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Sonntag. Nr. 232. 4. Oktober 1857. EeiPjiS Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de- GonntagS täglich Nachmit tags für den folgenden Tag. Preis für da- Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Mutsche Allgemeine Zeitung. - Wahrheits-und Recht, Freiheit und Etsch!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). JnsertionSgebühr für ven Raum einer Zeile 2 Ngr. Nachträgliche Betrachtungen über die Kaiserzusammcn- kunft in Weimar. — Leipzig, 3. Oct. Die vielbesprochene Zusammenkunft der beiden Monarchen von Oesterreich und Rußland ist nun vorüber. Möge dieselbe die Frucht tragen, die man davon erwartet: eine Befestigung des Friedens durch Beseitigung der etwa noch zurückgebliebenen Schärfen und durch Fcrnrückung einseitiger Bündnisse zwischen den Großmächten. Daß die tren nende Schranke, welche die letzten Jahre und ihre inhaltschweren Ereignisse zwischen den beiden ehemals so engverbündetcn Höfen von Wien und Pe tersburg aufgerichtet, durch dieses persönliche Beisammensein der Monarchen selbst gänzlich und mit einem male gefallen sei, wer möchte dies behaupten wollen? Zu Vieles ist von beiden Seiten zu vergessen, und cs wäre nicht zu verwundern, wenn bei dieser ersten Begegnung noch nicht die ganze Un befangenheit geherrscht hätte, welche nur die Frucht gänzlichen Absehens von der Vergangenheit sein kann. Aber viel ist. schon erreicht, da von der einen Seite der nicht leichte Entschluß, den ersten entgegenkommenden Schritt zu thun, gefaßt und vollführt, von der andern diesem Entgegenkommen mit gleicher Loyalität und Offenheit begegnet ward. Eins darf wol nach diesem Vorgänge und bei dem anerkannt redlichen Charakter Alexanders II. für gewiß angenommen werden : geheime Verabredungen mit Ludwig Napoleon oder sonstwem zu dem Zweck einer Schädigung oder Dcmüthigung Oester reichs sind nicht zu befürchten; sie können weder stattgefunden haben, noch werden sie stattfinden. Eine andere Hesorgniß könnte aus der Annäherung Oesterreichs an Rußland erwachsen: ob nicht Oesterreich seine selbständige Politik Rußland zuliebe aufgebcn werde. Für Deutschland wäre in dieser Beziehung beson ders wegen der holsteinischen Frage zu fürchten, und der neueste Artikel der Ocsterreichischen Zeitung über diese (Nr. 229), der fast unmittelbar mit der Kai serzusammenkunft zusammenfiel, hat wol in allen patriotischen deutschen Kreisen verstimmend und niederschlagend gewirkt. Inzwischen sagt mau sich zum Tröste, daß daö heutige Oesterreich nicht mehr das ehemalige ist, welches nur ängstlich jeder srcicrn und kühncrn Regung sich verschloß, daß ein ge wisses muthiges und selbständiges Vorgehen heutzutage für Oesterreich eine Nothwendigkeit, ein Lcbensbcdürfniß geworden ist. Auch auf die Verhältnisse Oesterreichs zu Preußen und somit auf die Abschwächung jenes unseligen Dualismus, der nur zu häufig Deutschlands Kraft spaltet und paralyfirt, muß, sollte man meinen, dieses neueste Er- cigniß von günstigen Folgen sein. Es scheint nicht zu bezweifeln, daß der König von Preußen einen wesentlichen, vielleicht entscheidenden Antheil an dem Zustandebringen dieser Begegnung der beiden Monarchen gehabt hat. Für diese That, und cs ist das eine wirkliche That von hoher Bedeutung unter den gegebenen Umständen, wird ihm Europa im Allgemeinen, Deutsch land im Besonder», ganz vorzüglich aber Oesterreich dankbar sein müssen. Durch nichts konnte der Monarch Preußens schlagender seine cchlbundesge- nössische Gefinnnung für Oesterreich