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Freitag, den 26. September 1975, 19.30 Uhr im Festsaal des Kulturpalastes Dresden Konzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Günther Herbig Solist: Dr. Ferdinand Klinda, CSSR - Orgel Georg Friedrich Händel 1689-1759 Konzert für Orgel und Orchester g-Moll op. 4 Nr. 1 Larghetto, e staccato Allegro Adagio Andante Pause Gustav Mahler 1 860-1911 Sinfonie Nr. 6 a-Moll Allegro energico, ma non troppo Scherzo (wuchtig) Andante moderato Finale (Allegro moderato) ZUR EINFÜHRUNG Georg Friedrich Händel, der große Zeitgenosse Bachs, in vielem sein Antipode, ließ im Jahre 1738 bei seinem Londoner Verleger John Walsh als Opus 4 eine Sammlung Orgelkonzerte erscheinen, mit denen er diese Gattung gewissermaßen begründete. Bekanntlich war es eine Gewohnheit Händels, sich zwischen den Akten seiner Oratorien auf der Orgel hören zu lassen. Er begann, wie Zeitge nossen uns überliefert haben, zunächst mit einem Präludium, dem er dann das Concerto folgen ließ, „welches er mit einem Grade von Geist und mutiger Sicherheit ausführte, dem niemals einer gleichzukommen sich vermaß". Was er bei derartigen Aufführungen meist improvisatorisch darbot, faßte er nun in die strenge Form eines Konzertes von drei bis vier Sätzen, „im Widerspiel von Tutti und Solo und ihrer gelegentlichen geistvollen Durchdringung". Das Orgelkonzert g-Moll op. 4 Nr. 1 ist das gewichtigste der ganzen Sammlung. „Bereits der Anfang des einleitenden Larghettos mit dem markanten, im zweiten Takt energisch emporschnellenden sarabandenartigen Hauptthema und seiner elegischen Fortführung gehört zu den schönsten Gedanken des Meisters. Das folgende Solo wird ständig von diesem plastischen Motiv unterbrochen, aber auch weitergetragen. Kräftige Unisono-Figuren geben den Rahmen, bis in typischer Händelscher Weise ein Adagio den fragenden Halbschluß bringt. Eine optimistische, energiegeladene Antwort gibt das G-Dur-Allegro, in der dichten Folge seiner motivischen Einsätze, in der virtuosen Spielfreude und dem mannigfaltigen Dialogisieren, aber auch in seinen melancholischen Seitensätz chen ein ganz prächtiger Händel. Das anschließende kurze e-Moll-Adagio trägt trotz seines edlen Pathos mehr Überleitungscharakter. Einer der zartesten und zugleich fröhlichsten Händelschen Sätze ist das abschließende Andante (G-Dur) im 3 / s -Takt, das sich in seiner tänzelnden Thematik und reichen Echo- und Variationstechnik rondomäßig gibt und in froher Spiellaune das kraftvoll beschwingte Ende herbeiführt. Der Solist hat am Schluß wieder eindeutig die Oberhand, und doch entsteht der Eindruck einer kammermusikalischen Gemein schaft, eines freudigen Konzertierens. Es ist wohl ein einzig dastehender Fall in Händels Instrumentalmusik, daß jeder der vier Sätze in einer anderen (frei lich eng verwandten) Tonart steht. Dennoch macht das Werk durchaus einen folgerichtigen und einheitlichen Eindruck; ein Satz erwächst aus dem anderen, es entsteht ein farbenprächtiges, reich differenziertes, aber in sich geschlossenes Gemälde." (W. Siegmund-Schultze) Eines der ganz besonders selten zu hörenden sinfonischen Werke Gustav Mahlers ist die 6. Sinfonie a-Moll, seine „Tragische Sinfonie". Die in den Jahren 1903/05 entstandene, am 27. Mai 1906 unter Mahlers Leitung in Essen zur Uraufführung gebrachte Komposition gehört allerdings in ihrer gedanklichen und klanglichen Herbheit, ihrer monumentalen Anlage zu den am wenigsten eingängigen, am schwierigsten zu verstehenden und anspruchsvollsten Werken des Komponisten und erschließt sich eigentlich erst nach öfteren Hören mehr und mehr. Im Gegensatz zu der vorangegangenen 5. Sinfonie, die nach an fänglicher Düsternis schließlich zu Befreiung und Triumph führte, endet die „Sechste" nach gewaltigen Kämpfen voller Sehnsucht nach Klärung und Über windung doch in Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit. Um die pessimistische Gefühlsrichtung dieser Sinfonie, den Unfrieden und die Zerrissenheit