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Mittwoch. Rr. 30t. 24. Dccember ISST. Aeipzib Dit Zeitung erscheint in» 'Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr aus- gegeben. Preis für das Bierteljahr lThlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Deutsche Allgeuieme Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zn beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Naum einer Zeile 2 Ngr. Die französisch-russische Allianz. — Leipzig, 23. Dec. Die gegenwärtig hervortretende merkwürdige Ver. schiebung und Kreuzung der Allianzen unter den verschiedenen europäischen Mächten, von welchen wir unlängst ein übersichtliches Bild zu entwerfen versuchten (Nr. 284), rückt die schon öfter aufgeworfene Frage nach den natürlichen Allianzen wieder in den Vordergrund. Wir wollen diese Frage einmal näher ins Auge fassen, für diesmal mit besonderer Rücksicht auf die französisch-russische Allianz. Man kann im Allgemeinen zwei Arten von Allianzen unterscheiden: defensive und offensive. ES werden Bündnisse unter den Staaten geschlos sen, zur gemeinsamen Vertheidigung gegen gemeinsame Gefahr, und es wer- den andere geschlossen zur gemeinsamen Erreichung gewisser Zwecke der Er oberung oder Machtvergrößerung. Das Bündniß der Westmächle gegen Rußland war vorzugsweise defensiver Natur; sie verbanden sich, um das durch Rußlands Vcrgrößerungspolitik bedrohte Gleichgewicht Europas und ihre eigene, dadurch bedingte Machtstellung zu vertheidigen. Die Annähe rung dagegen, welche gegenwärtig zwischen Frankreich und Rußland ent- weder schon zustande gekommen ist oder doch sich vorbereitet, hat wesentlich einen offensiven Charakter; denn cs iß nicht abzusehen, gegen die Ueber- griffe welcher dritten Macht Frankreich oder Rußland Schutz in einem sol- chen Bündniß -u suchen hätte, und cs kann also dabei nur auf andere Zwecke abgesehen sein, in denen gegenseitig sich zu fördern, mindestens nicht zu hindern, man sich wechselweise verbinden mag. Solche offensive, auf beiderseitige Vergrößerung oder Machterweitcrung berechnete Allianzen ruhen eigentlich immer auf einer künstlichen, niemals auf einer wirklich natürlichen Grundlage, sind daher auch selten recht zu- verlässig und aufrichtig, sondern in der Regel sogenannte Löwenbündniffe, bei denen ein Theil den andern zu übervoriheilcn sucht, oder jeder nur so- lange an dem Bündniß fcsthält, bis er seinen Zweck erreicht hat. So ging eS— um an Früheres zu erinnern — im Oesterreichischcn Erbfolgekriege, und das rettete damals die scheinbar mit völliger Zerstückelung bedrohte, öster reichische Monarchie. Das Bündniß der drei Monarchien gegen Friedrich den Großen war nur halb ein offensives; denn zum Theil entsprang cS wol (bei Oesterreich ganz entschieden) der instinctivcn Furcht vor dem Auf kommen einer neuen Macht und vor der davon zu erwartenden Verschie bung der gejammten europäischen Machtvcrhältnisse, Insbesondere auch vor der zu besorgenden Schwächung des auswärtigen Einflusses auf Deutsch land, in welchen sich bisher mit Oesterreich Frankreich und Rußland ge- thkilt hatten, und dem Wunsche, diese neue Macht gleich im Entstehen zu unterdrücken. Die nordische Tripleallianz, zuerst auf Anlaß der Theilung Polens entstanden, also zu offensivem Zwecke, würde, nach Erreichung dieses Zwecks, wahrscheinlich zerfallen oder gar, wozu schon der Anfang gemacht war, wegen der gemeinsamen Beute in Zwist gerathen sein, hätte nicht die von Frankreich drohende Gefahr das Bündniß in ein defensives verwandelt. Ein solches war im Grunde auch nur die Heilige