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Donnerstag. Nr. 217. —— 17« September 18S7. Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Sonntags täglich Nachmit tag« für t^n folgenden Tag. Preis für daS Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Deutsche Allgemim Zeitung. »Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehe» durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig ^Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Deutschland. «Bon der Weser, 15. Sept. Wenn der Nord sich bemüht, seine Leser über die möglichen Befürchtungen zu beruhigen, „welche eine über triebene Auffassung von her Wichtigkeit der Zusammenkunft der Kaiser Alexander und Napoleon namentlich in Deutschland erregen könnte", und, alle schweren Nackenschläge, di« Rußland im Pariser Frieden erlitten, ver gessend, „die uninteressirte und gemäßigte Politik des Kaisers der Franzo- sen" feiert, „der nichts wolle als die genaue Ausführung dieses Friedens", so ist dies ebenso erklärlich als für die Bedeutung der Zusammenkunft be zeichnend. Nicht minder begreiflich ist eS, wenn pariser officiöse Corrcspon- den»«, welche in deutsche Blätter sich einzuschmuggeln wußten, die Zusam- menkunft im roseüfarbensten Lichte darstellen und ihren Kaiser auf eine Höhe hinaufschrauben, auf der ihm selbst fast schwindeln müßte. Wenn aber deutsche Simmen mit dem Nord und den französischen Officiöscn Cho rus macht» und dieselben sogar an Aufwand im Beräuchcrn dort und im Einschläfern hier überbieten, dann ist es'hohe Zeit aufzusehen und Umschau zu halten. Erhebt sich eine solche Stimme jedoch in einem Blatt, das, wie die Frankfurter Postzeitung, bisher vorwiegend im österreichischen Fahr wasser steuerte und insbesondere Legen Rußlands Politik und eben den Nord Fronte zu machen pflegte, so ist verdoppelt« Achtsamkeit um so drin- gender geboten, als bekanntlich zwischen den Höfen von Petersburg und Men eine große Spannung besteht und die allgemeine Ansicht dahin geht, daß Oesterreich vielleicht am wenigsten Ursache habe, die Zusammenkunft in Stuttgart mit gleichgültigen Augen zu betrachten. Abgesehen davon trägt die Sprache, welche die ***-Correspondenz der Frankfurter Postzeitung vom 12. Sept, führt, ein so auffallend undeutsches Gepräge, daß es schon des halb nöthig erscheint, «inen solchen Erguß seinen wesentlichen Richtungen nach mit einigen Worten in weitere Kreise einzuführen, damit diese an einem Beispiel desto besser erkennen mögen, wie weit es schon in Deutsch land und für Deutschland gekommen sei. Die Frankfurter Pvstzeitung schreibt: „Wir sind gewohnt, den Hintergrund der Politik von Zeit zu Zeil durch Grnieblihe des Kaisers Napoleon erleuchtet zu sehen. So nehmen wir auch jetzt aü, daß eS gewisse moralische Triebfedern sein müssen, welche ihn bestimmen, mit einem fremden Herrscher, in einem fremden Lande, in Conftrenz zu treten und sich über die Bedenken hinwegzusetzen, die aus der Geschichte dieses Jahrhunderts und anderer verwandten Begebenheiten sich auf drängen. Wir vertrauen darauf um so fester, als wir ein Bcdürfniß der Ausglei chung gerade um deswillen empfinden, weil der deutsche Boden zum Schauplatz gewählt worden ist. WaS würde England, was würde Frankreich sagen, wenn Herrscher über fremde große Nationen, begleitet von ihren Ministern, in ihren Grenzen sich zu Congrcsscn vereinigen würden? Und doch wür den weder England noch Frankreich in die Reihe derjenigen Nationen ver setzt werden, deren Geschicke den Gegenstand der Verhandlungen und Be schlüsse der Fremden bilden könnten. Denn nicht England, nicht Frank reich gehören in die Kategorie der kranken