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Sonntag. ÄeiHzty Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittag- 4 Uhr aus. gegeben. Preis für da-, Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Nr 222. —' 21' September I8S6. Deutsche Allgmtim Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des IN- und Auslandes, sowie durch die Erpcdition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgrbühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Neapel und das Prineip der Richtintervention. — Leipzig, 2V. Sept. Auch die zweite neapolitanische Note, welche be. stimmt war, den Eindruck der ersten zu verwischen, scheint diesen ihren Zweck nicht erfüllt und wenigstens in England die Absicht, entscheidendere Schritte gegen Neapel zu thun, nicht beseitigt zu haben. Die Times spricht sich in ihrer gewöhnlichen unumwundenen und derben Sprache dahin aus, daß auch dieser zweiten Note das Einzige fehle, was die westlichen Cabincte befriedigen und mit Neapel hätte auSsöhnen können, nämlich die bestimmte Zusicherung von Modifikationen des gegenwärtigen dortigen Regierungs- systems. Sie untersucht sodann, was die Westmächte nunmehr zu thun hätten, und kommt dabei zu der allerdings etwas lahmen Schlußfolgerung: Krieg könnten die Westmächte mit dem König von Neapel deshalb, weil er im Innern nicht so, wie sio eS für Recht hielten, regiere, nicht wohl anfangen, aber sie würden die diplomatischen Beziehungen zu ihm abbrechcn, und ferner, um die in Neapel und Sicilien befindlichen englischen und fran- zösischen Unterthancn bei möglichen Wechselfällen zu schützen, eine Anzahl Kriegsschiffe in die dortigen Gewässer senden. Uns scheint, wie gesagt, diese Art von Politik weder recht offen noch recht männlich. Hatte man ein Recht, dem König von Neapel Vorstellungen hinsichtlich der Einrichtung sei- neS innern Regiments zu machen, und zwar mit dem Anspruch, daß er diese Vorstellungen beachten müsse und daß man ihre Nichtbeachtung als eine Beleidigung aufnehmen werde, so mußte man sich auch das Recht bei- legen, den Zweck dieser Vorstellungen nöthigenfalls mit Gewalt durchzu- setzen. Glaubte man dagegen, dieses letztere Recht nicht zu haben, so durfte man auch jene Vorstellungen nicht in dem drohenden Tone erlassen, wie man gethan hat. Wenn England die Politik befolgt, welche die Times ihm vorzeichnet, so wird eS nur wieder Dasselbe thun, was es schon öfter gethan und was man mit Recht dem dermaligen Leiter des englischen Ca- binetS zum Vorwurf gemacht hat: es wird die Bevölkerung Neapels durch eine in Aussicht gestellte Unterstützung oder eine fortgesetzte drohende Hal tung gegen die dortige Regierung zu einer Erhebung provociren, um sie — möglicherweise hinterher im Stich zu lassen. Man hat zur Vertheidigung der-Einmischung Englands und Frank reichs in die innern Angelegenheiten Neapels sich auf die Analogie der beim letzten Pariser Frieden an Rußland gestellten und von diesem anfänglich zwar als einen „Eingriffin seine Souveränetätsrechte" zurückgewiesencn, spä ter aber doch zugestandenen Federung — Preisgebung gewisser fester Punkte auf seinem eigenen Gebiet — berufen. Aber dieser Vergleich scheint uns nicht zutreffend. Rußlands Seefestungen und seine Flotte im Schwarzen Meere waren ein« offene Drohung gegen einen Nachbarstaat. Dasselbe kann man von der inner« Politik Neapels höchstens nur sehr uneigentlich und mittel bar sagen. Weit schlagender dagegen ist eine andere Analogie aus dem orientalischen Kriege, di« zu Günsten des Königs von Neapel spricht und die Vieser auch nicht verfehlt hat, in seiner