bewähren, durch nichts schlagender den Vorwurf widerlegen, den noch immer nicht selten österreichische Blätter ge gen Preußen und das zu Preußen hinncigcnde Deutschland erheben, als ob cs von dieser Seile auf eine Beeinträchtigung der österreichischen Interessen abgesehen sei. Auch aus diesem Grunde hätten wir zu keiner Zeit mehr als gerade zu der jetzigen den erwähnten Artikel der Ocsterreichischen Zei tung ungeschrieben gewünscht, und wir möchten gern hoffen, daß die öster reichische Regierung nicht nur demselben fremd sci, sondern daß sie auch dies öffentlich erkläre. Noch eine Combination endlich konnte als Resultat dieser Annähe rung der beiden großen Reiche des Ostens, zusammen mit der vorausge- gangencn des russischen und des französischen Selbstherrschers, und hinzugc- nommen die Mittelstellung Preußens zwischen diesen beiden Gruppen wol in Erwägung kommen— eine Ausschließung Englands, wie vor der wci- marischen Zusammenkunft von einer Ausschließung Oesterreichs die Rede war. Das wäre denn gewissermaßen eine Erneuerung der ehemaligen Hei ligen Allianz- oder auch, um an Näherliegendcs anzuknüpfen, eine Er neuerung jener politischen Konstellation, wie sic vor dem orientalischen Kriege war und sich stets in dem gemeinsamen Andrängen der vier Mächte gegen England in der Flüchtlingsfrage documentirte. Die Versuchung zu einer solchen Politik scheint heute durch die augenblickliche Schwächung Englands nähergerückt als damals. Gleichwol können wir an eine solche Combina tion, die für die Culturentwickelung Deutschlands und Europas ebenfalls ein Unglück wäre, ernstlich nicht glauben. Abgesehen von allem Andern, scheint uns der innere Zustand Frankreichs dermalen nicht von der Art, daß Napoleon wagen könnte, England durch ein offensives Verhalten aus das Acußerste und zu einer Politik der Verzweiflung zu treiben, welche leicht seine Lage im eigenen Lande sehr bedenklich machen möchte. Auch ist England so schwach noch nicht, daß, wenn es die Vertheidigung seiner Selbständigkeit und seiner Institutionen gälte, nicht noch Mittel genug hätte, um es nöthigcnfalls mit den sämmtlichen Continentalmächten aufzu- nchmcn. Von seiner Ungeheuern Seemacht, womit es-alle Meere beherr schen und alle Häfen Europas sperren kann, nimmt der Krieg in Indien kein einziges Kriegsschiff in Anspruch. WaS wir als gemeinsames Facil der beiden Kaiserzusammenkünfle, der stuttgartcr und der weimarischen, erwarten und hoffen, ist: die bei de» Monarchen ebenso wie schon längst bei den Völkern befestigte Ucbcrzcu- gung', daß ein dauernder Friede und eine den: entsprechende Verminderung der Kriegsbereitschaft der dringendste von allen Acten der Politik sci. Nicht einseitige Allianzen zur Erringung einseitiger Vonheile, eine allseitige Ver ständigung der Großmächte vielmehr ist zur ^möglichsten Beseitigung aller etwa noch übrigen Keime eines neuen Unfriedens nöthig; das ist es, was die idealen Fodcrungen der Cultur wie die materiellsten des Weltverkehrs und der Finanzlage der meisten Staaten gebieterisch heischen. Derrtschlanv. Preußen. ^Berlin, 2. Oct. Vor einigen Tagen ist durch die ganze Presse die Nachricht von neuen Noten gegangen, die seitens der deutschen Großmächte nach Kopenhagen gesandt worden seien. Auch wurde sogar der Inhalt derselben angegeben und dahin bezeichnet, daß die deutschen Großmächte den holsteinischen Ständen eigentlich nur sccundirten, rcsp. dem dänischen Cabinet die Erwartung aussprächen, daß dasselbe dem von den holsteinischen Ständen ausgesprochenen Verlangen nun wol