Männer wie die Türkei, Ita lien und, sagen wir eS nur gerade heraus, Deutschland." So folgt auf die Verherrlichung des französischen Kaisers, neben dessen kaltem, berech nendem Verstände wir eben doch noch nicht eigentliche „Gcnieblitze erleuchten" und „gewisse moralische Triebfedern bestimmend" sahen, eine Erniedrigung von Deutschland, die letzteres in die Zeiten zurückvcrseht, von denen ein Geschichtschreiber sagt: „Mittlerweile befolgte Napoleon auch die alte Po litik Frankreichs, die deutschen Fürsten zu trennen, und er vergoldete diese Politik mit dem Scheine der Großmuth." In einem Momente, wo die schleswig-holsteinische Frage mit der Annahme des Ausschußantrags durch die Ständeversammlüng in ein so ernstes Stadium eintrat, erklärt die Frank furter Postzeitung, daß Deutschland, gleichwie die Türkei und Italien, ein kranker Mann sei, indem sie zugleich die deutsche Nation in die Reihe der jenigen Nationen versetzt, deren Geschicke den Gegenstand der Verhandlun gen und Beschlüsse der Fremden bilden können. Die Bundrsfürsten zu Stuttgart und Darmstadt haben also um die Zusammenkunft der fremden Gewalthaber sich deshalb bemüht, um damit Deutschlands Schmach zu constatiren und die Hülfe für den kranken Mann zu erwirken? Wir fin den in der That hier nicht die Worte, um die Empfindungen richtig und völlig auSzubrücken, die sich unserer vor einer solchen, jedes Zart- und alles Nationalgefühl verleugnenden Sprache, bemächtigen und hoffen in den Herzen der Leser einen Anklang zu finden, wonach wir uns dessen über hoben erachten dürfen, deutlicher werden zu müssen. Die Frankfurter Post zeitung schreibt weiter: „Wenn eine große moralische That, wie wir kaum bezweifeln dürfen, das Ergebniß der zu erwartenden stuttgarter Verhand lungen ist, so wird das deutsche Volk daS zweite Erfurt mit freudigem Dänke begrüßen: es wird ernten, wo es nicht gesäel hat, und für- wahr die Glücksfälle kommen ihm selten. Jede neue Bürgschaft für Frieden und ruhige Entwickelung wird einen neuen Stern zu dem Strah lenkranz« hinzufügen, der daö Haupt des französischen Kaisers umgibt." Was soll dies Alles aus deutschem Mund und in einem Blatte bedeu ten, das am Sitz der deutschen Bundesversammlung erscheint? Wo her ist die ***-Korrespondenz so gut davon unterrichtet, daß in Stutt gart eine große moralische That bevorstchl? Wo find ihre Quellen für solche Versicherungen? Das deutsche Volk soll also von fremden Für sten das Heil erwarten, ohne des alten, so wahren Spruchs gedenken zu dürft«: „Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen?" Heißt dies nicht mit andern Worten soviel, daß Deutschland dazu reif und bereit sein soll, an die Triumphwagen der beiden Autokraten oder wenig stens an den deS Napolconidcn gespannt zu werden? Wo aber sind die Sterne, die sich Napoleon UI. zu seinem Strahlenkränze um Deutschland verdient hat? Vergeblich suchen wir nach solchen Verdiensten, während wir nur nach der Schweiz und nach Schleswig-Holstein, ja nach Italien und nach Konstantinopel zu blicken brauchen, um ganz andere Ergebnisse fran zösischer Vermittelungen und Einmischungen wahrzunehmen. Wir glauben uns auf diese kurzen Andeutungen beschränken und auch dafür von den Le sern erwarten zu dürfen, daß sie in ihren Gesinnungen, der Sprache der Frankfurter Postzeitung gegenüber, mit uns in einer Weise übercinstimmen, wie eS den, deutschen Bewußtsein und dem deutschen Nationalgefühl in vollem Maß entspricht. Wir besitzen dann auch den besten Halt in uo- sclbst, was auch da kommen möge. Preußen, t Berlin, 15. Sept. Die Angelegenheit in Bezug auf das vom Handelsminister v. d. Heydt eingereichte