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Europa zu «lassen, worin sie als „einziges Mittel gegen die Uebel der gegen wärtigen Zeiten die einfache Rückkehr zu den Institutionen deS Ist. Jahr hunderts" verlangen. Dieselbe Correspondenz meldet, daß die Unzufrieden heit in Neapel jeden Tag zunimmt und auch die reichen Classen der Ge sellschaft ergreift. Großbritannien. ö London, 19. Aug. Groß ist die Agitation und der fromme Schrecken in hochkirchlichen Kreisen über den Übeln Stand der indischen Angele genheiten und die böse Wendung, welche die Debatte über das Eheschei- dungsgeseß im Unterhause genommen hat. Mit heiligem Eifer setzen die geistlichen Mitglieder der Kirche Englands alle Mittel in Bewegung, um sich von dem leider populär gewordenen Verdacht zu reinigen, als sei der Ausbruch in Indien zum guten Theil das Werk fanatischer Missionare der StaatSkirche. In den vereinigten drei Königreichen werden „christliche Mas senmeetings" angeordnet, um ihren Unwillen gegen die heidnischen Seapoys auszudrücken und Gott zu bitten, den Engländern zu helfen. Tausende von Hirtenbriefen aller protestantischen und katholischen Bischöfe überfluten den britischen Boden und erklären — nicht die englische Macht in Indien sondern die dortigen hochkirchlichen Errungenschaften in Gefahr; von den Kanzeln herab tönt die Auffoderung, „für das Leben und Vermögen uns«- rer Landsleute in Indien öffentlich und privatim zu beten »nd Gott zu bitten, daß er die wilden Barbaren züchtigen möge". In Bristol fand ein „christliches Massenmeeting" statt, dem gegen „5000 Christen aller Domi nationen und eine große Anzahl Priester" beiwohnten. Das Programm lautete : „Gott zu bitten, daß er Britisch-Jndien der Krone Englands retten möge, daß die schrecklichen Seapoys überwältigt würden und daß man sich mit dem Ausspruch des Bischofs von London einigen sollte, welcher wünscht, daß alle Unterthanen der Königin ernste Gebete zu Gott für den Comfort der armen unglückliche» Landsleute in Indien senden sollen." Leider ist bei Gelegenheit dieses Meetings ein Pamphlet in mehren Tausenden Exempla ren vertheilt worden, welches dem Programm der Frommen nicht günstig lautet. Es meint, daß die Zeit gekommen sei, wo man mit Gewehren anstatt mit Gebeten operiren sollte, und daß die Staatskirche besser thun würde, in Zukunft Kugeln anstatt Bibeln nach Indien zu senden. Wollen die Kir chenfürsten dennoch ein frommes Werk thun, so mögen sie jede Kugel mit einem Verse aus der Heiligen Schrift versehen. Eine solche Circulation der Worte des Neuen Testaments wäre die einzig wirksame und könnte das wiedergutmachen, was der Fanatismus der Missionare in Indien schlecht machte. In diesem Tone ist das Pamphlet gehalten, und eS bedarf kaum der Erwähnung, daß cs zum großen Aergerniß der frommen Versammlung gereichte. Mehr noch als^die indischen Angelegenheiten alterirt die Debatte über das Ehescheidungsgesetz die geistlichen Mitglieder der englischen Hoch kirche. Nicht weniger als 11,000 Priester haben Petitionen gegen «inen Paragraphen des Gesetzes gezeichnet, welcher Geistliche mit gerichtlichen Strafen bedroht, die sich weigern würden, Jene wieder zu trauen, welche geschieden worden sind. Das Ministerium ist für das Princip der Wicder- verheirathung geschiedener Eheleute und beantragte, daß es dem Geistlichen freistände, den Act der Trauung zu verweigern, daß er aber die Gemeinde- tirche jedem Geistlichen öffnen müsse, der den Trauungsact vollziehen wolle. Die Bewegung ist allgemein unter den Dienern der Hochkirche, und ihr einziger Trost besteht darin, daß die Parlamcntösession entweder verlängert werden muß, um die Debatte über das Ehescheidungsgesetz zu Ende zu führen, oder, was wahrscheinlicher ist, daß sie erst künftiges Jahr zur ferner» Debatte gelangt. Ein anderer Trost wird in dem wahrscheinlichen Wider stande des Obwhguscs gegen einen Gesetzartikel des Unterhauses gesucht, der die absolute Herrschaft