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rvis Beilage zur Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. Oktober 1857 «Königreich Sachsen. Um den außergewöhnlich viel Naum beanspruchenden Bericht über die nachstehende interessante Verhandlung vor hiesigem Bezirksgericht nicht ganz ausfallen zu lassen, geben wir ihn ausnahmsweise in folgender Form: 2-Leipzig, I. Oct. In einer gestern von früh 8 biß Abends 10 Uhr und heute von früh 0 bis Nachmittags I'/- Uhr andauernden Sitzung des hiesigen Bezirks gerichts, bei welcher 21 Zeugen abzuhören waren, wurde ein Kall verhandelt, der durch die Schwere der zur Anzeige gekommenen Verbrechen, die Gefährlichkeit und Verwegenheit der Lhäter und die Complicirthcit des Ueberfllhrungßbeweiseß ein Interesse in Anspruch nimmt, welches eine etwas ausführlichere Besprechung rechtfertigen wird. In der kurzen Zeit vom 7. bis 21. März d.J. wurden in der Umgegend Leipzigs — wie später dringender Verdacht entstand, von ein und der selben Person — vier Einbrüche begangen, welche sich alle durch eine besondere Dreistigkeit in der Ausführung, bei welcher meist an, Hellen Lqge alle Hindernisse und Vcrschlußmittel beseitigt und ganze Häuser durchsucht und ausgeräumt worden waren, auszeichneten. So hatte ein Dieb in den Nachmittagsstunden des 7. März durch Losbrechen des HaspenS die mittels eines Vorlegeschlosses verwahrte Haus thür des Handarbeiters Schumann in Rüben geöffnet, und ohne sich um die allein im Hause zurückgebliebenen Schumann'schen Kinder zu kümmern, eine Anzahl Klei- dungS- und Wäschstücke vom Boden geholt, in einen Sack gepackt und damit das Weite gesucht. Drei Lage später war man in den Nachmittagsstunden in Abwe senheit der Bewohner in das Haus des Getreidemäklers Hohnstein in Göbschelwitz nach Aushebung eines im Erdgeschoß gelegenen Fensters eingedrungen, hatte ein Wandschränkchen aufgesprengt und daraus mindestens 4 Lhlr- sowie aus einer Vor- rathskammcr mehre Schinken, Speckseiten und eine Anzahl Würste gestohlen. Am 21. März fand man am Hellen Lage das Haus des Bäckers Klepzig in Wahren vollständig ausgeplündert. Hier hatte sich der Dieb ebenfalls durch ein erbroche nes Fenster Eingang verschafft, hatte drei verschlossene Lhüren aufgebrochen und aus allen Lhcilen des Hauses eine Menge Kleidungsstücke und Wäsche, insbeson dere auch eine mit Perlmutter ausgelegte Schnupftabacksdose entwendet. An bei den Orten hatte er vorher den Hofhund entweder in den Pfcrdestall gesperrt oder die Lhür det Hundehütte verrammelt. Alle diese Diebstähle wurden aber bei wei tem übertroffen durch den in der Nacht vor dem Bußtage, dem 13- März d. I., in dem Sommerhause deß Kaufmanns LH.— in Gohlis verübten Einbruch. Als der Hausmann, welcher während der Wintermonate nebst seiner Frau und Tochter daß Grundstück allein bewohnt, am Bußtagßmorgen aus seiner Dachwohnung herunter- gehcn wollte, fand er sich cingeriegelt, und mußte erst daß Schloß der Saalthüre aufreißen, ehe er hinaustreten konnte. Hier fand sich alsbald die Aufklärung des Rathsels. Alle Lhüren des Erdgeschosses sind der ersten Etage standen auf, fast sämmtliche darin befindliche Möbel waren erbrochen, der Keller war aufgesprengt und in der parterre gelegenen Küche fand sich der Fensterladen abgerissen und das Fenster zerschlagen. Es war dann auch Alles, was an Vorhängen, Rouleaur, Lischzeug, Wäsche u. dergl. von den Bewohnern zurückgelasscn war, gestohlen, auch fehlte in dem Keller eine Gelte mit Champagnerslaschen, und mehren andern Fla schen Wein waren die Hälse abgeschlagen und der Inhalt weggetrunken. Die Gelte mit Champagner fand sich jedoch am andern Morgen nicht weit vom Hause auf der Straße, wo fie die Diebe stehengelassen. Mehre Umstände ließen keinen Zwei fel darüber, daß bei diesem letzten