Allianz, trotz ihres anscheinend offensiven Charakters; ihre gemeinsame Reaclion gegen die liberalen Ideen war doch nur eine Frucht der gemeinsamen Furcht vor die sen Ideen. Das berühmteste Offensivbündniß der neuesten Zeit, welches aber auch unsere oben ausgesprochene Ansicht von der Natur und Dauer derartiger Allianzen schlagend bestätigt, ist das Bündniß, welches Napoleon I. und Alexander I. schlossen, um Europa, wenn nicht förmlich unter sich zu theilen, doch unter ihre vereinte Macht und Herrschaft zu beugen. Wie dieses Bündniß, welches auf dem berühmten Monarchencongresse zu Erfurt durch das Gepränge persönlicher Sympathien und Schmeicheleien noch fester gekittet werden sollte, bald danach in einen Krieg auf Leben und Tod aus lief, ist bekannt. Das Seitenstück dazu, welches Nikolaus l. mit England aufführen wollte und in jenen vielberufenen vertraulichen Unterhandlungen mit Lord H. Seymour einzuleiten versuchte, scheiterte an der Voraussicht der englischen Staatsmänner, die sich über die Früchte einer solchen Offensiv- allianz mit Rußland weder täuschten noch täuschen ließen. Wenn überhaupt von einem Mehr oder Weniger natürlicher Grund lage in Bezug aus offensive Allianzen die Rede sein kann, so ist dies nur. insofern der. Fall, als die Berechnung des größern oder geringer« Vortheis, den eine Macht von einer solchen Verbindung mit einer andern zu ziehen hofft, je nach der Verschiedenheit der beiderseitigen Stellungen zueinander ein« verschiedene sein mag. Das verhältnißmäßig günstigste Facit wird sich hierbei da ergeben, wo zwei Mächte am wenigsten unmittelbare oder mittel- bare Berührungspunkte miteinander haben, dagegen den weitesten Spielraum nach entgegengesetzten Richtungen hin für die Erweiterung ihre« Gebiets, ihrer Macht oder ihres Einflusses finden. Au« diesem Gesichtspunkt ist allerdings eine Allianz von wenigstens einiger Dauer zwischen Rußland und Frankreich unter allen noch die wahrscheinlichste. Zunächst birgt dieselbe ein nicht gering»- gemeinsames Interesse defensiver Natur als bindendes Ele ment in sich: der französische wie der russische Absolutismus haben allen Grund, allen ihren politischen Systemen feindlichen Einflüssen, also insbe- sondere irgendwelcher von England ausgehender oder unterstützter liberalen Bewegung mit aller Macht entgcgenzutreten. Sodann sind die Punkte, wo sich das Machlgebiet der beiden großen Reiche berühren könnte, verhält- nißmäßig nur wenige. Rußlands Streben nach Einfluß oder wirklicher Ge- bietsvcrgrößerung geht, in der Richtung auf Europa, vorläufig Hauptfach, lich südwestlich und daneben vielleicht noch nordwestlich — gegen das Schwarze Meer und die Ostsee hin. diejenige Frankreichs wendet sich gegen Italien, Spanien oder Belgien hin. Hier ist ein Zusammenstoß noch lange nicht zu fürchten. Selbst der Schutz der Türkei gegen Rußland war für Frank- reich mehr eine Angelegenheit der Ehre als des praktischen politischen Inter esse, und gegen eine anderweit« Abfindung könnte sich Frankreich wol ge- neigt finden lassen, dem Bundesgenossen dort freie Hand zu geben. In den Einfluß über Deutschland, d. h. über die mittler« und kleinen Staaten des Bundes, würden die beiden großen Kaiserreiche sich zu theilen suchen, oder sie würden gemeinsam diese Entwickelung darauf richten, den etwaigen Wi-, verstand der beiden deutschen Großmächte gegen die Plane, welche Rußland gegen die Türkei und die Ostseestaaten, Frankreich gegen Italien oder Bel- gien in Ausführung zu bringen versuchen dürften, möglichst zu neutralisi- ren. Das Ende der beiderseitigen