der Seele, die sich hier widerspiegeln, ursächlich begreifen zu können, müssen wir uns vor Augen stellen, in welch einer Epoche Gustav Mahler seine Werke geschrieben hat. „Es ist oft bemerkt worden, wie Mahler unter der Krise del bürgerlichen Welt, jener .Entwertung aller Werte' litt, die der Imperialismus herbeigeführt hatte. In seinem Werk erscheinen denn auch zunächst einmal iri ganz auffälligem Maße Bilder des Schreckens und Grauens, der Verzweiflung und Seelennacht gequälter, qeiaqter Menschen, so wie besonders in der ins Riesige gesteigerten und dabei tragisch-erschütternden 6. Sinfonie. Das Leid zahlloser Mitmenschen leidet er mit; er empfindet die Auflösungserscheinungen einer ganzen Epoche und insbesondere der bürgerlichen humanistischen Kultur, und er empfindet auch die Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Gefühlskälte, Gleich gültigkeit, so wie er sie im Wien von damals um sich hatte" (E. H. Meyer). Speziell muß für die 6. Sinfonie auch die unmittelbare Entstehungszeit berück sichtigt werden: die Tätigkeit des Komponisten als Wiener Operndirektor neigte sich bereits ihrem Ende zu, und die domit in Zusammenhang stehenden verJ bitternden Kämpfe, die auf seine Gedanken und Stimmungen selbstverständlich nicht ohne Einfluß blieben, mögen hier ihren Niederschlag gefunden habenJ zudem ist denn wohl auch viel intim Persönliches aus Mahlers Leben in die Sinfonie eingegangen. „Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses. Wir meinten damals beide, so tief fühlten wir diese Musik und was sie vorahnend verriet. Die .Sechste' ist ein allerpersönlichstes Werk", schrieb seine Gattin Alma dazu. Demgegenüber muß aber auch deutlich her ausgestellt werden, daß die tragische Grundhaltung der 6. Sinfonie keinesfalls als abschließendes Bekenntnis des Komponisten zu werten ist, der im Grunde durchaus kein Pessimist war, sondern für den das Leben immer lebens-, immer kämpfenswert blieb. Bereits in seiner nächsten, der 7. Sinfonie, fand er wieder zu sieghafter Überwindung der dunklen Mächte, und bezeichnenderweise ist die „Sechste" überhaupt die einzige seiner Sinfonien, die derartig resignierend beschlossen wird. In seinem formalen Aufbau ist das eine unqemeine Verfeinerung des musikali schen Ausdrucks aufweisende Werk traditionell viersätziq und nicht wie andere Mahler-Sinfonien in Abteilungen gegliedert. Wesentlich erscheinen die stark erweiterte Thematik und die vielfältigen thematisch-gedanklichen Verbindungen zwischen den einzelnen Sätzen. (Hierbei sei vor allem das charakteristische symbolische „Motto" der Sinfonie erwähnt, das in Gestalt eines kurzen „Leit motivs", des nach a-Moll absinkenden A-Dur-Dreiklangs, an entscheidenden Stellen auftritt und das gewaltsame Niedergedrücktwerden symbolisieren soll.) In bezug auf die riesigen orchestralen Mittel, die Mahler wiederum einsetzte, um seine geistigen Intentionen zu verdeutlichen, wird sogar gegenüber der 5. Sinfonie noch eine Steigerung erreicht; vor allem kommt ein besonders großes Aufgebot von Schlaginstrumenten (u. a. Rute, Holzklapper, Herdenglocken, Hammer) zur Anwendung. Ein Allegro energico bildet den ersten Satz. Aus Marschrhythmen entwickelt sich das Hauptthema von trotziger Entschlossenheit, dann erklingt zum erstenmal als Trompetenmotiv das bereits genannte „Motto" der Sinfonie. Nach einem choralartigen Seitensatz in F-Dur wird das leidenschaftliche zweite Thema (mit dem der Komponist Alma porträtieren wollte) vorgetragen. Auf dem Höhepunkt der dramatischen, erregenden Durchführung, in der das thematische Material überaus kunstvoll verarbeitet wird, erreicht plötzlich ferner Glockenklang unser Ohr. „Es ertönen inmitten wilder Leidensausbrüche für einen Augenblick vertraute Klänge von Bergesseligkeit und Weltenferne (,wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual'). Sirenhaft lockende Vorstellungen von Gelöstheit und Freiheit nehmen Gestalt an von .Freiheit' — in Einsamkeit auf Alpenqipfeln — zauberhaft