Einbrüche mehr als Eine Person thätig gewesen. Nicht nur die theilweisc angcwendete große Gewalt und die Menge der erbrochenen Möbel, auch die Größe der Beute, die nicht leicht ein Einzelner fortbringen, noch weniger über das hohe Stacket, welches Haus und Garten einschloß, befördern konnte, ferner die Entdeckung, dass der Schnee, welcher in der Nacht gefallen war, um das ganze HauS herum vollständig niedcrgetreten war^ deuteten darauf hin. Das Dunkel, welches über die Urheber dieser Einbrüche herrschte, sollte be reits am 24. März d. I. durch einen Hellen Lichtstrahl erhellt werden. Infolge der bei,verschiedenen verdächtigen Personen vorgenommenen Außsuchung fand der Gendarm Walter an diesem Tage bei einem sehr berüchtigten Diebe, dem Schuh macher Johann Friedrich Gustav Marquardt in Connewitz, auf dem Boden hinter der Esse einen Sack und einen Lragkorb voll Effecten, wie sie in Gohlis, Wahren und Rüben gestohlen worden waren. Marquardt wollte anfänglich dieselben von einem Unbekannten erhalten haben, bezeichnete aber später den nicht besser beleumun deten-Müllerburschen Johann Heinrich Gustav Kupfer aus Probsthaida als den Ueberbringcr derselben. Infolge dieser Entdeckung wurde die Untersuchung gegen dies« beiden Personen bei dem hiesigen Bezirksgericht eingeleitct und sührte trotz deS biß zu Ende festgehaltenen Leugnens der beiden Angeklagten fast durchgängig zur Ueberführung. Vor allem mußte sie von vornherein der Besitz dieser gestohlenen Sachen, zu denen sich noch eine bei Kupfer selbst vorgefundene und in Wahren entwendete ge stickte AtlaSweste gesellte, gravircn. Kupfer räumte ein, daß er jene Effecten zu Marquardt gebracht, behauptete aber, daß ein ihm sonst ganz unbekannter Trödler, der sich Müller aus Stötteritz genannt, ihm diese Sachen nach und nach Abends im Dunkeln in der Sandgrube zwischen Probsthaida und dem Thonberg zum Ver kauf, wie er anfangs sagte, zum Ausheben, wie er später angab, übergeben, und ihm dafür die AtlaSweste sowie 10 Ngr. geschenkt habe. Bei dieser Erzählung von dem bekannten Unbekannten, der fast m allen Untersuchungen eine Rolle spielt und eS sich zur speciellen Aufgabe macht, unschuldigen Dieben gestohlene Sachen auf zuhängen und sie ins Unglück zu bringen, zeigte jedoch Kupfer sowenig Geschick und verwickelte sich in solche Widersprüche, daß er, auf die Unglaubhaftigkeit seiner Angaben aufmerksam gemacht, in der Hauptverhandlung selbst in die naive Be merkung auSbrach: „Er würde die Geschichte selbst nicht glauben, wenn sie ihm nicht passirt wäre." Weiter wurde aber zunächst bezüglich des Diebstahls in Goh liS noch ermittelt, daß Kupfer, wie durch mehre Zeugen sestgestellt wurde, in, der, Nacht der Lhat nicht nach Hause gekommen, ferner daß er kurz vorher, allem An schein nach sogar den Abend vor dem Einbruch mit mehren ebenfalls übelberüch- tigtcn Personen in Gohlis zusammengekommen, und insbesondere mit einem mehr fach bestraften Schlosser, welcher sämnltlichc Schlösser in dem Hause des Kauf manns LH. reparirt, conferirt hatte. Als daher weiter in Erfahrung gebracht wurde, daß Kupfer gegen die 15jährige Gräfe in Probsthaida ganz unverhohlen von seiner Betheiligung an diesem Diebstahl gesprochen, und zuletzt noch ein Mit gefangener desselben, Lcngner, welchem er in der Stille des Gefängnisses in der prahlerischsten Weise den ganzen Hergang mit allen Specialitäten erzählt, als Zeuge auftrat, dessen Aussagen um so zwingender zu dem Verstände'sprachen, als der selbe Einzelheiten angab, die er schlechterdings nur von einem Augenzeugen der Lhat erfahren haben konnte, und welche mit den Wahrnehmungen der Bestohle nen und den Ergebnissen der stattgefundencn Besichtigung auf daß eclatanteste übereinstimmten, so konnte über Kupfcr's Schuld bezüglich dieses Diebstahls