des Staats über die Kirche verfügen würde. Im heiligen Eifer H'lr die Interessen der Hochkirche versichern unsere Spooners, daß der Geistliche nicht mit demselben Gesetz gefesselt werden darf, das den Laien bindet. Sie sagen, daß das Unterhaus Englands sich auf ewig in dem Abgrunde der Irreligiosität verlieren würde, wenn die Geistlichkeit nicht ihre Privilegien behielte, wenn sie z. B. gezwungen würde, den straf baren Theil eines geschiedenen Ehepaares wiedcrzuverheirathen, und wenn in dieser Weise die Christenheit Englands der Anarchie, der Vielweiberei und sonstigem Uebel preisgegeben würde. — Es machen sich im Moment Vorschläge zur Pacification Indiens geltend, und in einer vordera- thenden Versammlung einflußreicher Politiker wurden folgende Punkte als Grundlage von Meetings und Petitionen angenommen: 1) die Königin von nun an als Königin pon Hindostan und Herrscherin des Dendschab zu proclamiren; 2) daß die Ostindische Compagnie in ihrer bisherigen Eigen schaft zu bestehen -aufgehört habe; 3) daß eine königliche Commission nach Indien abgehen soll und ausgedehnte Vollmachten enthält, den Bedrückun gen der Hindus und Mohammedaner abzuhelfen; 4) daß eine General amnestie durch ganz Indien proclamirt werde; 5) daß der König vonAudh, Ler Radscha von Sattara und andere ihrer Macht entkleidete Potentaten unter der Bedingung wiedercingcsetzt werden, daß sie jährlich einen Tribut entrichten und ein Truppenkontingent.zur Vertheidigung des englischen Ge biets in Hindostan zu allen Zeiten stellen. Wir dürfen hinzufügcn, daß die Versammlung größtentheils der „Friedenspartei" angehört« und daß ihre Vorschläge nichts weniger als Sympathien in der-breiten Masse deS britischen Volks finden. -^London, 19. Aug. Die amerikanische Presse, jene Blätter zum mindesten, die auch in Europa ein Publicum haben, sprechen sich über die indischen Ereignisse in demselben Sinne, ja manchmal sogar mit denselben Worten, wie die hervorragendsten Journale Deutschlands aus, und jenseit sowykswie diesseit dH Atlantischen Ocean scheint d»S gebildete Pubicum über drei Punkte vollkommen mit siq einig zu sein. Erstens: dqß Indien unter der Herrschaft Englands, so schlecht diese in vielen Beziehungen war, doch, unendlich viel gewonnen habe; zweitens: daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Indien, das sich selbst nicht regieren könne, keine bessern Her ren als die Engländer haben könne; und drittens: daß es im Interesse der allgemeinen Civilisation, Asiens sowol wie Amerikas und Europas, liege, daß England seine Herrschaft im Osten und mit dieser seine hohe Machtstellung unter den Staaten der Welt behaupte. Die Limes macht den amerikanischen Nachbarn über diese „vernünftige und freundschaftliche" Ansicht ihre besten Complimente, wobei natürlich an einigen Seitenhieben auf die „Propheten in Paris, die jetzt zum zwanzigsten male den Fall Eng lands prophezeien", und auf die „epigrammatischen Syllogismen der.Con- tincntalsalonö, die den Beweis führen, daß England in Indien -nichts aus- richtcn wird", kein Mangel ist. „Amerika", sagt die Times, „steht sehr wohl ein, daß eine herrschende Nace sich so leicht aus einem alten Besitz- lhum nicht verdrängen läßt.... England hat vielleicht eine langwierige und schwere Arbeit vor sich, aber wer den englischen Charakter kenns, weiß auch, daß England sie bemeistern wird.... Eine Nation, die einmüthig ist, wird selten ihren Zweck verfehlen, und einmüthig ist jetzt England, wenn auch Hr. Urquhart «als unwillkürlicher Humorist» den rebellischen Seapoys den besten Erfolg im Kampfe gegen England wünscht.... Amerika aber weiß aus Erfahrung, daß die Freiheit, die man dem Wahnsinn gönnt, ein Beweis für die furchtlose Kraft eines freien Volks ist." Trotz dieser und noch vieler anderer Complimente will die Times von einer „thatsächlichen" Sympathie der Amerikaner durchaus nichts wissen, und bedankt sich höf lich für die Zumuthung des New-Jork