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29 Juli 188« Dienstag. Nr 175 «Wahrheit md Recht, Freiheit und Gesetz!» Preis für da- Vierteljahr I'/, Thlr,; jede einzelne Nummer 2 Ngt. Zu beziehen durch alle Postämter des In- «nd Auslände«, sowie durch bi« Erpedition in Leipzig (Querstraße Rr. 9). Jnsertionsgebühr für den Naum einer Zeile 2 Ngr. «einzig. Dit Zeitung sZM- Deutsche MMkiit ZtitLU Das Regierungsjubiläum des Königs der Belgier. --2 Leipzig, 28. Juli. Belgien hat in diesen Tagen eins der schönsten Fest« gestiert, welche ein Land feiern kann, das Fest des 23jährigen Be stehens seiner Unabhängigkeit, seiner verfassungsmäßigen Freiheiten und der nie ernstlich getrübten Eintracht zwischen dem StaatSoberhaupte und dem Volke. Der Festjubel in der Hauptstadt ist denn auch, wie alle Berichte bestäti gen, ebenso allgemein als aufrichtig gewesen. DaS ganze Land hat, theils durch feierliche Deputationen, theils durch eine« ungeheuer» Zufluß frei williger Theilnehmer au« allen Provinzen an dem Feste theilgenommen. Trotz der altßerordentttcht» Menschenmasse, die sich auf wenigen Punkten zusammendrängte, ist nicht die geringste Störung vorgekommen. Die Be völkerung hat dem König nicht blos durch die achtungsvollsten und herz lichsten Begrüßungen seiner Person und der Glieder seiner Familie, son dern auch durch die strengste Aufrechthaltung der Ordnung und ein der Weihe des Tages angemessenes Verhalten zu beweisen gesucht, daß sie der Wohlthaten einer freie» Verfassung und einer volkSthümlichen Regierung würdig sei. Der König selbst bekannte in seiner Rede an die beiden Kör per der Landesvertretung förmlich und feierlich, wie glücklich er sich schätze, die Aufgabe, die er vor 25 Jahren übernommen: die Unabhängigkeit Bel- giens nach außen, seine Wohlfahrt und Freiheit im Innern zu sichern und zu befestigen, bis hierher glücklich gelost zu haben, und er hat zugleich den Talisman bezeichnet, mit dessen Hülfe ihm dies möglich geworden sei und mit dessen Hülfe er das bisher so glücklich durchgeführte Werk auch ferner in gleichem Geiste zu vollenden hoffe: die Eintracht zwischen Fürst und Volk ! Es gibt eine Schule kontinentaler Politiker, welche, sei es aus wirk licher Üeberzeugung, sei eS, weil es ebenso für ihre Absichten paßt, hart näckig behäupten, die konstitutionelle Monarchie möge allenfalls für England passen, das Land der Erbweisheit, wo sie geschichtlich Und naturwüchsig entstanden, wo das Volk von Haus auS einen streng konservativen Sinn habe, wo es endlich einen Adel gebe, der, mächtig und in verjährtem An sehen flehend, zwischen Krone und Gemeinen vermittele und die Dermal- tung des Staats in fester, geübter Hand hakte — aber auf dem Festlande sei dieses politische System unausführbar, unhaltbar aus die Länge, un vereinbar mit der Sicherheit und Wohlfahrt des StaatS. Nun wohl! diese weisen Athener mögen hinstehen in das kleine Belgien und dort im unbe fangenen Anschauen der Wirklichkeit (wenn sie solcher Unbefangenheit noch fähig sind) ihre abstrakten Grillen und ihre schematischen Einbildungen von polmschen Dingen vergessen! Eine Probezeit von einem vollen Viertel- jahrhundert Ist, denken wir, lang genug, um sattsam erkennen zu lasse», ob sine Einrichtung möglich oder unmöglich, heilsam ober schädlich, nur eine flüchtige LageSerscheinung oder für bleibend« Dauer geschaffen sei. Und war etwa diese Probe, welche die belgische Verfassung zu bestehen hatte, eine ft beichte? Waren die Wege ihrer Ein- und