kein Zweifel übrigbleiben. Daß aber auch Marquardt an diesem Verbrechen theilgc- nommen, wurde durch den Mitbesitz der gestohlenen Sachen, durch den regen Ver kehr, der erwiesenermaßen in der letztern Zeit zwischen beiden Personen stattgefun den, durch den Umstand, daß Kupfer in seinem Gefängniß einen andern Mitgefan genen beauftragt hatte, zu Marquardt zu gehen und ihm zu sagen, er solle nicht ängstlich sein, man könne nichts auf ihn bringen, aber er solle ja nicht zu ihm hereinkommen, damit kein Verdacht entstände; namentlich aber durch das Zeugniß Lengner's, gegen welchen Kupfer ganz bestimmt Marquardt alß den Gefährten sei ner Lhat bezeichnet hatte; durch die Widersprüche, in welche sich Marquardt wäh rend der Untersuchung verwickelte, und zum Ueberfluß vielleicht auch durch die be- reits erwähnten Spuren, welche die Diebe am Ort der Lhat zurückgelassen und ohne welche, wie Eingeweihten bekannt, Marquardt sich nicht von einem solchen Vorhaben zu entfernen pflegte, dargcthan. Ziemlich dieselben Jndicien mußten Kupfer auch als den unzweifelhaften Ur Heber des Einbruchs in Wahren erscheinen lassen. Der Besitz eines großen Theils der dort gestohlenen Sachen, über die er sich in keiner Weise auszuweiscn wußte, und rücksichtlich deren er, namentlich was den Erwerb der AtlaSweste anlangt, gegen verschiedene Personen verschiedene Angaben gemacht, und die Aussage Leng- ncr'S, welcher bezeugte, daß ihm auch von diesem Diebstahl Kupfer Mittheilungen gemacht habe und dabei insbesondere die ihm nie zu Gesicht gekommene Schnupf tabacksdose und einzelne Kleider so genau beschrieb, daß ihn nur der Lhäter davor in Kenntniß gesetzt haben konnte, stellten den Ueberführungsbeweis zur Genüge her. Auf ganz andern» Wege war es jedoch gelungen, auch den Beweis der Lhä- terschaft Kupser'S an dem Einbrüche in Rüben zu liefern. Hier trat als erste und wichtigste Zeugin die verwitwete Schumann, die Mutter deß Bestohlenen, auf. Ale sie Nachmittags von einem Gange nach Hause kam, fand sic in der Haußflur einen unbekannten Menschen, der sie sofort mit den Worten ansprach: „Mütterchen, wo bleiben Sie denn? Ich suche Ihren Sohn; er soll mir helfen einen Ochsen treiben." Die Frau erwiderte, ihr Sohn sei anderwärts beschäftigt und könne ihm nicht b- hülflich sein. Hierauf versprach ihr der gewandte Dieb 2 Groschen, wenn sie in die Schenke gehe und ihm da einen Gehülfen suchen wolle. Die Frau that es; als sie aber unverrichteter Sache zurückkehrtc, war der Mann über alle Berge, und zu ihrem nicht geringen Schrecken entdeckte sie nun erst, daß die Hausthür aufgc- brochen und auf dem Boden ein Sack und eine Menge Sachen entwendet waren. Zum Unglück für Kupfer hatte jedoch daß kurze Zwiegespräch genügt, um bei der alten, aber mit einem guten Gedächtniß versehenen Frau eine genaue Erinnerung seineß Aussehens zurückzulassen. Sie beschrieb ihn als einen jungen Menschen mit hübschem, glattem Gesicht, braunen Tüffelrock, bunten Shawl und einer Fleischer peitsche, der überhaupt dgS Gebühren eines Fleischers gehabt. Nun hatte Kupfer, wie ermittelt wurde, gerade damals einen solchen Rock und solchen Shawl getra gen und, wie durch einen Zeugen in Erfahrnng gebracht wurde, eine Fleischer peitsche besessen; sein sonstiges Aussehen stimmte damit überein, und aus früher gegen ihn anhängig gewesenen Untersuchungen ergab sich, daß er cß liebte, sich bei seinem Herumtreiben für einen Fleischer auszugeben. Auf Vorstellen Kupfer'S er kannte sie denn auch mit aller Bestimmtheit in ihm jenen Unbekannten wieder. Allein dieses eine Zeugniß konnte nicht genügen. Der Untersuchungsrichter hatte daher noch drei andere Zeugen ermittelt, von denen der Eine mit Kupfer an jenem Nach mittag ein großes Stück Wegs nach Rüben gegangen, der Andere ihn kurz vor Rüben