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Donnerstag. —— Nr. 123. —— 2S. Mai 1856. Ee^zia. Di« Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr au«- gegeben. Preis für da« Bierteljahr 1'/, Thlr,; jede einzelne Nummer S Ngr. Deutsche Mgemeiue Zcituug. -Wahrheit und Recht, Freiheit und SeW» Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpeditivn in Leipzig (Querstraße Nr. 8). JnsertionSgebühr für den Raum einer Zette 2 Ngr. Locomotive, Telegraph und Tagespreise, m. Unwahrscheinlich ist eS nicht, daß es in der Zeit der stärksten Rück- zügelung und der Herrschaft eines beinah« fanatischen Anathema gegen jede geistige Regung der modernen Zeit gelungen sein würde, die Lebend^keit des nationalen Bewußtseins endlich wieder ganz zu vertilgen. In die Nähe dieses Ziels war man ja auch um die Zeit gelangt, als die Bundesexecu- tion in Kurhessen operkrte und di« Herzoathümer der dänischen Rachewillkür übexlgssen wurden. Aber in gewisser Art rettet« damals der dynastische Zwiespalt das nationale Bewußtsein. Indem die österreichische und die preußische Partei für ihr« Ansprüche und Plane plaidirten, war jede fort während genöthigt, an die nationalpolitische Einheitsidee zu appelliren. Allerdings wurde, weil dieser Ausdruck blos als Firma und Deckmantel von sehr bestimmten Sonderinteressen vorgeschoben war, der Gedanke und das Princip der Nationalität aufs ärgste verkrüppelt und verzerrt. Auch war damit durchaus nicht gehindert, solche Organe, welche Dem gegenüber die Reinheit des Begriffs und eine organische Fortbildung seiner Gestal tungen verfochten, mit dem polizeilichen ConflScationSrecht zu maßregeln und mit den excentrischsten Ausdeutungin der Preßgesetze mundtodt zu machen. Unterdessen waren jedoch die Eisenbahnnetze fortgesponnen, die Telegraphen- linien weiter gezogen worden. Beides zunächst freilich in manchem der bis- her zurückgebliebenen Staaten mit dem ausgesprochenen Zwecke raschester und zusammengreifendster Förderung der Restaurationsmaßregeln. In den soeben verflossenen Jahren hatte es aber als politische Pflicht gegolten, dem „Volke" die Benutzung der öffentlichen BerkehrSanstalten möglichst zu er leichtern; auch dir Restauration erkannte eine politische Klugheit darin, nach dieser Richtung nicht restringirend zu verfahren, damit das tief ernüchterte Publicum in seiner misgestimmten Apathie den politischen Gedanken nicht jvieder bebrüte, sondern sich den materiellen Interessen möglichst ausschließ lich zuwenbe. Auch war die Förderung der materiellen Interessen, die An- rcgung lebhaften Geschäftsverkehrs, die Beschäftigung der arbeitenden Elas- sen keine bloße politische Klugheit, sondern ebenso sehr eine dringende Noth- Wendigkeit. Allüberall war während der Bewegungsjahre der Verbrauch des StaatS ungeheuer gewachsen, während die Finanzen zurückgegangen waren; im Publicum hatte Verarmung und Erwerblosigkeit weite Kreise gezogen, bas Capital nicht roulirt. Der Hohn, womit man nun von man- chen Seiten in die niedergedrückten Massen hineinrief, jetzt müßten sie die Kosten ihrer Tollheit bezahlen, denn Revolutionen seien theuer, mochte klei nen und neuen Machthabern wo l eine innere SatiSfaction gewähren; aber er schlug keine Finanzquellen auS dem vertrockneten Boden. Nur Anregung der VolkSthätigkeit und Gelegenheit zu deren reger Entfaltung durch die Verkehrsmittel konnte außer den augenblicklichen Steuern dem zu restauri- renden Staate zuverlässig fließende Quellen erschaffen. Zugleich erledigte sich wol auch in den Kammern manche Finanzfoderung leichter, wenn man auf die Einnahmen von den Eisenbahnen