Entlassungsgesuch ist, wie man erfährt, bisjetzt noch nicht ausgeglichen. Man zweifelt indessen nicht an einer Ausgleichung. Der jüngsten Sitzung des StaatsministeriumS hat Hr. v. d. Heydt nicht beigewohnt. Die Reise desselben nach Dirschau zur Besichtigung der dortigen Brücke dürfte wol nur aufgeschoben sein und später doch noch erfolgen, indem Niemand glaubt, daß das EntlassungSgesuck desselben werde angenommen werden. Wir müssen hierbei hervorheben, daß cs sehr bedauert werden würde, wenn Hr. v. d. Heydt aus dem Ministe rium schiede. Selbst auch die Gegner desselben können nicht anders als eing«st«hen, daß er sich um Preußen große Verdienste erworben habe. Hr. v. d. Heydt erfreut sich in Bezug auf sein vieljähriges Wirken für den Staat allgemeiner Anerkennung. Der öffentliche Wunsch ist daher auf eine baldige Ausgleichung der Meinungsverschiedenheiten, welche das Entlaffungs- gesuch des Handelsministcrs veranlaßt haben, gerichtet. — Es hat hier gro ßes Aufsehen erregt, daß von französischen Gesandten in deutschen Blättern deutsche Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten aufgefodcrt worden sind, ihr Anrecht auf die Medaille von St.-Helena durch ihre dienstlichen Pa piere den betreffenden französischen Gesandten darzuthun. Dieser Schritt der französischen Regierung wird hier als ein unangemessener in Bezug auf das deutsche Nationalgefühl erkannt, den sich, wie man hervochebt, sicher lich Frankreich nicht von Seiten Deutschlands gefallen lassen würde. Es ist nicht ohne politische Bedeutung, daß die über diese Angelegenheit in Deutschland gehegte Auffassung auch zum kräftige» Ausdruck in den öffent lichen Organen der Presse gelange, damit die aufgefoderlen brutschen Offi ziere, Unteroffiziere und Soldaten nicht in Zweifel darüber sind, welcher Beurtheilung von Seiten ihrer deutschen Landsleute sie sich prcisgeben, wenn sie der Auffodcrung der betreffenden französischen Gesandten Nachkommen sollten. Die öffentliche Meinung in Deutschland wird zweifelsohne dies« Angelegenheit scharf überwachen, da sie sehr gut weiß, daß nur diejenige Nation geachtet vor den andern Nationen dasteht, welche sich selbst achtet. ES ist hier in Vorschlag gebracht worden, daß die öffentlichen Blätter Deutschlands alle diejenigen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, welche sich behufs Erlangung der Medaille bei den betreffenden französischen Ge sandten melden, namhaft machen. Hat die deutsche Nation auf diese Weise kräftig ihr Urtheil über die Sache gesprochen, so ist den Folgerungen, welche die französischen Blätter aus etwaigen solchen Meldungen ziehen sollten, die Spitze abgebrochen. Man hegt hier aber die Hoffnung, daß sich nicht ein Einziger melden werde. — Hier ist vielfach das Gerücht verbreitet, Pro fessor Stahl habe ein zweites Gesuch wegen Entlassung als Mitglied des OberkirchenralhS beim Könige eingereicht. Es wird hinzugesetzt, der König habe diesmal das Gesuch angenommen. Wir führen dieses Gerücht an, weil es in namhaften hiesig«« Kreisen verbreitet ist. Andererseits bemerken wir aber, daß die Richtigkeit dieser Angabe in Kreisen, welche man in die- ser Beziehung als unterrichtet bezeichnen muß, noch sehr in Zweifel gezo gen wird. — Nach der «Zeit» wird der Kaiser von Rußland am 16. Sept. Abends nach Süddeutschland abreisen und den Höfen von Weimar, Darm- stadt und Stuttgart Besuche abstatten. Am 2. Oct. wird der Kaiser mit seiner Gemahlin auf der Rückreise nach Rußland wieder in Berlin cintreffen und sich daselbst am 5. und 4. Oct. aufhaltcn. Sie verlassen am 4. Oct. Abends wieder Berlin und begeben sich über Warschau, Kiew, Moskau ic.