eS deutlich genug ausgesprochen, daß er sich nur unter der Be dingung der Bewegung anschließe, daß in das Programm „Dynastiewech sel" ausgenommen würde, „weil mit diesem Hofe zu regieren unmöglich sei". In seiner Philippika vom 18. Mai — möge mir Demosthenes die- sen Vergleich verzeihen — hat der Graf v. Lucena nichts weiter als eine Anspielung auf den Inhalt dieses Schreibens gemacht, indem er sagte: „Aber ebenso wenig (als den Republikanern) werde ich meine Hand Leu ten reichen, welche eine andere Dynastie oder Principien zu befestigen wün schen, welche nicht liberal sind." Den letzten Pfeil wollte der schlaue Mann nicht verschießen, er bewahrt ihn in seinem Köcher als permanente Drohung. Die unvcrtilgbare Feindseligkeit O'Donnell's gegen Narvaez hat ihren Grund in den Bemühungen deS Letztem, an di« hohe Stelle der Gewalt zu gelangen, die von Erstcrm eingenommen war. O'Donnell sieht in Nar vaez einen Nebenbuhler, der ihn aus dem heißgesuchten Amte verdrängt, nach dem sie Beide in einem Streben vereinigt gewesen. O'Donnell ver gibt es Narvaez nicht, daß dieser das gemeinschaftlich entworfene und an genommene Programm modificirt, um sich ihm sozusagen gegenüberzustel- len, und von der damals mächtigen Partei am Hofe ihm vorgezogcn zu werden. Was von einer oder der andern Seite an politischen Ansichten oder Ucberzeugungcn herauSgckchrt wird, ist also nichts weiter als eine Fahne, wie man sie eben braucht, cin Ding, das man nach Gutdünken und Bedürfniß färbt und übertüncht. Am Hose sind die Erörterungen O'Donnell's übel ausgenommen worden; man betrachtet diese Art von Op position gegen ein Ministerium, dem die Königin ihr Vertrauen schenkt, als eine Ueberhebung, und besonders wird das Auftreten gegen die par lamentarische Reform misbilligt, weil die erste Idee derselben auö dem Palaste gekommen; somit wäre die Kluft zwischen den Vicalvaristen und der Gewalt eine so weite geworden, daß nur außerordentliche Ereignisse sie auSsüllcn könncn. Devtschla n v. Preußen. Die officielle «Zeit» enthält folgenden Artikel gegen die Oesterreichische Zeitung: „Die Oesterreichische Zeitung gibt ihre neuesten Ansichten über die Tage von Stuttgart und Weimar zum Besten. DaS bevorzugte Organ der österreichischen Politik hat jedenfalls das kostbare, wenn auch von uns nicht beneidete, Privilegium, seine Meinungen nach Belieben zu wechseln, und dennoch nimmer zu irren — er sempro bene! Die schwarzen Visionen, von welchen bei Gelegenheit der stuttgarter Zu- sammenkunft die gesammte wiener Publicistik heimgesucht ward, haben den rosigsten Anschauungen Platz gemacht: «in Stuttgart und Weimar», daS hofft und glaubt das wiener Blatt, «ist der feste Grund zu einer vollen und aufrichtigen Versöhnung und zu einem langen und dauernden Frieden gelegt.» Nur ein quälender Gedanke stört die Zufriedenheit der Oesterrci- chischen Zeitung: Preußen ist in Stuttgart und in Weimar so gar schmerz lich vermißt worden, nämlich von Deutschland und, man denke, von Oester reich! «Wo war Preußen in diesen creignißreichcn Tagen?» fragt die Oesterreichische Zeitung. ES ließe sich Manches darauf antworten, was den guten Humor der wißbegierigen StaatSphilosophen Wiens ein klein we-