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Freitag. Nr. Die Zeitung ' erscheint mit Au-»ahme des ^5^ M" UU" Preis für das Vierteljahr 1V, Thlr.; jede einzelne t' Nummer 2 Ngr. « Deutschland. Preußen. l: Berlin, 11. Juni. -Die Oesterreichische Zeitung ent- hält eine höchst merkwürdige Korrespondenz aus Paris. In derselben heißt es, Preußen habe Plötzlich das Ansinnen gestellt, ein Mitglied zu der Com mission stellen zu hosten, welche sieh nach Bukarest begeben soll, um über die den Donausfirstenthümern zweckmäßigste Organisation Informatio nen einzuziehen sind schließlich hierüber den auf der Pariser Conferenz ge wesenen. Mächten die geeignetes Vorschläge zu machen. Als Graf Cavour diesen Schritt Preußen- erfahren, habe auch er für Sardinien die Stellung eines Mitglieds zu jener Commission begehrt. Frankreich und England seien jedoch ganz entschieden gegen eine Betheiligung Preußens gewesen. Da, sei Oesterreich dazwischengetrcten, habe das Verlangen Preußens be fürwortet und es sei die betreffende Frage infolge dessen auch im Sinne der österreichischen Bevorwortung entschieden worden. So sei nun die Dif ferenz, die zwischen Preußen und den Westmächten „einzureißen" drohte, glücklich beseitigt. Hierauf wird nun noch ein Langes und Breites von dem echtdeutschen Patriotismus gesagt, den Oesterreich bei dieser Gelegen heit Preußen gegenüber an den Tag gelegt habe rc. Auf diese Mitthei- lungen, die hier eine große Heiterkeit erregt haben, ist Einiges zur allge meinen Orientirung zu bemerken. Sie werden sich erinnern, wie wir schon vor 14 Tagen bis drei Wochen wiederholt bemerkt haben, daß Preußen mit den Westmächten für eine Vereinigung der Moldau und Walachei stimmen dürfte. Indem wir dies sagten, verstand es sich natürlich von selbst, daß Preußen in der betreffenden Frage seine Stimme auch abzugeben haben werde. Die Betheiligung Preußens an jener Commission war also schon damals nicht zweifelhaft und sie war es überhaupt niemals. Es war eine Sache, die sich von selbst verstand und von der man darum gar nicht mehr zu reden brauchte. In Betreff dieser Selbstverständlichkeit hat man in den letzten Tagen auf den Art. 23 des Fricdensvertrags hingewiesen, wo es heißt, daß die hohen contrahircnden Theile eine Specialcommission nach den Donaufürstenlhümern absenden werden, über deren Zusammensetzung sie sich verständigen würden. Man sagt mit Recht, daß, weil hier von den sämmtlichen contrahircnden Theilen die Rede sei, selbstverständlich auch Preußen über die Zusammensetzung jener Commission seine Stimme abzugeben habe. Man könnte in dieser Beziehung indessen noch weiter gehen und viel- schlagendere Beweise anführen. So heißt es z. B. im Art. 25 des FriedcnsvertragS, daß die schließliche Verständigung über die künftige politi sche Organisation der Donaufürstenthümer ihre Weihe durch eine von den cvntrahirenden Theilen zu Paris abzuschließende besondere Convention erhalten und daß die Fürstenthümer in ihrer neuen Organisation unter der Collectiv- garantie sämmtlicher Mächte stehen sollen, welche den Friedensvertrag unter zeichnet haben. Würde nun Preußen wol eine Convention mitunterzeichnen oder eine Garantie mitübernehmen können, wenn eS an den auf die Sache bezüglichen Berathungen nicht wie jede andere Macht theilgcnommen hätte? Wir wollen auf die betreffenden Punkte, an die wir noch viele andere ähn- liche anreihen könnten, übrigens durchaus nicht hingewiescn haben, um da durch die Berechtigung Preußens zur Theilnahme an