ersten Note gegen die Anmu- thungen der Westmächte geltend zu machen Weshalb traten dir Westmächte damals gegen Rußland auf? Weil Rußland von der türkischen Regierung gewiss! Zugeständnisse zu Gunsten der angeblich in ihren Rechten gekränkten Unterthanen dieser letzter» foderte; weil es di« Ablehnung dieser Foderung als ein« Beleidigung aufnahm und durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen erwiderte, und weil eS endlich di« Durchsetzung seine« Verlan gens mit gewaffneter Hand zu erzwingen suchte. In der That beweist das gegenwärtige Vorgehrn der Westmächte ge gen Ntaptl wilder recht augenfällig, wie weit unsere gegenwärtige interna- tionakv Politik, trotz aller Deduktionen der Bölkerrechtslehrrr, von Hugo Grvtius an bis herab auf Wheaton, noch entfernt von einem konsequenten Handeln nach, feststehenden und allgemein gültigen RechtSyrundsätzen, wie sehr sie-noch immer «ine Sache der bloßen Cbnvenienz und der wechselnden Rücksichten auf Nützlichkeitszwecke einerseits, auf Machtverhältnisse anderer- seit- ist: Denn auch KÄtrig Ferdinand von Neapel — wie scheinbar immer sein« Vertheidigung des PeinripS der Nichtintervention und seine Berufung auf die-Unantastbarkeit der Selbständigkeit jedes einzelnen Staats in Bezug auf- die Regelung der innern Angelegenheiten ist, sollt« dennoch nicht vcr- zessin/ daß sein Vorfahr mit Hülfe einer, anfänglich ihm aufgedrungenen, spätrr von ihm selbst angenommenen Intervention die kurz vorher erst be» schworen« Missaffüng seine- Landes wieder »mwarft Wenn man das jetzige Versaht«« Frankreichs und Englands (welche- vom Standpunkt des allge- m«inen Grundsatzes der Selbstbestimmung aller Einzelstaaten schwerlich gut- zuhtißcn ist) gleichwol nicht voreilig vrruriheilcn will, so muß man sich erinnern, welche Geltung diese- Püncip der Nichtintcrvention thatfächlich nur alltin seit dem Congreß von Wien zu verschiedenen Zeiten gehabt hat. Dir Heilige Allianz nahm sich heraus, in Neapel, Piemont, Spanien das absolute Regiment mit Waffengewalt wiederherzustellen und selbst da, wo/ wie in-Neapel, anfänglich Fürst und Volk über Beibrhaltüng einer andern RegierungSform einverstanden waren, gleichwol, kraft ihres sich selbst bei- gelegten schiedsrichterlichen Amt-, im Namen des monarchischen PrimftS und der, durch dessen Beschränkung angeblich gefährdeten Ruhe Europas mit Drohungen und Einflüssen aller Art solange auf den fürstlichen Willen zu wirken, bis dieser sich mit einer Intervention zu Gunsten der gewalt samen Aufhebung der Verfassung einverstanden erklärte. Und fand nicht etwas Aehnliches noch ganz vor kurzem in einen, andern Theil Italiens statt, wo die mildern und liberaler« Absichten der eigenen Regierung d,S Landes gewaltsam an ihrer Ausführung verhindert wurden durch den Befehlshaber fremder JntcrventionStruppen? Wenn denn also einmal der Grundsatz der Nichtintervention in unserer gegenwärtigen europäischen Politik nicht rein und ganz zur Anwendung kommen soll, so darf man cs immerhin als einen Fortschritt betrachten, daß die Abweichungen von demselben nicht mehr blos nach einer Seite, sondern auch nach den andern hin stattfinden. Auf diese Weise wird man vielleicht noch am ersten zu der rechten Mitte, d. h. zu einer strengen grundsätzlichen Behandlung dieser Frage zurückkommen. Zu wünschen wäre nur, daß die Vertreter der Jntervcntionspolitik zu Gunsten der Rechte der Völker denselben Muth des offenen und entschiedenen Han delns zeigten wie die der Gegenseite. Keutschka«-. L Vom Main, 18. Sept. Wer bisher beharrlich an dem patriotischen Gedanken festhielt, daß eine