Volltext Seite (XML)
Sonnabend. Nr. 95. — LS. April 1857. Di- Zeitung erscheint mit Ausnahme des ConntagS täglich Nachmit tags für den folgenden Tag. Preis für das Vierteljahr l'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Deutsche Mgemeiiie Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» Zu beziehen durch all« Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die vrreditio» i» Leipzig lOnerstraße Nr. 8). Jnsertionsgcbübr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Die Arbeitseinstellungen. E Leipzig, 21. April. Aus mehren Städten des westlichen Deutsch, land, namentlich Frankfurt a. M., Mainz, Würzburg, wird von Bewegun- gen und Verabredungen unter den Arbeitern gewisser Gewerbe behufs der Erlangung höherer Löhne, zum Theil auch von wirklichen Arbeitseinstellun gen zu gleichem Zweck berichtet. Zum Theil ist diesen Bewegungen durch ein friedliche- Abkommen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern ein Ziel ge setzt und, wie es scheint, in den meisten Fällen den Arbeitern eine billige Lohnerhöhung gewährt worden; zum Theil aber ist die Polizei eingeschrit- ten und hat, in Ausführung der bestehenden Gesche gegen Arbeitcrver- sammlungcn und Arbeitseinstellungen, die Theilnehmer an den crstern ver haftet und die letztem durch erzwungene Wiederaufnahme der Arbeiten ab- zustellen versucht. Wir begeben uns eines Urtheils darüber, welcher von beiden Theilen, ob die Arbeiter oder ihre Herren, in dem vorliegenden Fall im Rechte sein mögen, denn es geht uns die sichere Kcnntniß der speciellen Verhältnisse ab, auf welche es dabei ankommt. Nur über die Art, wie man solche volkswirthschastliche Conflictc bei uns und anderwärts löst, sei uns ver gönnt einige Betrachtungen anzustellen. Die festländischen Gesetzgebungen verbieten größtcnthcils ausdrücklich alle Verabredungen und Vereinigungen von Arbeitern zum Zweck der Er zielung höherer Arbeitslöhne, ebenso die Arbeitseinstellungen in Masse, wenn sie als Mittel zu dem gleichen Zweck dienen sollen. Die erstem fallen gewöhnlich sogar unter das Criminalgcsetz und sind mit mehr oder minder harten Strafen bedroht; ein Strafzwang zum Arbeiten laßt sich schwerer anwcnden (obschon er, wenn eine Corrcspondenz des Schwäbischen Merkur aus Mainz, vom 17. April, nicht Unwahres berichtet, an dem genannten Ort bei diesen neuesten Arbeitseinstellungen wirklich angewendct worden ist), allein es gibt dafür andere wirksame Mittel, z. B. das Ausweisen aller nicht in Arbeit stehenden Handwerksgesellen, die Vermerke in den Wander büchern u. dergl. m. In England befolgt man bekanntlich den ganz entgegengesetzten Grund satz. Dort steht es den Arbeitern frki, sich zu versammeln, gemeinsame Fe derungen wegen höherer Löhne zu verabreden, dauernde Vereine zu bilden, Beiträge zu sammeln, um sich gegenseitig während der freiwilligen Arbcits- Einstellung zu unterstützen, und was sonst zu thun sie für dienlich erachten, bis sie entweder ihren Zweck erreicht haben, oder, die Unmöglichkeit ihn zu erreichen einsehend, von ihrem Beginnen abstchen. Nur wenn sie sich bei- kommen lassen, Gewalt zu brauchen, sei es gegen Arbeitgeber, sei eS gegen ihre Arbeitsgenossen, um sie vom Eintreten in die von ihnen selbst verlas sene Arbeit abzuhalten, schreitet daS Gesetz gegen sie ein und straft sie. Bekanntlich wird von dieser gesetzlichen Freiheit der Association der Ar beiter und der Arbeitseinstellungen (sti ilcvs) dort ein sehr ausgedehnter und, nach den Begriffen unserer continentalen Gesetzgebung und Polizei sehr be drohlicher Gebrauch gemacht. Noch im verflossenen Jahre fand daselbst einer der längsten und hartnäckigsten Kämpfe