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Mittwoch. Nr. 146. SS. Juni 18S« Eeipzig. Die Zeitung «rscheint mit Ausnahme de« Montaa« täglich und wird Nachmittag« ä Uhr au«- g-geben. Preis für da« Vierteljahr I V, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Deutsche MgtMine Zeitung. -Wahrheit und Recht, Freiheit uud Gesetz l° Zu beziehen durch alle Postämter de« In- und Auslandes, sowie durch die Erpedilion in Leipzig (Querstraße Nr. 8). ZnsertionSgrbühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. DaL politische Abc und A und O. Von Karl Welcker. (Aus dem ersten Heft des Staats-Lexikon von Rotteck und Welcker, dritte Auflage.) Das politische Abc und A und O, oder Das, was für die Politik, für ihr richtiger Begründen, Verstehen und Ausübcn als Anfangsgrund, Grundlage und Mittelpunkt zu betrachten sei, dieses kann nur das Ergeb- niß der ganzen politischen Erforschung sein. Aber wir können hier am An- fange des StaatS-Lexikon unsern Lesern auf unsere ehrliche Uebcrzeugung hin, sowie sich dieselbe in fast halbhundertjähriger Erforschung und prakti scher Erprobung ausgebildet und bestätigt hat, zum voraus dieses Ergebniß mittheilen. Es wird sich dasselbe auch durch wenige Hindeutungen auf uns Allen gemeinschaftliche Ideen und historische Thalsachen hinlänglich veran- fchaulichen lassen. Ganz kurz können wir nun diese« politische Abc und A und O be zeichnen: 1) als Vereinigung, 2) als sittliche Vereinigung und 3) als freie Vereinigung. 1) Von der Vereinigung Vieler zur Einheit (noX-x), von der Stadt oder vom Staate hat die Politik ihren Namen, und auf das Staatsleben, auf seine richtige Begründung, Regierung und Erhaltung bezieht sich alle Politik. Sie ist die rechte Lehre und Kunst derselben. Nur weil der Staat von allem Irdischen das Wichtigste ist, so braucht man das Wort politisch, d. h. daS dem Staat oder der Politik Entsprechende, auch uneigcntlich für alles Kluge in andern Gebieten. Das Allererste nun und das stets Wie- bcrkehrende in dem Abc der Politik ist wahrlich die Vereinigung der An gehörigen des Staats, möglichst vollständige, innige und dadurch dauernde, fich stets erneuernde Vereinigung derselben, ihrer Interessen, Kräfte und Bestrebungen, und zwar Bewußtsein dieser Zusammengehörigkeit und lhat- sächliche Vereinigung. Sie ist erstes Lebenselement und Grundbedingung des Staats, ihre Vollkommenheit das Maß der Gesundheit und Kraft der Staaten und ihrer Regierungen. Blos zufällig und äußerlich nebeneinan derstehende, gegeneinander fremde oder gar feindliche Massen bilden gar keinen Staat, haben gar keine politische Bildung und Kraft. Völker und Bürger ohne Bewußtsein uud Bestrebung der Einheit haben also nicht das Abc der Politik und der politischen Bildung. Uns Deutschen fehlt es an dem Abc dec politischen Bildung, wenn wir das Bewußtsein der Zusam mengehörigkeit und das Streben der Vereinigung unsers Volks besiegen las- sen durch- untergeordnete Verschiedenheiten und Gegensätze, durch Eifersucht -der Fürsten und Bürger, des Preußen- oder Oesterreichcrthums, des Pro- lestantismus oder Katholicismus. Wir haben gar keine politische Bildung, wenn wir die ersten Elemente derselben vernachlässigen, welche schon die äl- teste Volksweisheit in den Sähen: Vereinigung macht stark, oder: Die ein zelnen Ruthen werden leicht zerbrechen, einzuprägen suchte. Regierungen, welche nicht vor allem jene Vereinigung, die natürlichen und gewohnheit- jichen, die sittlichen uyd politischen Interessen und Grundlagen für dieselbe äns Auge fassen, besitzen ebenfalls nicht daS Abc der wahren Politik, müs