Herald, daß England diesmal in den Vereinigten Staaten 50,000 Mann in wenigen Wochen anwcrben, sich dafür aber unter der Hand verpflichten möge, den Amerikanern auf ihrem eigenen Continent nicht weiter in den Weg zu treten. „Lord Clarendon", sagt die Times, „wird keine Versuche machen, seine Agenten in neueWer- bungsprocesse zu verwickeln, abgesehen davon, daß sich noch Anderes dage gen einwenden ließe, die Wiederherstellung der Ruhe in Bengalen durch 50,000 freie und erleuchtete Bürger zu bewerkstelligen." „England", so schließt die Times, „hat genug zu thun, wenn es Indien beherrschen und Australien cultiviren will. DaS einzige Interesse Englands in den streiti gen Gebietsthcilen Centralamerikas betrifft die freie Durchfahrt von Pa- nama. Im Uebrigen kann es ohne Eifersucht oder Bedauern den Fort schritten der Vereinigten Staaten auf dem Süden des amerikanischen Con- tinents zusehcn." -j-London, 20. Aug. In der heutigen Sitzung deS Unterhauses deutete Lord Palmerston an, daß eine Berufung des Parlaments im näch sten Winter möglicherweise erfoderlich sein werde. Einem Gerücht nach werden Lord Derby und mehre andere Lords nach London kommen, um sich in der betreffenden Sitzung des Oberhauses den Clauseln der amendir- ten Ehescheidungsbill zu widersetzen. Bürket. »Ä Konstantinopel, 12. Aug. Hier hat sich der Statusquo aus meinem Briefe vom 6. Aug. bis zur Stunde behauptet, und er ist der selbe trotz des „k^poir könne 8vlulion" an der Spitze des Leitartikels im heutigen Journal de Constantinople. Der Artikel selbst, welcher sich in einer höchst einfältigen und hinkenden Conjcctur an die Thatsache der Zu sammenkunft in Osborne und an daS Gerücht einer an Hrn. v. Thouvenel gelangten friedlichen Depesche klammert, um daraus und im Zusammenhalt mit den Konne8 intentilE Ler Pforte einen blechernen Riegel über die drängenden Thorflügcl des Janustcmpels der Gegenwart zu schmieden, ist nur darum bemerkcnswcrth, weil er bei einem inspirirten Organ wie das Journal de Constantinople die Stellung und Verhältnisse der Jnspiranten mehr oder weniger und hier besonders die Thatsache verrälh, daß die Pforte Alles von einer „guten Lösung" aber durchaus nichts von den Consequen zen eines Energischen Beharrens ihrer- wie andererseits erwarten und hoffen will. Gerüchte männichfacher Art haben sich im Publicum verbreitet, das L8poir des Journals hat im Verein mit einigen derselben, welche den gan zen Handel in allgemeines Wohlgefallen sich auflösen ließen, wenigstens das Gute gewirkt, daß die unsinnigen Geldkurse seit vorgestern auf heute um 10 Proc. gefallen sind (1 Pf. St. — 135 Piaster). Aber wer beschützt uns gegen den gefährlichsten Rückfall, wenn morgen oder übermorgen die falschen Draperien von dem ernsten Bilde der Wahrheit fallen; und wel cher Wahrheit! Wir sind uns unserer Ekrenpflicht als Reporter zu sehr bewußt, um solchen Enthüllungen mit unwillkommener Discretion vorgreifen zu pMen, umsomehr, wenn die Eventualitäten noch wie hier in die Hand von staatsmännischen Persönlichkeiten gelegt sind, Lie ein Recht auf Scho nung oder, besser, vorsichtige Achtung seitens der öffentlichen Beurtheilung sich.begründet haben. Wie aber, wenn das Abwägen der Entschlüsse sol cher Persönlichkeiten bei ihnen selbst alö ein Unrecht, die eigene Politik als ein willkürliches Zögern, ihr Schweigen geradezu als eine eigenmächtige Unterdrückung, Jlludirung bestimmter Befehle der Gewalt im Staat, welche über Len Gesandten und ihren Neigungen steht; wie, wenn das steinerne Schweigen des Lords Stratford de Redcliffe am Ende als ein Verschlep pen, eine Defraudation ausdrücklicher Weisungen U. ä. Osborne 8. Aug., sich Herausstellen sollte?! Soviel ist gewiß, die den vier Gesandten (zur Zeit in p3itibu8) von ihren Regierungen nachttäglich aufgegebene Warte frist ist verstrichen, Harren und Lauschen ist bis heute getäuscht geblieben vor der Sphinx mit dem Löwcnkopf, „und die Gesandten ziehen davon". —