gesehen, der Dritte endlich ihn beobachtet hatte, wie er mit einem Sack auf dem Rücken eiligen Laufs und sich scheu umsehend von Rüben her den Weg nach der Harth eingeschlagen, und welche Alle mit schlagender Sicherheit in Kupfer die Person, welche sie gesehen, wiedererkannten, während Kupfer bis zuletzt hartnäckig leugnete, jemals in Rüben gewesen zu sein. Um jeden Zweifel zu beseitigen, fan den sich schließlich unter den von Kupfer besessenen Effecten der Sack und ein Tuch vor, welche an diesem Orte gestohlen worden waren. Nur der Diebstahl in Göbschelwitz konnte Kupfer nicht mit genügender Sicher heit nachgewicsen werden. Zwar waren auch hier einige Zeugen aufgefunden wor den, welche seine Aehnlichkcit mit der Person bekundeten, welche zur Zeit der That sich an diesen Ort begeben und in das Hohnstein'sche Grundstück eingetreten war; auch hatte Kupfer nach Lengner's Aussage ihm mitgetheilt, daß er kürzlich einem Bauer das Fleisch von zwei Schweinen entwendet habe; allein von dem gestohlenen Gelde und Victualicn fand sich natürlich nichts mehr vor, und die Aussagen der Recognitionszeugen lauteten in der Hauptverhandlung noch unbestimmter als" in der Voruntersuchung. Waß Marquardt betrifft, so fanden sich zwar keine Anzeichen, daß er auch an jenen Diebstählen unmittelbar betheiligt gewesen, allein er hatte einen großen Theil der dort entwendeten Sachen bei sich versteckt, auch ein Paar gestohlene Hosen durch Kauf ansichgebracht; und da ein erfahrener Gauner wie er einem bekannten Diebe wie Kupfer gegenüber keinen Augenblick im Zweifel sein konnte, wie es um den Erwerb dieser Gegenstände stände, so mußte ihm mit Fug und Recht wenigstens die Begünstigung dieser Verbrechen beziehentlich Partiererei beigcmessen werden. Neben allen diesen speciellen Jndicien konnten auch die nachstehenden Anzeichen allgemeiner Natur nur noch zur Verstärkung der richterlichen Ueberzeugung beitra gen. Kupfer war bereits acht mal wegen Diebstahl, darunter vier mal mit Ar beitshaus, Marquardt 10 mal wegen desselben Verbrechens und darunter sogar drei mal mit Zuchthaus bestraft worden. Beide standen in dem Rufe, hauptsächlich vom Stehlen sich zu nähren, und die Zahl der nicht an den Lag gekommenen Dieb stähle, welche sie begangen, mag nicht gering sein. Kupfer war einmal auf Kosten der Gemeinde über See geschafft worden und hatte sich unter die deutschen Legio näre in England anwerbcn lassen, war aber aus Shorncliffe desertirt und wiede. nach Probsthaida zur geringen Freude der dortigen Gemeinde zurückgekehrt. Ku pfer zeigt sich als der Lhpuö eines verwegenen, übermüthigen, prahlerischen, leicht sinnigen Bösewichts, führte, wie-durch Zeugen ermittelt wurde, stets ei« Messer in einer in den Rock genähten Lcderscheide bei sich, auch bei dem gohliser und rubener Diebstahl, was, da er zugleich die Aeußcrung hatte fallen lassen: „Wenn sich der Hausmann in Gohlis gerührt hätte, würde es um denselben geschehen sein", bei der Strafausmessung in die Wagschale fallen mußte. Marquardt dagegen erscheint als der schlaue, vorsichtige, aber nicht minder gefährliche Verbrecher, und cs heißt, daß er noch biß vor kurzem von der wohlverborgenen Beute eines großen Dieb stahls lebte, nachdem er in der deshalb gegen ihn geführten Untersuchung sich glück licher als diesmal durchgelogen hatte. Kupfer wurde wegen Verübung des gohliser, wahrener und rübener vielfach ausgezeichneten Diebstahls unter Berücksichtigung der vorhandenen Concurrenz und deß häufigen Rückfalls zu neun Jahren Zuchthaus, Marquardt wegen Miturheber schäft an dem erster« und Begünstigung der beiden letztern Diebstähle sowie Par- tiererie unter denselben Erwägungen zu fünf Jahren sechs Monaten Zuchthaus ver urtheilt. Wegen deß göbschelwitzer Diebstahls wurden Beide freigesprochen.