dieser Art zwischen Arbeitern und Arbeitgebern statt, der zuletzt im Wesentliche» mit einer Niederlage der Arbeiter endete, nachdem er diesen , durch Entbehrung des Arbeitsverdienstes sehr bedeutende Opser, dem gesammten Nationalwohlstande aber, durch Stö rung deS Verkehrs in einem ganzen GewerbSzweige, ansehnliche Verluste ge- kostet hatte. Die englische Presse nahm damals Anlaß, das ganze Prin- cip der gesetzlichen Freiheit der Agitation der Arbeiter für Lohnerhöhung einer eingehenden Kritik zu unterwerfen, und trotz jener beträchtlichen national ökonomischen Verluste (für welche gewiß Niemand so wenig blind ist als der praktische Engländer); trotzdem dies in jenem Falle säst ausnahmslos alle volkSwirthschaftlichen Autoritäten erkannten, das Unrecht sei auf Seiten der Arbeiter und die Arbeitgeber könnten die gefoderte Lohnerhöhung nicht bewilligen; trotz der anscheinenden Gefahr einer sich selbst überlassenen Agitation gerade des minder gebildeten Theils der Gesellschaft; trotz einzelner Ungesetzlichkeiten und Gewaltthätigkeitcn, welche bei solchen Strikes biswei len Vorkommen — fiel dennoch das Verbiet der Presse, und zwar keineswegs etwa bloS der radikalen Blätter, sondern auch der consrrvativen, das große Bourgeois- und Cityorgan an der Spitze, dahin aus: es sei durchaus weise und wohlgethan, daß die Gesetzgebung eine Frage so rcinvolkSwirthschast- sicher Natur, wie die Frage der Arbeitslöhne, auch auf dem reinvolks- wirthschaftlichen Wege der freien Concurrenz zur praktischen Entscheidung kommen lasse, ohne sich weder nach der einen noch nach der andern Seite «Inzumischen. Nur auf solche Weise, so raisonnirten die englischen Blät ter, werde die wahre, gründliche Einsicht über derartige Fragen auch unter den Arbeitern verbreitet, werde eineSthsils wirkliches Unrecht, was ihnen etwa Willkür und Eigennutz der Fabrikanten anzuthun Hersuchen vermöchte, von ihnen abgewendet, anderntheil- aber auch ihnen selbst die handgreifliche Urberzeugung beigebracht, ob ihr« Foderungen begründ« seien »der nicht. l Würde man die Arbeiter durch polizeiliches Einschreiten hindern, Das, was sie für ihr gutes Recht hielten, bis aufs Aeußcrste zu verfolgen, so würde sich ihrer eine Erbitterung bemcistern, welche nicht blos gegen ihre Arbeit geber, sondern auch gegen den Staat, die Regierung, die ganze gesellschaft liche Ordnung gerichtet wäre, während jetzt, da man sie frei gewähren lasse, ihre eigene Vernunft ihnen sage, wieweit sie gehen dürften, und daß sie ihren Vortheil besser durch einen billigen Vergleich mit ihren Arbeitgebern, als durch zu hochgespannte Foderungen wahrten. Die Arbeitgeber ihrerseits, wohl wissend, daß das Gesetz sie gegen eine feindliche Agitation der Arbeiter, ge gen Arbeitseinstellungen derselben im großen Maßstabc, nicht schütze, müssen ebenfalls sorgfältig überlegen, ob cs nicht vortheilhafter für sie sei, ihren Ar- Leitern zuzulegen und sich selbst mit einem geringer» Untcrnehmergcwinn zu begnügen, als die Gefahr einer vielleicht länger andauernden Stockung ihres Gewerbes, des Müßigstehcns ihrer Maschinen und der Ablenkung ih rer Kundschaft anderswohin aufsichzunchmen. Genug, der Kampf zwi schen Arbeitern und Arbeitgebern, mit voller Freiheit von beiden Seiten und ohne Dazwischenkunft eines Dritten geführt, würde sich in der Regrl in einen Vergleich auslöscn, indem jeder Theil etwas nachgäbt, lind allmä- lig würde sich ein festes und gerechtes Verhältniß mittels der dadurch ge« wonnenen richtigen Kcnntniß und Abwägung der gegebenen volkswirthschaft- lichen Voraussetzungen der Lohnsätze Herstellen. So urtheilten die englischen Blätter, und