den Anfoderungcn der Zeit entsprechende Re form der deutschen Bundesverfassung ein dringendes Bedürfniß sei, der konnte sich mit vollem Recht auf das Zeugniß der dänisch-deutschen An gelegenheit berufen. Die neuenburgisch-preußische Angelegenheit liefert ihm jetzt einen zweiten Zeugen. In jenen Regionen, von wo aus alle Aeußc- rungen jenes Gedankens rücksichtlos zurückgewiesen und bekämpft zu wer den pflegen, mag man nunmehr vielleicht selbst auf den nämlichen Gedan ken, wenn vorerst auch nur in Gedanken zurückkvmmcn. Wir würden cs als eine erfreuliche Wendung begrüßen, wenn unsere freilich nur leise Ver- muthung begründet wäre. Es ist eine beachtenswerthe Erscheinung, daß und wie die zweite Angelegenheit mit der ersten in Verbindung steht. Um nämlich zu beweisen, daß das Recht Preußens auf Neuenburg noch immer in voller Kraft fortbestehe, bezieht man sich auch auf das Londoner Proto- koll vom 24. Mai 1852, welches bei der Feststellung der dänischen Erb- folge jenes Recht, als auf den Verträgen von 1815 beruhend, ausdrücklich anerkannte. Wer möchte in Abrede stellen, daß in diesem Zusammenhang« nicht bloS etwas Eigenthümlichcs, sondern auch etwas Erstaunliches und Bedeutungsschweres liege? In der That tritt jetzt die dänisch-deutsche Angelegenheit mit ernster Mahnung vor ganz Deutschland, vor seine Für sten und seine Völker hin. Wie kann man, abgesehen davon, daß das Fürstenthum Neuenbmg nicht zum Deutschen Bunde gehört, Preußen, Deutschland» Oesterreich gegen die Schweiz in die Waffen rufen, wenn man diese- Mitteleuropa nicht zugleich gegen Dänemark aufbictet? Oder wer kann verlangen, daß man die Schweiz zur Rechenschaft ziehe, ehe und be vor die Abrechnung mit Dänemark bewirkt ist? So sehr wir iNdtssbn wün- schen, daß der Deutsche Bernd baldigst vollen Ernst gegen Dänemark zeige, ebenso« unverhohlen bekenn«« wir uns hinsichtlich der Schweiz zuvörderst -u friedlicher« Ansicht und lassen uns darin nicht von den heftigen Ausbrüchen gereizter und erbitterter Gemüther, oder von den kriegerischen Gesinnungen einer Partei' beirre«, welcher es weniger um da« Recht Preußens als darum zu- thun ists ein« Jn««rvrntt'on in der Schweiz- zur RtstaurirUng der allen Zustände zu benutzen, einer Partei- die in ihren vordersten Reihen „Schwei zer im Ausland«" zählt. Wenn wir einerseits das unbestreitbare Recht Preußens, die revolutionäre That des 1. März 1848 und das ungrrccht- fertigte Gehenlassen der Tagsatzung, andererseits das achtjährige Zusehen der preußische« Regierung und die gesetzwidrige That d«S 3. Sept. 1856 in Betrachtung ziehen, so finden wir Fuctoren genug, um Preußen- nnd die Eid- genosscnschaft einstweilen auf den Weg der Unterhandlung«« zu verweisen. Bedenkcn wir dabei, daß eigentlich nur eine einzige Schlichtung-weise der Sache Anspruch auf bestiedigende und dauernde Erledigung hak, die «öm«- lich, daß Neuenburg entweder ganz preußisch oder gnNz eidgenössisch wird, erwägen wir zugleich, daß der Besitz von Neuenburg bisher nur mit Un- annehmlichkeib, Verdruß und Gehässigkeit für Preußen verbunden war; so finden wir das beste Auskunftsmittel immer nur wieder darin, daß Preu ße« auf sein Recht gegen geeignete Entschädigung und die Zusicherung ver zichte, daß den Putschern Amnestie oder Begnadigung zutheil und daß auch sonst nichts Ungrhkrigc« ausgrführt werde. Preußen ^Berlin, 10- Sept. Zwei Krähen hacken einander bekanntlich die Augen nicht aus, und darum war ein Streit zwischen der Krcuzzeitung und dem brüsselcr Nord wol das Letzte, was man hätte erwarten sollen. Indessen der Streit ist einmal da, und eS berührt