jener Commission erst noch nachzuweisen, sondern lediglich um, gewissen Zeitungsartikeln gegen über, zu zeigen, wie man sich unter Umständen sogar auch nicht scheut, ins Absurde hineinznschreiben, wenn die Tendenz es so erfodert. Diesen Nachweis glauben wir geliefert zu haben, und wir wünschten, und zwar ebenfalls aus „echtdeutschem Patriotismus", daß die Sache hiermit ihr Be- wenden finden könnte. Aber das kann sie leider nicht, denn der Kern des Ganzen ist noch zurück. Wir fassen jetzt die oben erwähnte Correfpondenz der Oesterreichische« Zeitung specicll ins Auge. Preußen soll also „plötzlich" das. Ansinnen gestellt haben rc. Preußen hat aber gar kein Ansinnen ge- stellt, weder plötzlich noch allmälig, und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil cs in einer sich so von selbst verstehenden Sache eben kcin Ansinnen zu stellen brauchte. Graf Cavour konnte darum auch dem Schritte Preußens nicht folgen, einmal darum nicht, weil dieser angebliche Schritt gar nicht geschehen war, und sodann auch deshalb nicht, weil das betreffende Recht ein Gleiches ist für alle Mächte, die den Friedensvertrag unterzeichnet haben, also auch für Sardinien. Frankreich und England konnten sich also auch nicht gegen eine Betheiligung aussprechen, einmal weil ihnen keine Veranlassung dazu gegeben war — davon ganz abgesehen, daß eine solche Abneigung dem Wortlaut dcs FriedenSvcrtrags gegenüber auch in jeder andern Beziehung gänzlich fruchtlos hätte sein müssen — und sodann auch aus dem sehr prak tischen Grunde, weil sie der guten Ueberzeugung sein dürften, daß Preußen mit ihnen für die Vereinigung der beiden Fürstenthümcr stimmen werde. Oesterreich brauchte also bei dieser Gelegenheit Preußen auch nicht unter seinen bundcSfreundlichen Schutz zu nehmen oder cs in den Stand zu setzen, seine Functionen al- europäische Großmacht würdig erfüllen zu kön- 136. IS Juni l 856. Zu beziehen durch alle » P s Poiiämler des In- und meine iieitnna Insertionsgebühr ' «Wahrheit und Recht, Freiheit und Tesch!» mr den Raum einer Zeile nen. Aber, wird man fragen, so hat der pariser Correspondent der Oesterreichischen Zeitung die ganze Geschichte denn erfunden? Ja, unwahr ist sie vom ersten Wort bis zum letzten; aber es liegt ihr doch etwas zu- gründe. Es ist bekannt, daß Oesterreich in Betreff der Donaufürstenthümer mit der Türkei der Ansicht ist, daß eine Vereinigung derselben nicht flattfinden dürfe. Die Gründe, welche Oesterreich hierbei leiten, haben wir früher angedcutct. Oesterreich weiß aber, daß es von den übrigen Mächten überstimmt werden wird; es weiß, daß Frankreich, England, Preußen, Rußland und Sardinien für eine Vereinigung der beiden Fürstenthümer stimmen werden. Um dies zu verhindern, soll cs, wie wir hören, in der letzten Zeit in Paris und London thätig gewesen sein, daß Preußen und Sardinien von der nach den Fürstenthümern zu sendenden Commission ausgeschlossen würden. Die Rech nung, die man dabei machte, ist ziemlich klar: wären Preußen und Sar dinien ausgeschlossen, so würden die Stimmen in Betreff der Vereinigung, resp. Nichtve-einigung stehen wie 3 zu 2. Ueberstimmt würde Oesterreich zwar auch so noch sein, aber doch eben nur mit einer Stimme, ein Resul tat, welches wol Mittel und Wege an die Hand geben würde, um die Ausführung Dessen, was die Wcstmächte für nöthig halten, illusorisch zu machen. Die betreffenden Bemühungen sollen aber weder in Paris noch in London einen günstigen Boden gefunden haben, und da die Sache nicht geheim