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Rr. 217 1«. September 188« Dienstag. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer S Ngr. Jnsertionsgebübr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter des Zn- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). LsiPHig. Die Zeitung > d- Dklitschc Mgmnm Ztitlilijs De«tschra«b. Preußen. ^V-Berlin, 14. Sept. Wäre das verfassungswidrige Handeln des Hrn. v. Scheele von dem Oberappellationsgericht zu Kiel verurtheilt worden, so hätte die Absetzung dieses Ministers und eine ent sprechende Revision seiner in Bezug auf Holstein erlassenen Verordnungen erfolgen mchffen und die deutschen Mächte hätten dann eines weitern Ver folgens der holsteinischen Sache leicht überhoben sein können. Grund genug also, daß die deutschen Negierungen den Proceß der holsteinischen Stände gegen Hrn. v. Scheele mit dem lebhaftesten Interesse verfolgen mußten. Das Gericht hat Hrn. v. Scheele indessen nicht verurtheilt, sondern im Ge gentheil sich so gehalten, daß Hr. ».Scheele sich mit dem grthanenSpruch nur durchaus befriedigt fühlen kann. Was bedeutet dieser Spruch? Er be deutet, Alles in Allem genommen, kurz: 1) daß Hr. v. Scheele für alle BerfaffungSverletzungen straflos bleibt, 2) daß ihm für etwa noch zu be liebende weitere BerfassungSyerlehungen gewissermaßen schon im voraus ein Patent ausgestellt wird. Das Preußische Wochenblatt spricht sich über diese Angelegenheeit folgendermaßen aus: „Gewiß ist nach dem Geschehenen Eins: «S gilbt kein Recht, keinen Schutz mehr für das Recht Holsteins gegen die Herrschaft der Dänen und die Willkür des Ministers in Kopenhagen. In den allgemeinen Angelegenheiten sind die Holsteiner eine recht- und willen lose Minorität, ist das Land den Decenten des dänischen Gesammtministe- inum» und der dänischen Majorität des Reichstags preisgegeben; was ihre besondere Verwaltung und Gesetzgebung aber anlangt, so Ist nun klar, daß der Minister es völlig in seiner Hand hat, den ganzen bestehenden gesetz- lichen Zustand auf dem Wege der Verordnung nach Belieben umzustoßen und zu verändern. Das ist, waS Allen im weiten deutschen Vaterland der Spruch deS kielrr Gerichtshofs verkündet." Unter solchen Umständen, über Heren Tragweite und Bedeutung zwischen den deutschen Regierungen un möglich noch ein Zweifel obwalten kann, hat die erwartete Ankunft deö dä- mischen Bundestagsgesandten, des Hrn. v. Bülow, schon im voraus alle die Aussichten verloren, welche leichtgläubige Politiker an dieselbe etwa noch knüpfen zu dürfen glaubten. Hr. v. Bülow hat den Auftrag, den deutschen Regierungen Explikationen zu geben und nach Möglichkeit zu be gütigen zu suchen, um einer Behandlung der holsteinischen Sache am Bun- deStage vorzubeugen. .Man wird Hrn. v. Bülow ruhig anhören; es ist indessen wol nicht nothwendig, noch besonders hervorzuheben, daß, den vor liegenden Thatsachen gegenüber, die auf eine vollständige Vernichtung der Rechte Holsteins und Deutschlands hinauslaufen, alle dänischen Phrasen überflüssig sein müssen. Die deutschen Mächte haben, dem nie ruhenden Aebrrmuth« Dänemarks gegenüber, Geduld genug gehabt, und wenn die Bun- destagSferien nun vorübergehen, ohne daß inzwischen ein entsprechendes Ar rangement zustande kommt, so ist das eben Dänemarks Sache. Wir halten es unter diesen Verhältnissen für «inen bedeutenden Gewinn im Interesse «dieser für Deutschland so wichtigen nationalen Frage, daß ein deutscher Mi nister in der letzten Zeit persönlich im Holsteinischen verweilt und