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Dienstag. Leipzig. Di«Z-iNmg erscheint mit Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittag« 4 Uhr aus« gegeben. Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Rr zoO. 23. DeeemVer 1853. Zu beziehen durch all« Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz I» für d-n Raum^cin-r Zeil- Deutschs Allgtmeiuc ZtitMg. Zur friedlichen Lösung der Neuenburger Frage. LVom Rhein, 17. Dec. Seit unserm Artikel „Zur Neuenburger Frage" (Nr. 230 233) haben wir uns darin nicht mehr vernehmen las- sin, sondern darauf beschränkt, den Gang der Dinge unausgesetzt im Auge zu behalten. Heute dürfen wir mit Genugthuung aussprechen, daß die da matt von uns entwickelten Ansichten sich als die richtigen bewährt haben, müffkn aber mit Bedauern beifügen, daß sie gerade in denjenigen Punkten, welche auf eine Ausgleichung abzielten, wenig Berücksichtigung fanden. Wir erblicken auf der einen Seite die Partei der Neuen Preußischen Zeitung, die, leidenschaftlich, einseitig, unklug, wie in allen Angelegenheiten, in die sie sich mischt, so auch in der neuenburger Frage, ihre Intentionen privilegialiter durchzusetzen sucht; auf der andern Seite die Partei des eidgenössischen Bun- deSrathS, die, an den nämlichen Mängeln leidend, mit einer traurigen Ver- hlendung gleichsam ganz Europa trotzen zu dürfen wähnt. Beide Parteien glauben selbst nicht vor dem Aeußcrsten zurückschrccken zu sollen und legen damit für ihr Berständniß der Zeit und ihre Gewissenhaftigkeit das aller- schlechteste Zeugniß abi Wir, die wir den Standpunkt der Unparteilichkeit und Unbefangenheit für uns in Anspruch nehmen, gehen von der Ucbcr- zeugung aus, daß bezüglich der Lösung der neuenburger Frage ein richtiges Urtheil nur dann möglich sei, wenn man zunächst die Rechtsfrage von der politischen Frage getrennt erwägt und erst dann die Ausgleichung in Be- tracht zieht. Die Erwägung der Rechtsfrage wird ergeben, einerseits, daß die Rechtsansprüche, wie sie die Krone Preußen durch die Verzichtleistung des Marschalls Bcrthier vom 3. Juni 1814 und durch den Art. 23 der Wiener-Eongreßacte erworben hat, weder durch den Beitritt von Neuen- bürg zum Schweizcrbund im Jahre 1815, noch durch den Beschluß der Tagsatzung vom 27. Dec. 1830, noch durch die Umwälzung im Jahre 1848, das königliche Patent vom 5. April 1848, die schweizerische Verfas- sungSreform von 1848 und die thatsächlichcn Verhältnisse seit 1848 alterirt oder beseitigt werden konnten, andererseits, daß der Putsch vom 3. Sept. 1856 eine strafbare Handlung war und dem eidgenössischen Strafrecht ver fallen mußte. Aus der Erwägung der politischen Frage aber wird resul- liren, daß die Schöpfung des Zwitterstaats im Jahre 1815 ein Unding, ein großer politischer Fehler war, daß dieser Verstoß gegen die Klugheit durch den Gegensatz noch fühlbarer wurde, in den eine in Neuenburg sich bildende Junkerpartei mit der schweizerischen Natur der Bevölkerung trat, daß die Umgestaltung im Jahre 1848 nur der Abschluß einer Entwickelung war, die schon mit dem Jahre 1815 begann und sich durch eine lange Reihe von Störungen und Wechselfällen hindurch immer weiter spann, daß selbst das königliche Patent diesen besonder» Verhältnissen einigermaßen Rech- nung trug, daß Preußen nicht rechtzeitig und entschieden genug seine Rechts ansprüche wahrte, und daß eine Wiedereinsetzung in die letztern nur eine viel mi-lichere Erneuerung des Fehlers von 1815 wäre und daß der ein zige richtige AuSweg in der unbedingten Einverleibung Neuenburgs mit