der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben. Nicht nur daß jener scheinbar so unversöhnliche Kampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitern friedlich endete und Alles in das ru- hige Gleis des Verkehrs zurückkehrte, sondern wir haben auch in noch neue rer Zeit das denkwürdige Schauspiel gesehen,- wie eine von momentaner Arbeitsstockung und Theuerung in Noth versetzte und anscheinend zu ge fahrdrohender Verzweiflung aufgestachelte Arbeitermasse Londons in den Massenversammlungen, zu denen sie kraft desselben freien AffoeiationSrechtS sich vereinigt«, feierliches Bckenntniß ablegte von der richtigen Einsicht und der besonnenen Willenskraft, womit sie nicht nur jedes ungesetzliche Mittel, ihrer Noth zu steuern, sondern sogar jede Hülfe der Wohlhabender« oder deS Staats, welche auf ein bloßes Almosen hinausliefe, entschieden zurück- wleS, nichts erbittend als eine Vermittelung und vorschußweise Unterstützung deS Staats zur Ermöglichung neuer Erwerbsquellen für die überschüssigen Arbeitskräfte im Wege der Auswanderung. Das ist die Frucht der Freiheit, welche auch in der Brust deS schlich ten Arbeiters Einsicht, um das Rechte und Vernünftige zu erkennen, und sittliche Kraft und Selbstgefühl, um danach zu handeln, entwickelt und stärkt. Sollte es nicht das Beste sein, daß man auch in Deutschland es mit dieser Freiheit versuchte statt mit Polizei- und Strafgesetzen, die, wie wir jetzt wieder bei diesen neuesten Arbeiterbewegungen sehen, doch selten consequent gehandhabt werden noch gehandhabt werden können? Preußen, t Berlin, 23. April. Der Gesetzentwurf in Betreff des Verbots der ausländischen Banknoten beschäftigt nicht allein die hie sigen Handelskreise, sondern auch die hiesigen Vertreter der verschiedenen deutschen Staaten in hohem Maße. Letztere bieten Alles aus, um eine Vereinbarung mit der diesseitigen Regierung hinsichtlich der weitern Zulas sung der Banknoten zu treffen. Wie man hört, bestehe eine theilweise Ge-. neigtheit im Staatsministerium, auf Vereinbarungen einzelner Staaten, deren Bankwesen volle Gewähr bietet, ausnahmsweise cinzugehen, indessen soll von anderer Seite im Staatsministerium geltend gemacht werden, daß daS Verbot aller ausländischen Banknoten ohne Ausnahme streng durchge führt werde, da sich die Nothwcndigkeit einer solchen Maßregel als unab- weislich für Preußen hcrausstelle. Es dürfte gegenwärtig noch nicht vor- auSzusagen sein, ob und inwiefern ein Mittelweg zwischen beiden Ansichten schließlich betreten werden wird. Man soll sich hier nicht verhehlt haben, daß die beabsichtigte Maßregel mit der Aufgabe des Zollvereins, alle mög lichen Verkehrscrleichterungen zwischen den diesem Verein angehörigen Staa ten in allen Beziehungen herbeizufühen, keineswegs im Einklänge stehe. Auf der andern Seite soll aber auch in Erwägung gezogen worden sein, daß alle die Nachtheile, welche infolge der Uebcrflutung Preußens durch ausländische Banknoten mit einer schwankenden Valuta verbunden sind, auf den preußischen Staat mit solcher Macht immer mehr rinstürmen, daß eine Maßregel der Nothwehr gegen diesen berechneten Andrang vollständig ge rechtfertigt erschein«. Zugleich hört man hervorheben, daß von mehren Bau ten, die man bei Vorlage des Gesetzentwurfs besonders im Auge gehabt hat, gar keine genügend« Sicherstellung in Betreff der Einlösung ihrer Noten geboten ist. Die Art und Weise, in welcher von einigen Banke« diese Einlösung durch allerlei Mittel zu erschweren gestrebt wird, ist hier keineswegs uybekannt. Jedenfalls bleibt es zu bedauern, daß diejenige» deutschen Staaten, deren Bankwesen vollständig geordnet ist und eine be-