so Gele- genheit gehabt hat, das Maß der Bedrückung und Unterdrückung, welches in Holstein auSgeübt wird, durch eigene Anschauung besser kennen zu ler nt», als es sonst aus allen Berichten und Zeitungsartikeln der Welt ken- nen gelernt werden kann. — Die Analyse, welche der brüsseler Nord über die vom Fürsten Gortschakow nach London gerichteten Antworten gibt <Rr. 211), ist für die Politik, weiche Rußland auch nach wiederhergestell- tem Frieden befolgen zu wollen scheint, uni so charakteristischer, als doch eben nicht anzunehmen ist, daß das genannte russische Blatt bei der Ab fassung dieser Analyse mit einer antirussischen Tendenz zuwerke gegangen wäre. Rußland prahlt damit, daß eS die übernommenen Verpflichtungen „buchstäblich" erfülle. Aber in dem „Buchstäblichen" liegt die Schlauheit ja eben. Es ist in dem FriedenSact allerdings mit keinem Wort ausdrück lich-gesagt, daß Rußland die Schlangeninsel abzutreien habe, jedoch eben nur darum nicht, weil diese Abtretung, mit Rücksicht auf die übrigen Be dingungen deS Friedenstractats, sich so von selbst versteht, daß es in dieser Beziehung einer besonder» wörtlichen Anführung gar nicht bedurft hat. Diese Auffassung möchte Rußland nun ausbeuten und eS hält darum am „Buchstäbliche«". Ob auch der ganze Sinn des KriedenSacts dadurch über den Haufen geworfen werde, das (Hut natürlich nichts. Ein solches „buch- stMicheS" Zuwerkegehen ist das gerade Gegentheil von Dem, waS man sonst eine buchstäbliche Erfüllung übernommener Verpflichtungen zu nennen pflegt. Und eS ist doch, dem Allen gegenüber, höchst sonderbar, daß Ruß land, indem eS — wie es jetzt den Anschein hat — gegen die Abtretung der Schlangeninstl keine besondere Opposition mthr macht, dadurch einge- steht, daß feiste frühere Buchstabeninterpretation eine falsche und an den Haaren hrrbtigezygene gewesen. Was die'Räumung von KarS betrifft, so wäre dieselbe, wie Fürst Gortschakow hervorhebt, so rasch und „verbindlich" erfolgt, daß selbst konstantinoprler Blätter dies anerkannt hätten. Wir sehen ! uns vergebens nach einem Merkmale um, welches in der betreffenden Räu mung als ein Zeichen der „Verbindlichkeit" betrachtet werden könnte. Lag das „Verbindliche" etwa darin, daß die Russen — wozu im Friedcnsacte auch nicht die allerentfernteste Erlaubniß gegeben war — vor ihrem Abzüge die Festungswerke in die Luft gesprengt haben? Die Kreuzzeitung bemerkte zu dieser Note, daß sie zeige, daß Rußland sich nicht auf die Zehen treten lasse. Wir erblicken in dem Aktenstück etwas ganz Anderes, nämlich den Beweis dafür, daß Rußland cs auch jetzt noch nicht verlernt hat, Andern auf die Zehen zu treten. Der vorliegende Fall hat übrigens das Gute, daß man sich in England die geeignete Nutzanwendung davon nicht entgehen lassen dürft«. — Gestern stand der Redacteur der «Zeit» vor Gericht we gen eines Artikels: „Die bischöflichen Conferenzen in Wien und die Be- dürfnisse unserer Zeit", in welchem unter Andern, auch auf die moralischen Schäden des Cölibats hingewiesen war. Auf das hierüber Gesagte grün dete sich die Anklage. Der Nedacteur der «Zeit» erklärte, daß der frag- liche Artikel ihm aus Oesterreich selbst eingesandt worden wäre, daß er in- dessen den Einsender nicht nennen und die Verantwortlichkeit selbst über nehmen wolle. Bei der Vertheidigung wurde unter Anderm auch auf ein Werk des katholischen Professors vr. Theiner in Breslau hingewiesen, in welchem über die betreffenden Folgen deS Cölibats ungefähr Dasselbe ge sagt sei. Es konnte das indessen nichts