sen mit ihren Staaten kraftlos werden und dem Untergang verfallen. Dieses Abc der Politik aber fehlte auch so manchen unreifen und schwär merischen Politikern unsers achlundvicrziger Jahres, welche nicht mit ihrem Volke, sondern bloS mit ihren Ideen und Wünschen Politik machen und die Welt regieren wollten, ohne nur ernstlich daran zu denken, ob und wie sie für dieselben die Vereinigung der Nation und ihrer Interessen und Kräfte gewinnen und behaupten könnten, ohne nur den Gedanken zu fas sen, daß das Volk und seine Vereinigung das Grundelement und das wahre Baumaterial für den Politiker ist, daß, selbst bei hohen Gedanken und Absichten und dem muthigsten Herzen, ein Feldherr, welcher, dem Feind entgegen, der Armee vorausläuft, ohne sich zu vergewissern, daß sie ihm folgen will und kann, nur ein Thor ist. Diese Politik blos mit und aus eigenen Gedanken und Wünschen, diese Wunsch- und Luftpolitik, diese Po litik des Seifcnblasenwcrfens ist leider bei uns guten Deutschen noch allzu häufig. Ihr aber fehlt es doch sicherlich an dem Abc der wahren Politik. Auch ihrem Inhalte nach fehlt eS so manchen, oft selbst sehr gelehr ten Theorien an dem Grundelement der Einigung der Nation und des StaatS. Wir wollen hier nur an zwei erinnern, welche sich neuerlichst beide sehr geltend zu machen suchten und welche dem ersten Blicke nach wahre Antipoden sind, in der That aber sehr vielfache Verwandtschaft haben: wir meinen die Theorie der Haller'schen und Kreuzzeitungsritter und die der so genannten Rothen oder der terrorifirenden Demokraten. Beide Theorien gehen aus von faustrechtlicher Anarchie und Gewalt, durch welche sie uns zum Vortheil einzelner Stände, dort der Ritter, hier der Arbeiter, dort mit romantischem Blick auf das raubritterliche Mittelalter, hier mit der Be wunderung der jakobinischen Zeit, unsere staatlichen Gemeinwesen und Ver- tinigungen hinwegrestauriren und hinwegterrorisiren wollten. Diejenigen aber > sind doch gewiß keine guten Politiker, welche, statt alle Classen der Nation und deren höhere und niedere Interessen und Kräfte für den Staatszweck des Gesammtwohls möglichst auszugleichen und zu einigen, vielmehr sie und ihre Interessen trennen und entgegensetzen, welche den größern und einfluß- reichern Theil des Volks gegen sich und ihre Zwecke und gegen ihre Be günstigten aufreizen. Selbst nicht einmal klug sür ihre eigenen unstaatli- chen Zwecke oder nicht einmal politisch in diesem uneigentlichcn Sinne han deln diese Politiker. Sie bewirken zuletzt das ihren Zwecken ganz Entge gengesetzte. Es ist daher doppelt erklärlich, wie es die einsichtsvollern, ge- bildetern und edlern Adeligen mit Kummer ansehen, wenn ihre Standes- genossen die ihnen zur Beförderung des staatlichen Gemeinwohls ihrer Mit bürger anvertrauten öffentlichen Stellungen misbrauchen, um aus dem Faustrecht des Mittelalters stammende Unterdrückungs- und Ucbcrvorthei- lungsrechte oder lucrative und herrische Privilegien zu erbeuten, abermals freie Bürger zu Hörigen zu machen und dem erniedrigenden Stock zu un terwerfen suchen und so den Adelstand zu heben vermeinen. Die Adeli gen besitzen so viele natürliche Vortheile in ihren unangefochtenen gegebe nen Verhältnissen, daß sie, wenn sie, wie in Belgien, Spanien, Pie mont, im Wesentlichen auch in England, durch gar kein einziges gehässiges Vorrecht den Mismuth der übrigen Staatsbürger aufreizen, überall im ge sellschaftlichen Leben, am Hofe, in Civil- und Mililärstellen und in der Ständeversammlung den vcrhältnißmäßig größten Theil ungestört erwerben und dabei für Thron und Freiheit