sprach, auf die fort und fort eröffneten Strecken hinwies, Beispiele rascher Krisen beibrachte und bei etwaigen Fragen an den Ministertisch, welche Erkundigungen aus fernen Orten wünschenSwerth machten, rasch eine Depesche absandte und noch vor dem Schluffe der Sitzung die empfangene Antwort verlas. Golchen Anstößen folgte das Publicum gern. Eigentlich erst jetzt, in dem sich die Häuptmaschen des deutschen Bahnnetzes schlossen, wurde der Dampfwagen ein recht integrirender Theil seiner Geschäftsbewegung. An dere Interessen waren zurückgetreten, in der neuen Sorge um den Erwerb «oncentrirten sich alle Gedanken. Aber indem die „kleinen Leute" zu neuer Anknüpfung unterbrochener Verbindungen mehr als früher reisten, indem endlich auch die Ströme der Vergnügungsreisenden sich nach Jahren wieder in voll«« Fluten «»«breiteten, vermittelte sich auch immer mehr die — um uns so au-zudrücken — persönliche Bekanntschaft der Stämme und Länder Miteinander, welche nach ihrer wirren Anknüpfung im Parlament zu Frank- furt eigentlich nur durch die Nachrichten der Presse, wie eine verbotene Liebe, forterhalten worden war. Die Verschmelzung der materiellen In teressen war eS jetzt, waS den nationalen Gedanken im Bewußtsein erhielt, so wenig auch gerade jetzt die Presse für seine Belebung im höhern Sinne ^u thun vermochte. Denn eben im Zusammenhang« mit der restaurativen Politik^ welch« daö Publicum ausschließlich auf die materiellen Interessen .hinzudrängen suchte und in jedem Bedenken gegen die Unfehlbarkeit der neuen StaatSweisheit, in jedem Zweifel an der Vollkommenheit der neuen Zustande, in jeder Erinnerung an das „Jahr der Tollheit" neue „Nevo- lutionSgelüste", fortwährende „Umsturzplane" und überall das Gespenst der „europäischen Propaganda" erblickte — eben als Consequenz dieser äußer sten Reactionsflut war die Handhabung der Pr-ßpolizei über alle Maßen peinlich und die Existenz jedes selbständigen BlattS bei der geringsten Ver anlassung aufs äußerste bedroht. Wahllos stellte die erbitterte Bureaukra- tie alle Blätter, di« selbständig blieben, unter die Präsumtion, Quellen und Verbreiter staatsgefährlicher Lehren, Gegner der wiederhergestellten Ord- nung, Feinde der historischen StammeSeigenthümlichkeit und jeder Einzel souveränetät zu sein. Ja, es war noch mild, wenn man dir Presse in Bausch und Bogen (natürlich mit Ausnahme der subvenlionirten und in spirationsdurstigen Blätter) einer systematischen Opposition gegen alle Re gierungsmaßregeln, des Mangels an Achtung gegen die Autorität, der Ver breitung von Unzufriedenheit, der absichtlichen Lähmung aller gouvernemen- talen Energie beschuldigte. Zu derselben Ait und unter der Herrschaft solcher Stimmungen wurde aber der Beschluß zur Herstellung eines BundeSpreßgesetzes gefaßt. Unter solchen Eindrücken wurden die Vorberathungen der dafür einberufenen Fach- männer gepflogen. Mit solchen Voraussetzungen wurden die principiellen Grundlagen festgestellt! Didft Umstände bei seiner intellektuellen Erzeugung darf man nicht vergessen, wenn es nach vier Jahren, da es endlich als „Normen" geboren wurde, als eine nachhinkende und darum unter den ver änderten Verhältnissen weder berechtigte noch berufene „rettende That" er schien. Es fand eigentlich kaiün mehr etwas zu thun, als hier und da Cautionen zu erschaffen, die principielle Machtvollkommenheit principiell so zu erweitern, wie sie es praktisch schon überall war, und den Grundsatz auszusprechen, welcher ebenfalls bereits ausgeführt oder in der Ausführung begriffen war, nämlich, daß die Aburtheilung der Preßvergehm den Schwur gerichten zu entziehen