helfen, und wurde der Redacteur der «Zeit» schließlich zu 25 Thlrn. Geldbuße oder zu 14 Tagen Gefäng- niß verurtheilt. — Heute feiert Alexander v. Humboldt seinen 87. Ge burtstag. Möge der Himmel uns den »heuern Mann noch lange in der ganzen Rüstigkeit erhalten, deren er sich zur Freude seiner Verehrer noch immer erfreut! — Die Berliner Börsen-Zeitung schreibt: „Außer den diesseitigen Ge sandten an den Höfen zu Paris und London, Grafen Hatzfeld und Bern storff, welche den hier bekanntlich am 20. Sept, bevorstehenden Vermäh- lungsfeierlichkeiten beiwohnen werden, wird auch der diesseitige Gesandte bei der schweizer Eidgenossenschaft, Hr. v Sydow, hier eintreffen. Es han delt sich dabei zugleich um eine Berathung des Ministerpräsidenten mit den gedachten diplomatischen Vertretern, deren Gegenstand die Neuenburger Angelegenheit betrifft. Preußen ist, wie wir hören, entschlossen, mit aller Energie zu Gunsten der gefangenen Royalisten bei der schweizerischen Bundesbehörde zu interveniren, und zugleich seine unveräußerlichen Souve- ränetätSrcchte auf das Fürstenthum Neuenburg zur Geltung zu bringen. Die Berathung mit den erwähnten Gesandten ist dazu bestimmt, sich über die zweckmäßigsten Schritte zu verständigen, die von Seilen Preußens in dieser seine Großmachtstellung so wesentlich berührenden Frage zu ergrci- fen sind." — Das Correspondenz-Bureau sagt: „Der in mehren Blättern verbreite- ten Nachricht, Oesterreich und Preußen beabsichtigten in der holst ein- lauenburgischen Angelegenheit einen gemeinschaftlichen Antrag bei der Bundesversammlung zu stellen, werden hier begründete Zweifel entge- gengestellt. Von Seiten Preußens ist allerdings in dem diplomatischen Schriftwechsel, welcher mit dem kopenhagener Cabinet über diese Angelegen heit stattgefunden, auf die Eventualität, die Sache in Frankfurt zur Sprache zu bringen, hingewiesen worden; Oesterreich hat dagegen in allen bisherigen Verhandlungen eine ziemlich reservirte Stellung eingenommen und scheint entschlossen, nur nothgedrungen, d. h. wenn Preußen diesen Weg beschreib ten sollte, die Bundesversammlung mit der Frage befassen zu wollen. Hier aus erklärt eS sich denn auch, daß Dänemark di« Verhandlungen mit den beiden deutschen Großmächten völlig getrennt führt." Wittenberg, H.Sept. Ein Aufruf im hiesigen Kreiöblatt erinnert daran, daß der 19. April 1860 die 300jährige Todcsfeier Magister Phi lipp Melanchthon's sei, und fodert die protestantische Welt auf, Beiträge zu sammeln, um dem alten Glaubenshclden ebenfalls ein Denkmal gleich dem Luiher's in Wittenberg zu setzen. Baiern. ^Auö Baiern, 13. Sept. Die Stadt Nürnberg, welche schon im vorigen Jahre, während der König sich in ihr aufhielt, durch «ine außerordentliche Loyalität sich hervorgethan, beabsichtigt, den kom- wenden 15. Sept., als den Tag, an welchem sie dem Königreich Baiern ein- verleibt worden ist, festlich zu begehen und den König dazu einzuladen. Man mag über di« G«dächtnißf«ier solcher Tage denken, wie man will, so erscheint es doch auffallend, daß dieselbe nur von den größern Reichsstädten, welche damals ihre Selbständigkeit verloren, festlich begangen wird, während die vielen kleinern ebenso wie die damals gleichfaltt mediatisirtrn Fürsten unl> Herren noch nirgends sabilirt haben. Noch auffallender aber ist ein Ar- tikel der Neuen Münchener Zeitung auS Nürnberg, in welchem über jene an den König zu richtende Einladung berichtet und der 15. Sept, als der Tag bezeichnet wird, „an welchem Nürnberg, Rettung findend aus dee