wohlthätig und geehrt wirken können. Mit jenem unserer Bildung wie der Gerechtigkeit widersprechenden rittcr- schaftlichen Privilegienhunger und Restaurationseifcr in Preußen, Mecklen burg, Hannover, am Bundestage setzt man dagegen den ganzen Stand und den Thron, welchen man unter dem Vorgeben, ihn zu schützen, zur Par teilichkeit gegen die übrigen Bürger verleitet, dem Argwohn und Unmuth der Nation aus. Man erfreut auf bedenkliche Weise nur Die Revolutionäre. Kurz, man wirkt sich selbst und dem eigenen Zweck ebenso unklug entgegen, wie man unpolitisch das Gemeinwesen beeinträchtigt. Gänzlich Dasselbe gilt nun ebenso von jenen Gegnern, welche zum Bedauern aller Freiheitsfreunde mit eigenmächtiger Gewalt und List und ohne Rücksicht auf die Vereinigung ihres Volks nur durch Revolution die Freiheit begründen wollen, welche, sowie in den bekannten Proclamationen der Flüchtlinge, die Mehrzahl der Bürger terrorisiren und die Freiheit und den Arbeiterstand durch Blut und Geld der „Bourgeois", der „Gcldsäcke" oder der „Aristokraten" düngen wollen. Sie wirken dadurch so sehr der Freiheit entgegen, daß reactionäre Regierungen ihre Proclamationen abdrucken und verbreiten ließen, um die Angst der Besitzenden, der Cultur- und Friedens freunde zu erwecken und sie so dem Despotismus anzuschlicßen. War cs ja doch gerade diese Angst, welche, wie den alten so auch den neuen Na poleon auf den Thron führte und auch in Deutschland vorzugsweise die Rcaction förderte. Sind denn nicht die Sicherheit der Person, des Eigen- genthums, der Familie die unentbehrlichsten Güler unserer Civilisation? Diese Revolutionäre aber bedrohen zugleich unsere ganze Cultur, Alles was Einfluß und Gewalt hat im Staate. Ist nun dieses auch nur im unter geordnetsten Sinne politisch oder klug, wenn man Freiheit befördern will und die Bürger in die Gewalt und in die corrumpirende Schule des Des potismus führt, wenn man Aufstände machen will und es bewirkt, daß sich die Völker niedersctzen, statt aufzustehen? So sehen wir also bei bei den Parteien überall Zerreißung und feindliche Entgegensetzung der verschie- denen Volksclasscn, statt der wahren Einigung für Freiheit und Kraft der Staaten. Nein, Faustrechts- und Raubritter, weder die mit dem Degen noch die mit Glacehandschuhen, und ebenso jakobinische Blutmänncr, terro ristische Kopfabschneider, alte und neue MaratS — sie verstehen nicht einmal das Abc der Politik. 2) Sowie die Vereinigung selbst, so gehört auch das Sittliche dersel ben, als letzte Quelle und als Endziel eine sittliche Natur und Grundlage zur Aufgabe des Staats und seiner Gesetze, zu dem politischen Abc. Auch diese sittliche Natur der politischen Vereinigung, ihre möglichste Hcilighal- tung und Vervollkommnung ist wesentliche Grundbedingung gesunder und kräftiger Staaten und Negierungen. Es kann natürlich die Vereinigung selbst durch ihre sittliche Natur erst tiefer, umfassender und dauernder wer den. Die sittlichen Kräfte im Menschen sind ja die stärksten und beherr schen und vereinigen die nieder» nach ihren Gesetzen. Sittlichkeit, Vater landsliebe, Aufopferung, Beharrlichkeit, Entschlossenheit der Bürger verei nigt und stärkt den Staat. Selbstsucht, Genußsucht, sinnliche Verweichli chung zerreißt und schwächt denselben. Zwar gibt eS bei noch ganz rohen und bei bereits im Verfall begriffenen Völkern, so in den afrikanischen Ne- gcrstaatcn, bei den Scharen des Attila oder im untergchenden römischen Reiche, Zustände, in welchen die sinnlichen, egoistischen Triebe so sehr vor herrschen, daß auch die Regierungen vorzugsweise in diesen Trieben ihre