sei. Die Presse war schon fast allenthalben aufs äußerste zusammcngedrückt und, wo sie cs nicht war, durch äußere Ein flüsse und die AeitströMung so eingeängstigt, daß sie sicherlich keine mora- lisch« NLthigung zu solchen Normen bot. Hätten die Eisenbahnen und Te legraphen nicht bestanden, so hätten die Zeitungen längst darauf verzichten müssen, anstatt mit den verpönten Erörterungen nationalpolitischer Anlie gen, durch ^sorgfältige Mitthellungen von den Vorgängen und Ereignissen in den verschiedensten Theilen unserS Vaterlandes die wirthschaftliche, so ciale und wissenschaftliche Bildung der Nation zu fördern, die geistigen Strömungen des Nordens und Südens, Westens und Ostens zu vermit teln und solchermaßen mittelbar die nationale Sache zu fördern. Denn bei langsamerer Beförderung der thatsächlichen Nachrichten würde sich dem Leser eines Blatts nicht das Nebeneinander der Tagesgrschichte gezeigt ha- den; die tägliche Zeitung hätte keinen nahezu synchronistischen Ueberblick über daS Vaterland geboten, welcher anstatt des rings bedrohten Leitartikels spre chen mußte, sondern einen wirren Notizenknäucl, in welchen nur mit Mühe einige rubricirende und chronikalische Zusammenordnung beS Zusammenge hörigen zu bringen gewesen wäre. Welcher Zeitungsleser hat aber dafür die Zeit, welcher das Tedächtniß dafür? Noch andere Elemente waren aber ungefähr gleichzeitig mit den Preß gesetzen direkt handelnd in die Presse eingetreken, welche den selbständigen und unabhängigen Zeitungen ihre Aufgabe überaus erschwerten. Rämlick einerseits die Herstellung einer direct gouvernementalen und also äußerst bc- günstigten Presse; andererseits Bildung einer nicht offen gouvernementalen, sondern erst allmälig in ihrem Wirken, noch schwerer in den ihr affiliirten Persönlichkeiten erkennbaren inspirirten und subvcntionirten Publicistit. Wäh rend die eigentlich gouvernementalen Blätter — mit einem amtlichen Theil und officiöser Bedeutung ihrer außeramtlichen Spalten — im Streite uni Deutschlands nationalpolitische Gestaltung sich ziemlich indifferent verhielten, bildete diese Publicistik um sie Gruppen von mehr oder minder ofsiciösen Organen, welche doch ihre ministeriellen Bezüge fortwährend in Abrede stellten. Die hier betheiligten Mitarbeiter, welche ihre Parolen und No- tizen meist unmittelbar aus den Cabineten, also rascher und häufig zuver lässiger als andere Berichterstatter erhielten, suchten natürlich auch in an- dere vielgelesene Blätter «inzudringcn. Wollten diese sich von den inspirir- ten Journalen nicht den Rang an Neuheit und Frische der Nachrich- tcn ablaufen lassen, so waren sie fast gezwungen, die sich neu und unbe- fangen bietenden Berichterstatter aufzunehmen. Entledigen konnten sie sich ihrer dann auch nicht, wenn sie das Tendenziöse ihrer Mittheilungen und die Abhängigkeit ihres Räsonnement« erkannten, weil ihnen dies den Makel „principieller Opposition" und seiner Consequenz«» zugczogen, eine Menge von verwendbarem Material aber entfremdet hätte. Gegen dir kleinern Blätter verfuhr man an manchen Stellen auch noch mit materiellen Mit teln, um sie zu einer gouvernementalen Haltung zu bringen. Entweder wurden sie mit polizeilichen Maßregelungen mürbe gemacht, oder man bc- drohte sie mit Entziehung der amtlichen Anzeigen, mit Vorcnthaltung gc- Wisser kleiner Begünstigungen rc. Den nicht gefügigen großen Zeitungen wurden aber allerlei Hindernisse bereitet, wurde selbst hier und da die Al ternative gestellt, entweder von der administrativen Strenge fortwährend verfolgt zu werden oder sich zur Aufnahme aller von einer bestimmten Stelle