entgc- genkommen und entsprechen werde. Die ganze Angabe ist, wie wir von unterrichteter Seite hören, aus der Luft gegriffen. Es sind keinerlei Nolen nach Kopenhagen gegangen, noch sonst welche auf die Angelegenheit bezüg liche Schriftstücke gewechselt worden. Die deutschen Großmächte verharren nach wie vor in ihrer abwartenden Stellung, und es bleibt der Presse nichts übrig, als ihrerseits wieder abzuwarlen, wann die deutschen Großmächte aus dieser ihrer Stellung endlich einmal hcraustrcten werden. Eine nahe Aus sicht scheint dazu übrigens noch nicht gegeben zu sein. — Von österreichi scher und russisch-französischer Seite streitet man darüber, von wem die Ver anlassung zur Zusammenkunft in Weimar ausgcgangen sei, ob von Oesterreich oder von Rußland. Von österreichischer Seite behauptet man natürlich das Letztere. Wir halten diesen Streit, nachdem die Zusammen kunft einmal stattgefunden hat, für einen sehr müßigen und sogar auch un gehörigen. Es kommt nicht darauf an, nachträglich an solchen Kleinigkeiten herumzuzerrc», sondern darauf, daß man sich der Thaisache der gegenseiti gen Annäherung freue und das etwa erzielte Resultat immer mehr zu be festigen suche. Da die Sache indessen einmal zur Sprache gebracht wor den ist, so wollen wir als sactisch ganz einfach hcrvorhcben, daß die Ver anlassung zu der weimarischen Zusammenkunft, wie wir dies auch in unsern jüngsten Darstellungen der Situation klar genug angedeutet haben, von Oesterreich ausgcgangen ist. Man zweifelt hier nicht, daß das Resultat der weimarischen Zusammenkunft ein gutes sein werde, und könne» wir uns in dieser Beziehung besonders auf die verschiedenen von Weimar hier eingc- troffenen Depeschen stützen.— Prinz Mural, welcher, wie vom Moni teur bereits gemeldet worden, dem Könige ei» Schreiben des Kaisers Na poleon zu überbringen hat, ist gestern Abend mit dem rheinischen Schnell zuge hier cingetroffcn und im königlichen Schloß abgestiegcn. Heute Nach mittag um 2 Uhr hat sich der Prinz von hier nach Potsdam begeben, wo er vom Könige empfangen wurde und demselben das Schreiben des Kaisers übergab. Nach der Audienz wurde der Prinz zur königlichen Tafel gezogen. Die Gerüchte von einer baldigen Hierherkunft des Kaisers Napoleon erhallen sich inzwischen. — Angekommcn sind heute Vormittag zur Beiwohnung der morgen in Potsdam aus Anlaß des 50jährigen Eintritts des Königs in das 1. Garderegiment stattfindenden Festlichkeiten der Prinz von Preußen und der Prinz Friedrich Wilhelm. Gleich nach den Festlichkeiten wird der Prinz von Preußen sich mit seinem Sohne indessen wieder an den Rhein zurück und Prinz Friedrich Wilhelm von dort sich nach England begeben. Die zur Vermählung des Prinzen für den 18. Jan. angcsetzt gewesene Fest- oper „Nurmahal"*von Spontini, für welche bereits bedeutende Vorbereitun gen getroffen waren, ist wieder abbcstellt worden, wie man hört deshalb, weil die Oper in Indien spielt und man jede Rcminiscenz an Indien als unpassend betrachtet für eine Festopcr zur Verherrlichung der englischen Hei- rath. — vr. Stahl ist von Stuttgart wieder zurück. Von der starken, ja tumultuarischen Opposition, die er auf dem dortigen Kirchentage gefunden, hat man hier mit Interesse Act genommen. l)r. Stahl wird also nicht blos verurthcilt von allgemein evangelischer Seite wie von der hier stattge- fundenen Versammlung von evangelischen Christen aus allen Ländern, son dern sein Boden sebwindet jetzt auch in: deutschen Kirchentage, wo er frü her doch soviel gegolten oder dock wenigstens zu gelten schien. Hoffentlich