Durchführung so geebnet, die Schwierigkeiten, die sie im Innern zu überwinden hatte, so gering , die Verhältnisse und die Gesinnungen, denen sie nach außen hin begegnete, so fördersame und freundliche? Keineswegs! Der junge belgi sche Staat und seine Verfassung hatten gleich bei ihrer Geburt mit den allerschwieriststen Umständen zu kämpfen. Noch war die Wahl eines Ober- Haupts — an sich ein unendlich schweres Geschäft, weil dabei Rücksichten der delikatesten Art nach innen und außen zir nehmen waren — nicht gesichert, da wntde die Selbstverleugnung der belgischen Patrioten und damit zu gleich der Werth des jungen parlamentarischen Systems auf eint der här testen Proben gestellt. Um sich mit Holland drsinitiv auteinanderzufetzen, um nicht der Gänst der Großmächte- an welcher dem jungen Staate Alles gelegen war, verlirstig zu gehen, ja vielleicht «inen Krieg zu entzünden, in dem es selbst wieder zugrunde gehen konnte, mußt« Belgien ein Opfer seiner Integrität bringen und Theile seines Gebiet- und seiner Bevölkerung abtreten, welch« kaum erst mit den andern und für dir andern wie für sich selbst dir Unabhängigkeit erkämpft hatten. Diese erste Prob« ward glücklich bestanden» der Nationalrongrrß votirte die Abtretung, und di« vorüberge- hendrn Ruhestörungen, wtlch« di« sehr begr«ifliche tirfr Pirkrtzung de» NatümalgefühlS hier und da hervorrief, wich«» bald wieder brr Autorität de» Gesetzes. Später, bei der endgültigen Regelung dieser länge hin ver zögerten Angelegenheit, wiedrrh,tre sich derselbe Kampf widerstreitender Em pfindungen eine- sehr berechtigte» patriotischen und ländSmännifchen Ge fühls und einer nüchternen Berechnung der gegebenen Verhältnisse. Und abermals ging da- junge, noch wenig politisch geschulte Volt aus diesem Kämpft siegreich hervor! IM Innern waren die Schwierigkeit«» nicht wenig«« -roß. Die ma- teritklim Zustände de» Landes war«» durch die Revolution, durch die lange Hemmupg de- Verkehrs auf der Schildt durch die Holländer, endlich durch die gezwungene Uebernahme eines beträchtlichen Theils der holländischen Staatsschuld ziemlich getrübt. Außerdem ward da- Land durch Parteiungen gespalten, di«, nach der vorübergehende» Versöhnung und Verbrüderung im Kampfe gegen die holländische Herrschaft, alsbald wieder in alter Schroff- heit hervortrrten. Die katholische (oder vielmehr klerikale) und die liberale Partei bekämpften sich auf dem Boden »ob mit den Mitteln derselben Ver fassung, welche sic größtentheils im Wege eines klugen und billigen Ueber- einkommenS gemeinsam zustande gebracht hatten. Neben diesen Parteigc- gensatz stellte sich bald noch ein zweiter, der Gegensatz zweier verschieden«,: Stamm«selem«nte, des vlämischen und des wallonischen, oder, mit andern Worten, des germanischen und des romanischen. Dazu endlich suchten von außen her bedenkliche Einflüsse sich geltend zu machen. In Frankreich konnte man es nicht vergessen (und tann es vielleicht noch jetzt nicht ganz), daß die Gelegenheit, das halbfranzösische Belgien der „großen Nation" wieder cinzuverleibcn, unbenutzt geblieben war oder hatte bleiben müssen, und in Holland schien man sich wenigstens eine zeitlang noch immer mit der Hoff- nung zu schmeicheln, dec verlorene Sohn werde am Ende doch von selbst reumüthig zurückkchren. Und in der That fehlte es in den ersten Jahren nicht an einer, wenn auch nur kleinen undohnmächtigen, oranischen Partei. Die große Katastrophe des Jahres 1848 fand Belgien, infolge der vorausgegangenen