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geschieht© ein. Zwingende äußere Gründe für die Nichtvollendung des Weikes gab es nicht. Daß Schubert es nicht zum Abschluß brachte, lag wohl an der noch nicht überwundenen Unschlüssigkeit seiner Haltung: Auf der einen Seite spürte er die Ubermächtigkeit jener für ihn neuen und schmerzhaften gesellschaftlichen Erkenntnis, auf der anderen Seite konnte er sich nur zögernd von einer alten Illusion lösen, vom ungetrübten Leben in der Kunst. So müssen wir uns mit den zwei vollendeten Sätzen der Sinfonie begnügen, die uns Schuberts Durchbruch zu einer neuen, konflikthaften sinfonischen Sprache belegen, deutlich am Beethoven- schen Vorbild orientiert und doch eigenständig. Wirklich tragische Gedanken fin den in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie vielfach angenommen wurde, den Kern des dargestellten Konflikts, sondern seine tragische Lebenserfahrung, daß seine humanistische Lebensverbun denheit unvereinbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalisti schen Produktionsverhältnissen, wenn ihm auch diese Ursache zu seinem Konflikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz" — darin liegt auch der Leitgedanke seiner „Unvollendeten" beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mottohaft vorangestellte düstere acht- taktige Thema, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedanken deutlich werden. Nach einem schmerzlichen Klagegesang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wunderbare Ländlermelodie an, die so recht die Herzlichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demonstriert, deren Schu bert fähig war. Aber dieser Gesang von der Liebe wird von brutalen Fortissimo- Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis die Melodie wieder Kraft findet, sich durchzusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „Zerteiltheit" in Schmerz und Liebe wider. Das fatalistische Mottomotiv verwandelt sich in ein heroisches Kampfmotiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei gebieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träumerische Ruhe vor dem Ein bruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine friedvolle Kantilene vermag denn auch im ersten Teil den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeugen. Doch bald kommt es wieder zu einer großen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich abermals in Liebe verwandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden eintritt In allen Konzertsälen der Welt gilt Ludwig van Beethovens „Sin fonie e r o i c a" E s - D u r o p. 5 5 als eines der populärsten sinfonischen Meisterwerke der musikalischen Weltliteratur. Die einzigartige Größe dieses Werkes ist breitesten Hörerschichten vertraut, die immer wieder begeistert werden von der Idee und dem wahrhaft revolutionären Kraftstrom dieser Musik. Fast legendär schon ist die Entstehungsgeschichte der Sinfonie. Beethoven, noch aus seiner Bonner Zeit ein glühender Anhänger von Aufklärung, Demokratie u.nd der Französischen Revolution, empfing 1798 von General Bernadotte, dem Wiener Gesandten der französischen Republik, die Anregung, ein großes Musikwerk zu Ehren des Revolutionsgenerals Bonaparte zu schaffen und ihm zu widmen. Be geistert griff Beethoven den Vorschlag auf, doch zögerte er mit der Ausführung so lange, bis die Werkidee einer ihm vorschwebenden Heldensinfonie mehr und mehr in ihm reifte, und er auch die technische Meisterschaft zu einem solch gro ßen Vorhaben besaß. Erst im Jahre 1801 sind Skizzen für den Trauermarsch und das Finale nachweisbar. Die genaue Konzeption und schließliche Ausarbeitung seines Projektes begann Beethoven erst 1803 und beendete sie im Mai 1804. Zweifellos hatte der Meister in Bonaparte den ersehnten Freiheitshelden und Vollstrecker einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gesehen, vermerkte er doch auf dem Titelblatt seiner neuen Sinfonie: „Geschrieben auf Bonaparte." Doch als sich am 18. Mai 1804 der erste Konsul der französischen Republik zum Kaiser ausrufen ließ, tilgte Beethoven, grausam enttäuscht über die Wandlung seines Idols zum Tyrannen, die Widmung und überschrieb das fertige Werk nun „Heroi sche Sinfonie, komponiert, um das Andenken eines großen Mannes zu feiern". Darin aber liegt auch die ganze programmatische Idee des Werkes begründet, das ganz allgemein „die Idee vom Heldentum eines von republikanischen Tu genden erfüllten großen Mannes, in dessen Erscheinung sich Beethoven die pro gressiven politischen und gesellschaftlichen Ziele seiner Zeit repräsentiert vor stellte" (K. Schönewolf), gestaltet, nicht etwa Episoden aus dem Leben Bonapar tes. Erstmals ging Beethoven in der „Eroica" - als Konsequenz seiner revolutionär demokratischen Weltanschauung - von einer bestimmten programmatischen Idee aus. Diese wiederum hatte zur Folge, daß er zu neuartigen künstlerischen Lö sungen kam, ohne dabei die sinfonische Tradition aufzugeben. Dieses Neue, Epochale der schon rein umfangmäßig ungewöhnlichen 3. Sinfonie bewirkte auch, daß die Uraufführung des Werkes am 7. April 1805 im Theater an der Wien selbst bei den innigsten Anhängern Beethovens keineswegs auf vollstes Ver ständnis stoßen konnte. Ungewohnt aber erschien Beethovens Zeitgenossen nicht so sehr das scheinbar Maßlose einer bis dahin unerhörten „Musikentladung", sondern mehr noch die neue Ordnung dieser Sinfonie, die das bei Haydn und Mozart Gewohnte unermeßlich steigerte. Es war, kurz gesagt, die erstmals kon sequent angewandte Technik der „durchbrochenen Arbeit", ein differenziertes Entwicklungsprinzip des thematisch-motivischen Materials, das seinerseits zur Entfaltung neuer, erweiterter Proportionen bedurfte. Das sinfonische Schwerge wicht ist auf die wesentlich erweiterte Durchführung, namentlich des ersten Satzes, gelegt; auch die abschließende Coda hat an Profil und Bedeutung gewonnen. Denkt man an Beethovens 1. und 2. Sinfonie, so werden die Unterschiede gegen über der 3. deutlich: der beträchtliche Sprung vom Einfachen zum Komplizierten in geistiger, formaler und instrumentatorischer Hinsicht, Die schroffen Disso nanzen und wilden Ausbrüche, die unerwarteten Modulationen verleihen dem ersten Satz seine bestechende Wirkung. Einmalig in der gesamten sinfonischen Literatur ist wohl die Trauermusik des zweiten Satzes. Zum ersten Male voll aus geprägt ist Beethovens Scherzotyp im dritten Satz der „Eroica" mit seinen hart näckigen Wiederholungen upd dämonischen Steigerungen, die im Trio durch romantischen Hörnerklang unterbrochen werden. Variationsform und Kontra punktik bestimmen schließlich die upgewöhnliche Anlage des Finales mit seinem tänzerisch-sieghaften Ausklang. Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN : Donnerstag, den 20., und Freitag, den 21. März 1975, jeweils 20.00 Uhr, Kulturpalast Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 6. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig Solistin: Mirka Pokornä, CSSR, Klavier Werke von Liszt und Mahler Anrecht A Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1974/75 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstötle Pirna - 111-25-12 2,35 ItG 009-20-75 »Inillnarnnionie" 5. PHILHARMONISCHES KONZERT 1974/75