der Schweiz zu finden ist. Am Schlüsse dieser Erwägungen kann nun die Ueberzeugung nicht fehlen, daß die Wahrheit in der Mitte liege. An diese Ueberzeugung muß sich aber nothwendigerweise die Absicht knüpfen, daß nur durch gegenseitige Nachgiebigkeit ein gleichzeitiger Austrag der Rechtsfrage und der politischen Frage und überhaupt eine Ausgleichung zwi schen Preußen und der Schweiz sich verwirklichen lasse. Von Seiten Preu ßens wurde dieser Lösung der neuenburger Frage dadurch ein Hinderniß in den Weg gelegt, daß von ihm der Satz ausgestellt ward, es sei der Putsch, als ein Factum der treuen Anhänger des legitimen Rechtszustandes in Neuen burg, nicht nach schweizerischem Strafrecht zu behandeln, und daß an die Schweiz die Aüsoderung erging, dieses Princip anzuerkcnncn. Von Seiten der Schweiz dagegen wurde die fragliche Lösung dadurch gehemmt, daß sie zu ihrer Vertheidigung nicht die politische, sondern die Rechtsfrage vorschob und damit einen ganz falschen Standpunkt umsomehr ein- nahm, als gerade in der Rechtsfrage nach der allgemeinen Meinung die Schwäche ihrer Sache lag. Soll anders eine friedliche Lösung zustande kommen, so ist vor allem nöthig, daß Preußen seine Foderung fallen lasse, die Schweiz aber von der Rechtsfrage Umgang nehme und die politische Frage in den Vordergrund stelle. Es bleibt dann nur noch zu erheben, mit was und wie die Ausgleichung zu geschehen habe. Preußen muß dringend wünschen, daß die angeklagten Royalisten amnestirt werden; die Schweiz hat ebenso dringend zu wünschen, daß Ihr Neuenburg für alle Zukunft ausschließlich gehöre. Die AUSglei- chung-mittel sind also darin gegeben, daß die Schweiz zu Gunsten von Preußen amnestirt und Preußen zu Gunsten der Schweiz auf Neuenburg verzichtet. In der Amnestie liegt die Anerkennung Dessen, daß die Um- Wälzung von 1848 und deren Sactionirung durch die Schweiz eine Ver- letzung der preußischen Rechtsansprüche war und daß deshalb auch der Putsch auf ungleich mildere Beurtheilung Anspruch hat; der Verzicht aber involvirt die Anerkennung, daß nur durch die unbedingte Vereinigung Neuenburgs mit der Schweiz eine folgenschwere und verhängnißvolle Poll, tische Abnormität gründlich zu heilen ist. Sind einmal die Ausgleichungsmittel verfügbar, so gehört blos gegen- seitige Aufrichtigkeit dazu, um sic in directer Unterhandlung oder durch Ver- Mittelung einer befreundeten Macht in Anwendung zu bringe» und damit die Ausgleichung selbst zu bewirken. Die nöthigen wechselseitigen Zusiche rungen werden sich als die nächsten Folgen solcher Aufrichtigkeit erweisen. Unter obigen Voraussetzungen kann es sich jetzt nur noch um die Frage handeln: wer zu dieser Lösung der neuenburger Frage die Initiative zu er greifen und den ersten Schritt zu thun habe? In Bezug zu dieser Frage tritt uns zunächst die Rechtsverletzung mit der Umwälzung von 1848, dann als Folge der Putsch vom 3. Sept. 1856 vor Augen. Begreiflich ist also, daß die Schweiz die Initiative zu nehmen und durch die Amnestie vor allem die Rechtsverletzung vom Jahre 1848 moralisch zu sühnen, damit aber Preußen eine Genugthuung zu geben hat, welche jede weitere Restitution überflüssig macht. Die Schweiz ist zu diesem ersten Schritt umsomehr verpflichtet, als sie es ist, die mit der definitiven Erwerbung von Neuen- bürg den besten und eigentlichen Gewinn zieht. Preußen seinerseits darf sich mit einer solchen Genugthuung begnügen und kann, indem es auf Neuen burg verzichtet, sich selbst die weitere und höhere Genugthuung geben, daß seine weise Mäßigung und staatskluge