Volltext Seite (XML)
DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 18. April 1975, 20.00 Uhr Sonnabend, den 19. April 1975, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Wassili Sinaiski, Sowjetunion Solistin: Marisa Tanzini, Italien, Klavier Boris Tistschenko Sinfonie robusta op. 46 geb. 1939 Allegro moderato DDR-Erstaufführung Felix Mendelssohn Bartholdy Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 g-Moll op.25 1809—1847 Molto allegro con fuoco Andante Presto — Molto allegro e vivace Hector Berlioz 1803-1869 PAUSE Phantastische Sinfonie op. 14 Largo — Allegro agitato e appassionata assai (Träumereien, Leidenschaften) Valse — Allegro non troppo (Ein Ball) Adagio (Szene auf dem Lande) Allegretto non troppo (Der Gang zum Richtplatz) Larghetto — Allegro (Beim Hexensabbat) MARISA TANZINI studierte am Kon servatorium „Vincenzo Bellini" ihrer Heimatstadt Palermo Klavier und Kom position und legte 1957 das Staats examen mit Auszeichnung ab. Mehrmals nahm sie nach ihrem Examen am Beet hoven-Meisterkurs Wilhelm Kempffs in Positano teil. 1958 wurde die Künstlerin mit dem Preis der Accademia Musicale Napoletana im Wettbewerb junger Künst'er ausgezeichnet. 1960 errang sie den 2. Preis des italienischen Pianisten- Wettbewerbes in Florenz. Im Rahmen des Kulturaustausches zwischen Italien und der Sowjetunion wurde ihr Gele genheit gegeben, ihre Ausbildung am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium als Schülerin von I. I. Milstein zu vervollkommnen. Konzertreisen führten Marisa Tanzini, die seit 1967 eine Professur am Konservatorium in Palermo innehat, u. a. in die Sowjetunion, nach Spanien, Österreich, Belgien, in die BRD. Schallplattenfirmen, Fernseh- und Rundfunkstationen verpflichteten die Pianistin zu Auf ¬ nahmen WASSILI SlNAlSKl wurde im Jahre 1947 geboren. Er studierte am Leningrader Konservatorium Klavier, Dirigieren (bei Prof. Ilja Musin) sowie Musikwissenschaft und legte 1970 sein Examen ab. Von 1971 bis 1974 wirkte er als Dirigent des Sinfonischen Orchesters der Philharmonie Nowosibirsk. Seitdem ist er ais Assistent von Kyrill Kondraschin bei der Moskauer Philharmonie tätig. Einen großen künstlerischen Erfolg errang der junge sowjetische Dirigent 1973 mit dem 1. Preis im Karajan-Wettbewerb in Westberlin. 1974 nahm er erfolgreich am „Interpodium 1974" in Bratislava teil, dem internationalen Festival für Nachwuchskünstler. Zum ersten Mal weilt der Künstler jetzt in der DDR. ZUR EINFÜHRUNG Boris Iwanowitsch Tistschenko wurde 1939 in Leningrad geboren. Seine musikalische Ausbildung absolvierte er 1965 (nach dreijähriger Aspirantur bei Dmitri Schostakowitsch) am Rimski-Korsakow-Konservatorium seiner Heimat stadt, wo er nunmehr selbst unterrichtet. Mit seinen Arbeiten, darunter drei Sinfonien, fünf Instrumentalkonzerte, sieben Sonaten, drei Streichquartette, Musiktheaterwerke für Kinder, das Ballett „Die Zwölf" nach Alexander Blök, ein Requiem auf Worte Anna Achmatowas, Vokalzyklen sowie Musik für Theater und Film, hat Tistschenko prägenden Anteil an der gegenwärtigen Musik entwicklung in der Sowjetunion. Zwischen der dritten Sinfonie von 1966 und dem 1973 in Kiew uraufgeführten Konzert für Flöte, Klavier und Streichorchester entstand 1970 die einsätzige Sinfonia robusta op. 46, ein Werk, das sich in das bisherige Schaffen Tistschenko vor allem durch seine eigenwillige Orientierung an alten volkstüm lichen Musiziertraditionen einordnen läßt und vom freien Umgang des Komponi sten mit solchem Material zeugt. („Das, was die Folklore für mich so anziehend macht und zum Nachdenken zwingt, ist die Natürlichkeit der musikalischen Äuße rung. Natürlichkeit in dem Sinne, daß unser temperiertes System nicht anpas sungsfähig ist und eigentlich nur ein Schema darstellt im Unterschied zur leben digen musikalischen Äußerung . . . Auf einige meiner Werke hat die Folklore un mittelbaren Einfluß ausgeübt.") Schon der Titel „Sinfonia robusta" verrät etwas über den Charakter der Komposition, die formal an das einsätzige Orchester stück der Vorklassik anknüpft: Es ist die kraftvolle Natürlichkeit und Erhabenheit jener Klangwelt, wie sie den Hornorchestern aus der Zeit Peters I. nachge rühmt wird, und wie sie uns aus den gewaltigen Gesängen russischer Volks chöre — von Mussorgski, Prokofjew, Schostakowitsch oder Swiridow oft ins Sinfonische transponiert — bekannt ist. Zuweilen spartanisch anmutende Melodik, Intensität der Bewegung, herbes, mitunter überraschend eingesetztes Instrumentalkolorit geben der „Sinfonia robusta" das Gepräge. Gleich die signalartige Einleitung dieses Werkes, ein aus unisoner Tonrepetition von sechs Hörnern entwickeltes Thema, das vom gesamten Orchester aufgegriffen und verarbeitet wird, führt uns in die archaisch wirkende Klangsphäre, deren statischer Eindruck erst durch das plastisch um- rissene zweite Thema der Klarinetten abgelöst wird. In dicht überlagerter moti vischer Verarbeitung erscheint das Seitenthema in der Posaune, und gleich einer Durchführung bringen Holzbläser, Xylophon, Streicher und farbig be setztes Schlagwerk die zunehmende Verflechtung des thematischen Materials. Sie führt — angetrieben von schrillen Trillerfiguren zweier Piccoloflöten (verbun den mit einer Variante des ersten Themas in den Hörnern, lebhafter Bewegung der rhythmisch nur teilweise fixierten Bläserskalen und brisanten Streicherfigu ren) — zur Reprise beider Themen, die mit apotheosem Gestus das Werk be schließen. Mit den Streichquartetten a-Moll (op. 13) aus dem Jahre 1827 und Es-Dur (op. 12) von 1828 begann Felix Mendelssohn Bartholdys zweite Schaffensperiode, zu deren Meisterwerken die Ouvertüren „Meeresstille und glückliche Fahrt", „Die Hebriden" und „Das Märchen von der schönen Melu sine", die „Italienische Sinfonie", die Kantate „Die erste Walpurgisnacht" und unter verschiedenen Klavierwerken („Lieder ohne Worte") besonders das Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25 gehören. Dieses Konzert, das unter Mendelssohns Werken für Klavier und Orchester an erster Stelle steht, verdient einer ungerechtfertigten Vergessenheit entrissen zu werden. 1831/32 entstanden, hebt sich das frische, brillante Klavierkonzert g-Moll mit seiner einfachen, klaren Gedankenwelt vorteilhaft ab von der Flut äußerlicher Virtuo senkonzerte der damaligen Zeit. Klassische Einflüsse, besonders Beethovens,