Theuerungsjahre und der allgemeinen Stockung in einer seiner wichtigsten Industrien, von allen Uebeln und Gefahren socialer Miß stände bedroht; von Frankreich aus von den extremsten politisch«« und tol- len kommunistischen Theorien bearbeitet, von den gewaltigsten Erschütterun- gen, welche in dem einen Nachbarlande den Thron umstürzten, in dem andern wenigsten- eine zeitlang die Banden der Ordnung lösten, beinah« unmittelbar auf feinem eigenen Gebiete ergriffen. Und doch war Belgien in ganz Mitteleuropa das einzige Land, welches dem allgemeinen Stoße wi derstand, oder vielmehr an welchem derselbe fast unbemerkt und spurlos ab glitt. Und ebenso unberührt, sicher und ruhig im Genüsse von Freiheiten, von denen es in den Zeiten allgemeiner Auflösung keine misbraucht hatte, blieb eS wiederum inmitten der gewaltigen Rückströmung, welche durch ganz Mitteleuropa hin die stolzen Errungenschaften des Jahres 1848 wieder hinwegfegte. Und so steht es im 25jährigen Jubelfeste seiner Verfassung und seiner durch die Wahl der Nation berufenen Dynastie vor den Augen Europas, stark durch die Eintracht zwischen Fürst und Volk, blühend in materiellem Wohlstand und geistiger Bildung, ebenso zuversichtlich und ungefährdet im Besitze wie mäßig und weise im Genuß der edelsten Freiheiten, die Freude und der Stolz aller Freunde konstitutionellen Wesens, die Beschämung und der Aergcr der fanatischen Propaganda und des Absolutismus in alle» Län dern. Möge eS noch lange so dastehcn, blühen und gedeihen! Deutschland. Preußen, t Berlin, 27.Jutt. Die Zollconferenzen inEise- nach scheinen einen ziemlich langsamen Gang zu nehmen, und was die Er gebnisse der Berathungen anbelangt, nur für sehr bescheidene Hoffnungen Raum zu lassen. Inwieweit die Auffassung wirklich gegründet ist, daß Oesterreich nicht ganz ohne Einwirkung auf die eisenacher Zollconferenzen mittel» mehrer bei denselben unmittelbar betheiligtcn deutschen Staaten lei, lassen wir ganz dahingestellt. DaS dürfte indessen weniger zweifelhaft sein, daß die Anstrengungen Oesterreichs zur Vereinigung des Deutschen Zoll verein- mit dem österreichischen Zollgebiete, wenn dieselben gegenwärtig auch nicht so sehr in die äußere Erscheinung treten, mit demselben Nachdruck fort- geführt werden und das große vorgestcckte Ziel mit einem scharfen U«bcr. blick nach allen Seiten hin unverrückt von der österreichischen Regierung im Auge behalten wird. Von mehren preußischen Handelskammern wird eine solche Vereinigung beider großen Zollgebiete vom HandrlSstandt zwar befür- wortet, um so entschiedener ist aber die Gegenwirkung, welche von Seiten hiesiger StaatSpolitiker diesen Anschauungen gegenüber mit Erfolg geübt wirll, indem einfach darauf hingewiesen wkrv, daß eine Revenuentheilung zwischen dem Zollverein und dem österreichisch«» Zollgebiete unausführbar sei. Außerdem wird brr bedeutsame Umstand hervorgehoben, daß im Zoll verein der Kopf im Durchschnitt 2st Tgr. «inträgt, während im österrei- chifthe« Zollgebiete auf den Kops durchschnittlich nur etwa 6 Sgr. zu rech- ne» ftien. Eine Vereinigung sei daher offenbar zum Nachtheile des Zoll- verein-, der politischen Seite der bedeutungsvollen Frage noch gar nicht einmal zu gedenke», die eine mögliche Veränderung der Machtstellung Preu- ße»S in sich saßt. — Die Berliner Börsen-Zeitung sagt: „Wir vernehmen, daß Mecklen burg, nachdem es schon genökhigt gewesen ist, durch den Anschluß an die gotharr Heimatsconvention aus seinrr bisherigen Jsolirung herauSzutreten,