Auffassung ihm auf den Dank von Europa begründeten Anspruch erwarb. Wir bemerken noch, daß mit dem Urtel der Anklagekammer für die Amnestirung ein passender Moment des halb gekommen ist, weil in diesem Stadium deS StrafproceffeS das Be denken, als liege in der Amnestie eine Verzichtleistung auf Ausübung dcr Justizgewalt, umsoweniger mehr platzgreifen kann. *) D e «ick sch lachst Frankfurt a. M., 19. Der. Die gestern stattgehabte Sitzung der Bundesversammlung hatte eine sehr lange Dauer. Der preußische Bundestagsgesandte Hr. v. Bismark-Schönhausen machte in derselben, wie gestern schon vorläufig gemeldet, im Auftrage seiner Regierung eine aus führliche Miltheilung in Betreff der neuenburger Differenz. Dieselbe lautet, ebenso wie die Communication vom 8. Dec., welche Preußen an die Großmächte in Bezug auf den dermaligen Stand seiner Beziehungen zu öcr Schweiz hat gelangen lassen, sehr entschieden. Wie man versichert, wird darin die Erklärung abgegeben, daß sich Preußen jetzt, nachdem alle diplo matischen Bemühungen dcr Schweizerischen Eidgenossenschaft gegenüber ohne Erfolg geblieben seien, darauf angewiesen sehe, sein gute- Recht durch eigene Macht zur Geltung zu bringen. Specielle Anträge an den Bund wurden, wie verlautet, dieser Erklärung nicht angereiht. (Lpz. Z.) Preußen. -^Berlin, 21. Dec. Die Aussichten auf die Möglich keit einer friedlichen Ausgleichung über die neuenburger Fckag« schwin den immer mehr und mehr. Nach dem jetzt erfolgten Abbruch der diplo matischen Beziehungen zwischen Preußen und der Schweiz bstibt zwar al- lerdings noch das Resultat der Vorstellungen abzuwarten, welche die Groß mächte, sei cs collectiv oder einzeln, bei der schweizerischen- obersten Bun- desbchörde noch versuchen werden; allein die Hoffnungen, die man auf diese- Resultat früher etwa hegen zu düpsew glaubte, sind nunmehr als vorweg abgeschnitlcn zu betrachten durch die von der obersten Bundesbehörde getrof fenen Entschließungen, welche nur von der Absicht dictirt sM können, unter keinen Umständen nachzugeben und darum Preuß«, den äußersten Wider stand zu leisten. Wir beklag«, diese Wendung, deren Folgen schwer auf, die Schweiz fallen werden, aufrichtig. Auf eine Hülfe hat die Schweiz nicht zu rechnen, wol aber dürfte sie auch noch von mancher andern Seile mancherlei Beengung zu erfahren haben. Ob Frankreich, wenn auch die letzten Vorstellungen, die es noch zu machen gedenkt, ohne Erfolg bleiben,, seinen Gesandten aus der Schweiz abzuberufen gedenkt, wissen wir noch nicht; bestimmt scheint es dagegen, daß, sobald die ersten preußischen Sol daten sich in Bewegung setzen, auch ein französisches Armeccorps von bei läufig 40,000 Mann aufbrechen wird, um die Westgrenze der Schweiz zu besetzen. Von österreichischer Seite wird man, um den Zu- und Ab- zug revolutionärer Elemente nach und auS der Schweiz zu verhindern, kaum umhinkönnen, in Betreff der östlichen und südlichen Grenze Dasselbe zu thun. Ist bei alledem an «ine active Cooperation, die preußischerseits übri gens auch gar nicht gewünscht wird, auch nicht zu denken, so wird die Schweiz die beengende Rückwirkung dec betreffenden Maßregeln darum doch nicht weniger empfinden. Selbst durch Sardinien wird wegen deS freund schaftlichen Verhältnisses dieses Staats zu Preußen ein Zu- und Abzug *) Wenn auch seit dem 17- Dec-, an welchem Tage uns dieser Brief zuging, die Ver- haltnisse rasche» Schritts sich verwickelter gestaltet haben, erachten wir es doch für Pflicht und noch nicht für zu spät, denselben zum Abdruck zu bringen. D. Red.