Freundschaften möchte dann eintrcten, wenn man von beiden Seiten her Mitteleuropa zum Schauplatz seiner aus schließlichen Herrschafts- oder Hegemonicbestrebungen zu machen unternähme; allein dieser Zeitpunkt könnte, da Napoleon III. nicht die Unersättlichkeit und Uebcrhast Napolcon's l. besitzt, noch ziemlich fern sein, und bis dahin könnte möglicherweise Europa viel von dem Bündniß der beiden größten Continentalstaaten zu leiden haben — wenn nicht etwa früher schon irgend welche unvorgesehene Zwischenfälle (an die zum Glück selbst die gewiegtesten StaatSweisen nie denken) dasselbe auflösten. Man hat wol gesagt: ein Bündniß mit Rußland sei in Frankreich zu unpopulär, als daß Napoleon es wagen könnte, sich auf ein solches einzu- lassen. Wir gebe» darauf nicht viel. Wenn etwas unpopulär, so war eS die vntents vorcstgle mit England unter Ludwig Philipp — und doch er freute sich sogar die förmliche Allianz mit demselben Staate neuerlich der lebhaftesten Gunst der öffentlichen Meinung in Frankreich — warum? weil Frankreich diesmal dabei eine glänzende, gebietende Rolle spielte. Eine Al lianz mit Rußland wird in Frankreich populär sein, sobald sie der Nation Ruhm, Einfluß, Macht, Tcrritorialzuwachs oder auch nur das Prestige der geschmeichelten Eitelkeit einträgt, und dafür wird schon das gegenwärtige Regime sorgen! Das innere politische System — immer ein wichtiger Fac tor bei politischen Allianzen — ist nahezu in beiden Staaten dasselbe, ja selbst in geselliger Hinsicht steht der Franzose dem Russen, der Romane dem Slawen viel näher als dem Germanen, dem Engländer. Weder Frank reich noch Rußland sind durch Anwandlungen princixicllrr Politik in ihrem Gcbahrcn nach außen bedingt oder genirt: mit Rußland im Bunde wird Frankreich nicht in die Lage kommen, seinem Bundesgenossen zuliebe li berale Sympathien affectiren oder anderwärts gegen ein System auftreten zu müssen, das seinem eigenen nur zu sehr ähnlich sieht. Wenn etwas Napoleon III. noch zaghaft machen kann, in die von Rußland dargcbotene Hand cinzuschlagen, so sind cs gewiß geschichtliche Er innerungen von fataler Bedeutung. Im Jahre 1829 unterhandelten die Bourbonen im Geheimen ein Bündniß mit Rußland, und 1830 mußten sie Frankreich den Rücken kehren; 1847 opferte Ludwig Philipp die «n- lentv eviclislo mit England dec spanischen Heirath seines Sohnes, und 1848 sah er sich genöihigt, die Gastfreundschaft Englands anzusprechen. Wir wissen nicht, was Ludwig Napoleon von solchen Erinnerungen hält. Detttfchla«-. Frankfurt a. M., 21. Dec. In der Bundestagssitzung vom 18. Dec. zeigten die Gesandten von Oesterreich, Baiern und Baden an, daß die im Vollzüge deS Bundesbeschlusses vom k. Nov. namens des Deut- sehen Bundes bei den eidgenössischen Behörden bezüglich der Neuenburger Angelegenheit gemachten Schritte von dem gewünschten Erfolge nicht begleitet worden seien. Nachdem nämlich der schweizerische Bundesralh dem königlich preußischen Gesandten in Bern hatte eröffnen lassen, wie er in daS ihm wegen bedingungsloser und vorgängiger Freilassung der Neuenbur ger Gefangenen kundgegebene Begehren deS Königs von Preußen nicht ein- zugehen vermöge, im Uebrigcn aber jederzeit bereit sei, in Verhandlungen wegen friedlicher Lösung deS ncuenburger Conflicts einzutretcn, theilte der schweizerisch« Bundespräsident Solches den übrigen zu Bern anwesenden di plomatischen Agenten deutscher Bundesstaaten mit und äußerte dabei weiter, daß hiernach der Bundesralh auch der von Seiten d«s Deutschen Bundes der Foderung Preußens zuthtil gewordenen Unterstützung keine Folge zu ge-