geblieben, sondern auch in weitern Kreisen bekannt geworden ist, so stellen nun österreichische Zeitungsschreiber das ganze Verhältniß auf den Kopf, sprechen von Dingen, die gar nicht geschehen sind, und vcr. schweigen das Wahre, um schließlich' Oesterreich, welches gegen die Bc- theiligung Preußens und Sardiniens thätig war, das Verdienst zu vindicircn, diese Betheiligung „bevorwortct" und durch seine Dazwischenkunft herbeigeführt zu habe». Das Verhältniß Oesterreichs zu Sardinien ist auch wirklich der art — von Oesterreichs spcciellem Interesse in den Donaufürstenthümern gänz lich abgesehen—, daß von Wien aus eine „Bevorwortung" der Wünsche dcs Grafen Cavour zu erwarten wäre! Die österreichischen Publicisien mu» then dem deutschen Verstände bisweilen viel zu. Was Preußen betrifft, so ist cs nicht minder charakteristisch, daß man, indem man von der angeblichen „Bevorwortung" und ihrem glücklichen Resultat Kcnntniß gibt, zugleich von Acrgcr übcrfließt. Preußen, so soll cin hoher Staatsmann höchst ärgerlich gesagt haben, bringe immer und überall einen Miston in das europäische Concert. Nun, diesmal wenigstens ist der MiSton nicht auf der Seile Preußens, und wenn überall anderwärts ebenso wenig von einem Miston zu merken ist, dann steht cs mit dem europäischen Concert vortrefflich. * Berlin, I I. Juni. Das Polizeipräsidium hat aus allen hiesigen Zuckerfabriken und -Handlungen Proben entnommen, um durch eine bereits begonnene chemische Untersuchung feststellen zu lassen, ob die aus- gesprengten Behauptungen Grund haben, daß im Zucker ein bedeutendes Procentquantum Gift sei.— Das hiesige Schuldgefängniß hat in den letzten Tagen keine Herberge für neue Gäste mehr gehabt. Während sonst täglich circa 40 Bewohner dort schmachteten, ist die Zahl neuerdings auf 70 gestiegen, darunter befinden sich 10—12 ConcurSgcfangcne. — Es sind bedeutende öffentliche Bauten projectirt. Der Verwaltungsdirektor der Charite, Geheimer Rechnungsrath Esse, ist mit dem unlängst aus Würz burg herbeigerufencn Professor der pathologischen Anatomie Virchow in Verbindung getreten wegen Umbaus eines großen Leichenhauses. Desglei chen soll die königliche Bibliothek einen andern Plaß erhalten. Ahr bis heriger Raum am Opernplatz soll zum Palais dcs Prinzen von Preußen geschlagen werden, die Akademie unter dcn Linden niedergerisscn und dort die Bibliothek aufgeführt, während der Bauperiode aber die Büchermasse interimistisch in der Canzianstraße hinter dem Neuen Museum placirt wer den. Der Grund, die Akademie zu verlegen, ist, wie man aus guter Quelle vernimmt, ein Wunsch des Königs, die großen Stallgebäude, die jetzt am Hosraum der Akademie kleben, wegzuschaffcn. — Der Preußische Staats Anzeiger vom 12. Juni veröffentlicht die am 15. Mai vollzogene Städtcordnung für die Nheinprovinz und das am 15. Mai vollzogene Gesetz betreffend die Gemeindeverfassung in der Nheinprovinz. — Die Berliner Dörsen-Zeitung sagt: „Man erfährt, daß der Kaiser von Rußland, noch bevor er Berlin verlassen, dcn Sr.-Andreasorden dem Kaiser der Franzosen überschickt habe. — Es verlautet von einer neuern Denkschrift, welche die Negierung von Neapel in Erwiderung auf die von Frankreich und Oesterreich an das neapolitanische Gouvernement gerichteten Vermahnungen zur Kenntniß der Cabinete gebracht habe. Die Existenz jener von Frankreich und Oesterreich erlassenen Noten wird zwar neuerdings in Abrede gestellt, wir haben indessen bereits bemerkt, daß auf jenen Widerspruch kein Gewicht zu legen ist."